Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Bühne? Frei!:Ab ins Bett

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Kultur-Lockdown, Tag 65: Der Autor und Kabarettist liebäugelt mit dem Winterschlaf

Gastbeitrag von Arnd Schimkat

Am liebsten würde ich mich einigeln. Das System runterfahren, Nachrichten möglichst draußen halten und meine ganze Hoffnung in ein neues Erblühen im Frühling setzten. Denn ganz im Ernst, so etwas wie Winterschlaf scheint mir eine gute Option zu sein, um diese Zeit möglichst reibungslos an mir vorbeirauschen zu lassen. So ähnlich wie ich es vor über 20 Jahren in einem Lied für meine proaktiv-naive Bühnenfigur Arthur Senkrecht gedichtet hatte: "An Silvester regnet's, ich geh' schlafen, noch allein, / Doch am nächsten Morgen wird schon alles anders sein: / Musik in meinen Ohren, die Landschaft tief verschneit, / Eine Frau an meiner Seite, die Sonne, die warm scheint, / Alles wird schön, warm und gut, kuschelig und heiter, / Und wenn es nur ein Traum ist, dann schlaf ich einfach weiter."

Dass sich durch das einfache Darüber-Schlafen Realitäten ändern können, schien mir also schon damals eine durchaus vertraute Option. Als Refrain durften folgende Zeilen herhalten, die heute aktueller denn je scheinen: "Das nächste Jahr wird anders, / Das ist doch völlig klar, / Denn würd's so bleiben, wie es ist, / Dann blieb's ja wie es war." Und das wäre ja irgendwie blöd, wer will das schon?!

Also habe ich recherchiert, ob winter- oder krisenmüde Menschen und im Besonderen solche, die in der Kultur ihren Lebensunterhalt verdienen, in der Lage sind, in einen Dauerschlaf zu verfallen. Damit wäre ja vielen geholfen. Der oder die Kulturschaffende wäre von der Straße und würde durch seine bloße Präsenz nicht mehr daran erinnern, dass die Kultur mit zu den absoluten Verlierern dieser Krise gehört. Das würde vielen wohlwollenden Beobachtern vielleicht auch ein bisschen das schlechte Gewissen ob der manchmal zulasten der Kultur unausgewogenen Maßnahmen nehmen. Ein weiterer offensichtlicher Vorteil läge darin, dass die laufenden Kosten (auch für die Regierung) durch einen solchen Schlaf dauerhaft gesenkt würden und, dass der/die Kulturschaffende frühestens im März und somit pünktlich zur Auszahlung der Novemberhilfe aufwachen würde. Also: eigentlich Win-win vom Feinsten.

Und tatsächlich bin ich bei meinen Recherchen auf einen Artikel gestoßen, der eindeutige Beweise dafür hat, dass schon besonders vorausschauend planende Urmenschen durchaus in der Lage waren, in einen winterlichen Dauertiefschlaf zu verfallen. Das konnte bewiesen werden, da die Knochen dieser vor 400 000 Jahren lebenden Frühmenschen immer im Winter das Wachstum aussetzten. Ein eindeutiges Indiz für Winterschlaf.

Nun stellt sich mir nur die Frage, waren diese visionären weil schlafenden Neandertaler auch Kulturschaffende? Könnte schon sein. Warum hätten sie sonst auch so lange ruhen sollen? Schließlich war ein Kulturbetrieb unter winterlichen Höhlenbedingungen auch damals schon undankbar und das Publikum - ähnlich wie heute - durch systemrelevantere Beschäftigungen wie Nahrungssuche oder Homeschooling vereinnahmt.

Doch die Urmenschen haben sich besonnen, und im Laufe der Evolution nahm die Kultur einen immer größeren Stellenwert ein. Schon in der Höhle wurde gemalt, es wurden Geschichten erzählt und - es wurde gelacht! Mein Gott, was haben die gelacht! Bis heute hat sich die Kultur weiterentwickelt, meist nach oben. Kultur hervorzubringen war immer ein Zeichen für die Reife und den Erfolg eines Gesellschaftssytems. Ich glaube daran, dass auch unsere Gesellschaft trotz Krise ihre Kultur nicht vernachlässigt. Und wenn es nur ein Traum ist, dann schlaf ich einfach weiter.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2021
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