Menterschwaige:Kampf um die Gartenstädte - eine Idylle verschwindet

Menterschwaige: Das Antlitz der Menterschwaige ändert sich seit Jahren rasant - wie so viele der sogenannten Gartenstädte Münchens.

Das Antlitz der Menterschwaige ändert sich seit Jahren rasant - wie so viele der sogenannten Gartenstädte Münchens.

(Foto: Google Earth)
  • In Münchens Gartenstadtvierteln werden immer mehr Einfamilienhäuser abgerissen und durch große Apartementblocks ersetzt.
  • Ein solcher Fall erhitzt mitten in der Menterschwaige die Gemüter, die Anwohner protestieren laut.
  • Hieran zeigt sich das Dilemma der Stadt: Auch sie lehnt die Neubau-Pläne ab, hat nun aber vor Gericht verloren.

Von Kassian Stroh

Für die Nachbarn ist der Plan schlicht monströs, für die Stadt war mit ihm eine "rote Linie" überschritten, wie das Planungsreferat öffentlich kundtat - doch sie alle müssen sich nun geschlagen geben. Am Schmorellplatz in der Menterschwaige wird aller Voraussicht nach eine noble Villa abgerissen und durch ein 40 Meter langes und knapp 13 Meter hohes Mehrfamilienhaus ersetzt, in letzter Instanz gebilligt durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Ein Bau, der nicht nur wegen seiner Dimensionen ein besonderer ist, sondern auch wegen der juristischen Hintergründe - und der beispielhaft steht für den Ärger über die sogenannte Nachverdichtung in den Gartenstädten Münchens, den grünen, von Einfamilienhäusern geprägten Vierteln am Stadtrand, die dieses Gesicht zunehmend verlieren.

"Wenn das gebaut wird, dann bin ich komplett eingesperrt in einer dunklen Höhle", prophezeit zum Beispiel Roman Telega. Er besitzt in einem der Häuser nebenan eine Eigentumswohnung. Seine Furcht: Die Sonne bekäme er dort dann nicht mehr zu Gesicht, "dann sitze ich auf der Terrasse vor einer großen Wand, die nur zehn Meter weg ist". Man sei nicht egoistisch, ist bei den Nachbarn immer wieder zu hören, aber mit der Idylle wäre es, kommt der Neubau, vorbei. Von Gartenstadt könne allmählich keine Rede mehr sein. "Die ganzen Häuser werden abgerissen und dann diese Bunker hingestellt", sagt Telega. Gärten würden zugebaut, Bäume gefällt - und wohin bitte solle der zunehmende Verkehr, wenn an einer Adresse statt einer Familie plötzlich ein Dutzend Parteien leben?

Die zweistöckige Villa am Schmorellplatz 8, die auf einem etwa 2000 Quadratmeter großen Grundstück steht, hat die Allianz vor nicht einmal 30 Jahren für einen ihrer höchsten Manager gebaut, später lebte der FC-Bayern-Fußballer Luiz Gustavo dort. Vor etwa sieben Jahren kaufte Stefan Leberfinger die Villa, ein in Immobilien- wie Gesellschaftskreisen bekannter Münchner Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. 2014 schickte er an die Stadt eine Voranfrage für einen Bau mit sechs großen Wohnungen und einem Penthouse oben drauf.

Die Nachbarn protestierten laut, die Stadt lehnte das Ansinnen schriftlich ab: Zu massiv, zu groß sei der Neubau. Und dass dafür Bäume gefällt werden müssten, wollte sie auch nicht dulden. "Es ist unsere Aufgabe zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter", sagte damals eine Sprecherin des für Baugenehmigungen zuständigen Planungsreferats. Die Behörde nahm die Angelegenheit so wichtig, dass an der entscheidenden internen Sitzung sogar die Chefin, Stadtbaurätin Elisabeth Merk, teilnahm - mehr als ungewöhnlich bei einer Bauvoranfrage.

Dennoch konnte sich die Stadt mit ihrer Ablehnung nicht durchsetzen: Leberfinger zog vors Verwaltungsgericht und bekam eindeutig recht. Als die Stadt aus Gründen des Baumschutzes Berufung einlegte, verlor sie erneut. Der Verwaltungsgerichtshof bestätigte das Urteil, das die Stadt dazu verdonnerte, die Voranfrage positiv zu beantworten. Seit einem Monat nun hat Leberfinger seinen Bescheid. Und weil die Stadt daran gebunden ist, wenn es später um die konkrete Baugenehmigung geht, ist die Sache wohl durch.

Es kommt nur selten vor, dass die Stadt vor den Verwaltungsgerichtshof zieht. Da muss es schon um Grundsätzliches gehen, und das tut es in diesem Fall. Denn für die Gegend um den Schmorellplatz und den nahen Gutshof Menterschwaige, eine der feinsten Wohnadressen Münchens, gibt es keine Bebauungspläne. Für Neubauten ist deswegen Paragraf 34 des Baugesetzbuchs entscheidend. Der besagt, vereinfacht gesprochen, dass alles genehmigt werden muss, was sich von seiner Größe und Lage her in die Bebauung der Umgebung einfügt. Das eröffnet Interpretationsspielraum. In vielen Fällen werfen erboste Gartenstadt-Bewohner der Verwaltung vor, sie sei zu lasch gegenüber Investoren und genehmige zu viel, sodass die Viertel ihren Charakter zunehmend verlören.

"Es hat sich schon so viel verändert, da ist kaum noch was zu retten."

In der Tat ist mancherorts in Harlaching oder Trudering die Entwicklung rasant, alte Einfamilienhäuser weichen eins ums andere mal Reihenhausriegeln, manchmal ganzen Apartmentblöcken. Die Stadt entgegnet auch angesichts des zunehmenden Baudrucks, dass ihr die Hände gebunden seien: Sei sie zu streng, bekämen die Bauherren regelmäßig recht vor Gericht - so wie nun im Fall Schmorellplatz.

Was Stadtplaner als Nachverdichtung bezeichnen, ist ein Politikum. Vor der Kommunalwahl 2014 kochte das Thema hoch, vielerorts gründeten sich Bürgerinitiativen, die vor allem in der CSU Fürsprecher fanden und die sich schließlich zum "Bündnis Gartenstadt München" zusammenschlossen. Doch um das Bündnis ist es zuletzt ziemlich ruhig geworden, wie auch Johannes Stöckel einräumt, einer der Initiatoren. Das liege an der Frustration vieler Beteiligter mangels Erfolgserlebnissen, sagt er: "Viele haben ein Ohnmachtsgefühl: Es hat sich schon so viel verändert, da ist kaum noch was zu retten."

Ihr Ende ist nahe: die Villa am Schmorellplatz 8.

Ihr Ende ist nahe: die Villa am Schmorellplatz 8.

(Foto: Robert Haas)

Stöckel hat auch die Bürgerinitiative Gartenstadt Harlaching mitbegründet. Auslöser dafür war der Bau eines Blocks mit zwölf Apartments an der Harthauser Straße in der Menterschwaige. Die wütenden Anwohner, die damals Unterschriften sammelten und demonstrierten, sahen das als Sündenfall der Stadt, auch weil die Verwaltung dort erstmals vier Stockwerke genehmigte. Im Nachhinein sehen sie ihre Befürchtungen bestätigt: Die Maße eben dieses Blocks zog Leberfinger als Bezugsgröße für seinen Neubau auf dem Nachbargrundstück Schmorellplatz 8 heran - und so gewann er letztlich gegen die Stadt.

„Unabsehbar hohe Folgekosten“

Wie soll man mit der Bauwut in den Einfamilienhaus-Vierteln umgehen? Mit dieser Frage schlägt sich München schon seit Langem herum. Vor 20 Jahren schien die Stadt eine Lösung gefunden zu haben: Nahezu einstimmig verabschiedete der Stadtrat 1999 die sogenannte Gartenstadtsatzung, die in 17 Gebieten die Bebauung stark einschränkte - etwa indem sie größere Abstandsflächen zu den Nachbarn vorschrieb. Doch die Satzung lebte nur kurz: Im Jahr 2004 kassierte sie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof als unzulässig. Da es meistens keine Bebauungspläne gibt, gilt in den Gartenstädten Paragraf 34 des Baugesetzbuchs: Solange sich ein Neubau "in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt", muss er genehmigt werden. Auf den großen Gartengrundstücken können somit oft weit größere Häuser gebaut werden als die, die dort seit Jahrzehnten stehen. Der Wert der Grundstücke ist enorm - der Verwertungsdruck auch.

Die Stadt werde ihrem Ziel, den Charakter der Gartenstädte zu bewahren, nicht gerecht, kritisieren viele Initiativen. Sie müsse endlich Bebauungspläne mit entsprechend strengen Kriterien aufstellen. Das aber lehnt die Stadt ab: Denn wenn man in einem solchen Fall Baurecht einschränke, habe der Grundeigentümer einen Anspruch darauf, entschädigt zu werden. Somit drohten "unabsehbar hohe Folgekosten", heißt es in einem Rechtsgutachten, das die Stadt vor drei Jahren in Auftrag gab. Das "Bündnis Gartenstadt München" widerspricht in einem Gegenpapier und argumentiert damit, dass sieben Jahre nach der Aufstellung eines Bebauungsplans deutlich geringere Entschädigungen fällig würden, was die von der Stadt beauftragten Juristen aber bestreiten.

Die Stadt setzt nun vielmehr auf (rechtlich unverbindliche) "Rahmenpläne" für Gartenstadtviertel, was grundsätzlich auch der Bündnis-Sprecher Johannes Stöckel begrüßt: Die seien sinnvoll, aber nur wenn sie als Vorbereitung für weitere Schritte wie Bebauungspläne dienten. Diese Möglichkeit erwägt auch das städtische Gutachten, aber nur im Einzelfall, um Entschädigungsfragen dann "von Fall zu Fall" regeln zu können. Ob es allerdings je soweit kommt, ist politisch völlig offen. kast

Politik und Verwaltung stecken im Zwiespalt: Mehr Wohnungen sind gewünscht, auch alte Villenviertel nicht sakrosankt, andererseits will die Stadt die Entwicklung steuern. Dafür setzt sie nun auf ein neues Instrument: Der Stadtrat hat einen Versuch mit sogenannten Rahmenplänen auf den Weg gebracht. Darin wird für einzelne Viertel definiert, was die Stadt dort ermöglichen und verhindern will. Diese Pläne sind dann zwar nicht rechtsverbindlich, aber gegenüber Bauherren, Nachbarn und auch vor Gericht eine gute Argumentationshilfe, hofft das Planungsreferat.

Eines der drei geplanten Testgebiete ist just die Menterschwaige, und nach den vom Referat vorfomulierten Grundsätzen wäre Leberfingers Neubau dort zu groß. Ob diese Rahmenpläne der Stadt bei künftigen Streitfällen mehr Durchsetzungskraft verleihen, ist offen. Denn in ihrem Urteil zum Schmorellplatz haben die Richter geschrieben: Für den Paragrafen 34 des Baugesetzbuchs komme es allein darauf an, was an Häusern in der Umgebung tatsächlich stehe. Diese Frage "auf das zu beschränken, was städtebaulich wünschenswert oder vertretbar erscheint", sei unzulässig.

Die Stadt verfolge eine einfache Strategie, sagt Leberfinger: "Wenn es Widerstände in der Nachbarschaft gibt, ist sie geneigt, den Plan erst einmal abzulehnen. Sie will es sich mit den Nachbarn nicht verscherzen und rechnet damit, dass es irgendeinen Deal gibt." Sie setze also auf das Einlenken der Bauträger oder privaten Bauherren, da diese unter dem Druck stünden, rasch bauen zu müssen. Er aber nicht, sagt Leberfinger, und deshalb habe er die Sache gerichtlich durchgezogen.

Dass Anwohner Einwände erheben, könne er verstehen. Und er sehe ja auch, dass sich der Charakter der Menterschwaige, in der er selbst lange gelebt habe, "massiv verändert" habe. "Aber ich fühle mich nicht dazu aufgerufen, das zu verhindern." Zumal das Problem ja bleibe, dass München mehr Wohnraum brauche. "Wenn wir nicht nachverdichten, dann muss man das auf einem Acker oder Grünland machen", sagt Leberfinger. "Und das ist wegen der Versiegelung ökologisch problematischer."

Am Schmorellplatz wollen nun mehrere Nachbarn, wie sie sagen, ihrerseits gegen den positiven Vorbescheid klagen - auch gegen den Rat ihres Anwalts Lutz Paproth, der eine betroffene Wohnungseigentümergemeinschaft vertritt. Er sagt: "Ich habe empfohlen, nichts zu machen. Da haben wir keine Chance." Zu eindeutig seien die Urteile der Verwaltungsrichter. "Das ist leider der Gang der Zeit", räsoniert Paproth. "Die Nachverdichtung wird man in München nicht aufhalten können."

Anmerkung der Redaktion: Der Rechtsanwalt Lutz Paproth hat der SZ am 10. April 2019 mitgeteilt, dass er seine rechtliche Einschätzung noch vor Erscheinen des Artikels geändert und seinen Mandanten geraten habe, gegen den Vorbescheid der Stadt München zu klagen. Zwischenzeitlich seien Klagen zum Verwaltungsgericht München erhoben worden.

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