Süddeutsche Zeitung

Garmisch-Partenkirchen:Das Ende einer Alpensinfonie

Alexander Liebreich hat mit sofortiger Wirkung die Leitung des Richard-Strauss-Festivals niedergelegt. Er arbeitete jahrelang ohne Vertrag, ohne Betriebsbüro, ohne klares Budget

Interview von Egbert Tholl

Am Donnerstagmorgen teilte Alexander Liebreich dem Gemeinderat von Garmisch-Partenkirchen mit, dass er die künstlerische Leitung des Richard-Strauss-Festivals mit sofortiger Wirkung niederlege. 2018 und 2019 hatte der frühere Leiter des Münchener Kammerorchesters und derzeitige Chefdirigent des Rundfunksinfonieorchesters in Prag die künstlerische (Neu-)Ausrichtung des Festivals in Garmisch-Partenkirchen bestimmt, dieses Jahr fiel es wegen der Corona-Pandemie aus.

SZ: Herr Liebreich, wie lange wollten Sie das Richard-Strauss-Festival künstlerisch leiten, als Sie 2017 gefragt wurden?

Alexander Liebreich: Das erste Gespräch diesbezüglich war schon 2016 mit Ministerialdirigent Toni Schmid und dem damaligen Kunstminister Ludwig Spaenle, als ich den Bayerischen Kulturpreis bekommen habe. Es war deren Idee, dass ich es, als Bayer, mal in Garmisch-Partenkirchen versuchen sollte. Für viele Jahre.

Wer war damals für das Festival verantwortlich?

Das Kuratorium bestand damals aus der künstlerischen Leiterin Brigitte Fassbaender, die das Festival abgeben wollte, der Strauss-Familie, dem Ministerium und dem Bayerischen Rundfunk. Dann stellte ich ein Konzept vor, das vorsah, in die Natur zu gehen, weil Garmisch-Partenkirchen über keinen qualifizierten Konzertsaal verfügt, aber von spektakulärer Natur umgeben ist.

Das Festival gibt es seit 30 Jahren, und sein bester Spielort ist die Eissporthalle.

Die hat ein großes Fassungsvermögen, ist akustisch gar nicht so schlecht, aber atmosphärisch schwierig. Dann gibt es noch das Kongresshaus, ein Mehrzwecksaal, der akustisch wahnsinnig schwierig ist.

Was hat Sie am Festival gereizt?

Die Inspiration durch die Natur vor Ort, die Richard Strauss selbst gesucht hat. Ich habe ja Festivals in Katowice (Polen) und in Tongyeong (Südkorea) geleitet und immer wieder analysiert, warum Festivals funktionieren oder nicht, festgestellt, dass Großstädte grundsätzlich dafür nicht geeignet sind. Es gibt natürlich viele Festivals in großen Städten, aber die haben für deren Gesamtprofil wenig Bedeutung. Kleinere Städte können durch Festivals einen unglaublichen Strukturwandel bekommen. In Tongyeong war es der Wandel von der Fischerei zur Kultur, in Katowice der weg vom Kohlebergbau. Bei Garmisch-Partenkirchen stand in der Diskussion des Freistaats, dass man den Ski-Sport nicht ewig weitertragen können wird und es eine neue Kulturidentität geben muss.

Haben Sie ein Faible für prekäre Orte?

Die genannten drei Orte haben alle eine enge Verbindung zu Komponisten oder Musikern. Katowice und Tongyeong wurden dann beide Unesco-Weltmusikstädte und bauten sensationelle neue Konzertsäle.

Wie viel Freistaat steckt eigentlich im Garmischer Festival?

Der Freistaat gab bis vor fünf Jahren zwischen 20 000 und 30 000 Euro. Im letzten Jahr von Brigitte Fassbaender ging es auf die 70 000 Euro zu, zuletzt waren es zwischen 180 000 und 250 000 Euro. Auch um ganz bewusst zu zeigen, dass es kein Festival für die Straussianer zwischen Fußgängerzone und Kongresshaus ist, sondern auch für die Region. So kam etwa Ettal hinzu, wo Strauss' Kinder zur Schule gingen.

Hat der Freistaat Sie engagiert?

Nein. Die Vorstellung des Konzepts fand an vier Stellen statt: Gemeinderat, Freistaat Bayern, Freunde und Förderer, Kuratorium. Um allen zu sagen: Wenn ihr das nicht mittragt, bin ich nicht dabei. Das Festival ruht auf drei Säulen, Freistaat, Gemeinde, private Einnahmen und Förderer.

In Ihrem Brief an den Gemeinderat weisen Sie darauf hin, dass Sie nie einen Vertrag erhielten. Von welcher Stelle hätte der denn kommen sollen?

Die Gemeinde steuert 330 000 Euro zum Festival bei, was ich ihr extrem hoch anrechne. Die Verantwortung bleibt bei der Gemeinde, der Staat schießt zu. Nun gab es mit der Gemeinde eine Absichtserklärung, auf die ein Vertrag folgen sollte.

Was nie passierte.

Das empfand ich aber nicht als Problem. Sondern dass das, was wir in der Vorvereinbarung und für den Vertrag besprochen hatten, nicht umgesetzt wurde. Die Struktur hätte professionalisiert werden sollen, um das Festival überhaupt auf nationaler und internationaler Ebene etablieren zu können. Dazu hätte man vielleicht zwei Leute festanstellen müssen und dem Festival die Möglichkeit schaffen müssen, als juristische Person zu agieren. Das Problem einer politischen Trägerschaft ist, dass immer der Haushalt fürs nächste Jahr vorbehalten wird, was keine tragfähige Planung zulässt. Und: Wenn der Haushalt erst am Ende des Jahres beschlossen wird, kann man keinen Vorverkauf im Weihnachtsgeschäft oder beim laufenden Festival fürs nächste Jahr machen.

Es gibt keine administrative Struktur?

Genau. Es gab eine freie Mitarbeiterin, die nun in Mutterschaftsurlaub geht.

Doch der Zuspruch war gut?

Nun, es können immer mehr kommen. Es reisten deutlich mehr Zuschauer von weiter entfernt an, weil es einfach ein Erlebnis ist, ein Konzert in Kloster Ettal oder auf der Zugspitze zu erleben. Das hat Strahlkraft, das hat man in München nicht.

Ein Konzert auf der Zugspitze ist aber doch eher elitär. Da hat man Corona-Besucherzahlen vor Corona. Waren die Besucherzahlen insgesamt so, wie es sich die Gemeinde vorgestellt hatte?

Die Frage wurde einmal von einem Journalisten gestellt.

Und von der Gemeinde?

(es folgt eine lange Pause) Es gibt nicht die Situation, dass ich dem Gemeinderat Rede und Antwort stehen müsste. Aber eine Diskussion war immer präsent: Warum kostet klassische Musik so viel und es kommen so vergleichsweise wenige Menschen; da erreichten wir mit einer volkstümlichen Veranstaltung mehr.

Wie haben sich denn die Zuschauerzahlen im Übergang von Brigitte Fassbaender zu Ihnen entwickelt?

Das ist eine gute Frage, die ich nicht beantworten kann. Ein Intendant muss die beantworten können, aber ich bin ja keiner gewesen. Mir wurde nur gesagt, dass die Zahlen wohl sehr vergleichbar seien. Wir hatten aber eine andere Struktur, beispielsweise ein Konzert von Schülern für Schüler, die dafür keine Karte haben mussten. Da kam schon die Frage: Warum vergebt ihr 500 Freikarten?

Anders gefragt: Haben Sie fürs Künstlerische, für Ihr Konzept den entsprechenden Zuspruch erfahren?

In Ettal hatten wir 1000 Besucher und eine sensationelle Picknickstimmung, auf dem Wank hätten es mehr sein können. Was mit Besuchern von außen überhaupt nicht funktioniert, ist die Olympiaeissporthalle. Da ist keine Akzeptanz gegeben.

Das versteht man gut.

Insgesamt waren wir etwa bei 6000 Leuten - meiner Meinung nach zu wenig.

Und mit ein Grund dafür ist die Nichtexistenz eines Betriebsbüros?

In Sinne einer so fehlenden Marketingstrategie: ja. Die Zusammenarbeit an einem Ort muss doch von einer Tourismusgesellschaft mitgetragen werden. Wer von außen anreist, gibt viel Geld hier aus. Davon profitiert der ganze Ort.

Will Garmisch überhaupt dieses Festival?

Das Festival war immer in der Diskussion, seit es es gibt.

Doch trotz aller Widrigkeiten konnten Sie 2018 und 2019 künstlerisch das umsetzen, was sie vorhatten, oder?

Ja. So wie 2017 vorgestellt.

Warum machen Sie dann nicht weiter?

Weil es die Grundlage dafür nicht gibt und trotz wiederholter Nachfrage keinen Auftrag für eine künstlerische Planung 2021. Weil es gar keine Strukturen mehr gibt, noch weniger als in den Jahren zuvor. Ich wüsste nicht einmal, ob ich nächstes Jahr eine freie Mitarbeiterin fürs Betriebsbüro hätte. Von einer Institutionalisierung oder Budgetsicherheit ganz zu schweigen. Für dieses Jahr hatte ich ein verkleinertes Alternativfestival geplant, das die Stadt nicht haben wollte. Die Freunde des Festivals unter der Leitung von Thomas Goppel und Florian Streibl als Vorsitzender der Förderer wollten im September ein Konzert veranstalten, das der Ort gratis und ohne Kosten bekommen hätte. Die Antwort aus dem Rathaus war, dass sich Kultur im Ort momentan nicht vermitteln lasse.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2020
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