Garderobenfrau im Bayerischer Hof:"Ohne Zettel geht gar nix"

Garderobenfrau Annemarie Kleine im Bayerischen Hof

Mäntel annehmen, Zettel ausgeben, freundlich sein: Annemarie Kleine an ihrem Arbeitsplatz.

(Foto: Robert Haas)
  • Seit 45 Jahren arbeitet Annemarie Kleine im Hotel Bayerischer Hof. Angefangen hat sie als Zimmermädchen, irgendwann sprang sie dann als Hilfe an der Garderobe ein.
  • Ohne Zettel geht bei ihr gar nichts, da ist die Garderobenfrau streng und macht keine Ausnahmen. Selbst nicht bei den Promis.

Von Claudia Wessel

Thomas Gottschalk, der rufe immer "Hallo, wie geht's?". Wenn er zum Filmball kommt, dann wohnt er im Hotel Bayerischer Hof, er braucht also bei Annemarie Kleine keine Garderobe abzugeben. Aber wenn er an der Hauptgarderobe vorbei komme, dann winke er und grüße. Und Uschi Glas, das sei auch eine sehr Nette. Das war's aber auch schon fast mit Prominenten. "Die Jungen, die kenn' ich gar nicht mehr", bekennt Annemarie Kleine. "Da bewunder' ich beim Filmball vor allem die Kleider."

Seit 45 Jahren arbeitet sie im Hotel Bayerischer Hof. Angefangen hat sie als Zimmermädchen, irgendwann sprang sie dann als Hilfe an der Garderobe ein. "Da haben die angerufen: Anni, komm schnell, hier brennt's." So arbeitete sie sich auch hier ein, irgendwann wechselte sie ganz dorthin. Und auch nach der Rente hörte sie nicht auf. Drei Abende beziehungsweise Nächte ist sie auch jetzt noch an der Garderobe zu finden. "Ich bin einfach ein Arbeitsmensch", sagt sie. Ruhig daheim sitzen, das ist nichts für sie.

Auch ihr Lebensrhythmus wirkt nicht wie der einer alten Dame. Sie macht seit Jahren nur noch die Spätschicht: Beginn 17 Uhr, Ende offen. Drei Uhr wird es fast immer. Nur wenn die Zahl der Mäntel auf zehn Stück geschrumpft ist, dann kommt manchmal der Manager und sagt, sie solle nach Hause gehen. Die restlichen Mäntel übernimmt dann die Rezeption.

Die Liebe führte Annemarie Kleine nach Bayern

An Silvester arbeitet Kleine besonders gern. "Immer", sagt sie. "Dieses Jahr bin ich um sieben Uhr rausgekommen." Egal ob drei Uhr nachts oder sieben Uhr morgens, nach Dienstschluss steigt Annemarie Kleine auf ihr Radl, das in der Tiefgarage neben den Nobelkarossen steht, und strampelt nach Hause zum Stiglmaierplatz. "Ein bisschen frische Luft tut dann gut." Und nach einem Frühstück ab ins Bett. Viel Schlaf brauche sie nicht mehr, fünf Stunden reichen fast immer. "Das ist der Vorteil im Alter", sagt sie und lacht.

Abenteuerlustig war Annemarie Kleine schon immer. 1960 ist sie aus Ostberlin abgehauen, gemeinsam mit einer Freundin. Es war ziemlich spontan. Deshalb sind sie erst noch ein paar Runden mit der S-Bahn durch Berlin gefahren, von Ost nach West und wieder von Ost nach West, und haben überlegt, ob sie wirklich im Westen aussteigen wollen. Dann haben sie es getan. Sie heuerten in einem Berliner Hotel als Zimmermädchen an.

Doch nach einem Urlaub am Tegernsee verliebte sich Kleine in Bayern. Sie fand erst auf dem Land ein paar Jobs, dann entdeckte sie die Anzeige vom Hotel Bayerischer Hof. Klar, das Ambiente ist schon etwas, das den Job besonders macht. Aber privat, da interessiert sie sich ganz und gar nicht für Luxus und Glamour.

"Ohne Zettel geht gar nix"

Natürlich weiß sie, welche Lokalitäten es im Bayerischen Hof gibt. Das muss sie allein schon aus dienstlichen Gründen. Denn die Mäntel der Gäste aus dem Restaurant Atelier etwa werden immer von der dortigen Bedienung gebracht und extra gehängt. Sie war auch schon mal im Trader Vic's, aber nur ein einziges Mal auf Einladung der Hotelleitung. Und im Spa? Auch nur einmal, zur internen Weihnachtsfeier. Nein, privat möchte sie niemals dorthin gehen. "Das wäre doch schlimm", sagt sie, "die Gäste kennen mich von der Garderobe und dann treffen sie mich da."

Wenn man ihr eine Weile bei der Arbeit zuschaut, dann kann einem schon ganz duselig werden. Denn was so einfach zu sein scheint, ist es gar nicht. Wenn immer mehr edel gekleidete Herrschaften, an diesem Abend Teilnehmer einer Tagung der Süßwarenindustrie, ihre teuren Stücke auf dem Tisch ablegen, dazu oft Taschen, Schirme, Hüte, dann sieht es schwierig aus, alles so zu ordnen, dass man es zusammen wiederfindet.

Aber für sie, sagt Kleine, ist das inzwischen längst Routine. "Das mach' ich im Schlaf", meint sie und lacht. Sie erklärt ihre Methode, die Zettelchen mit einer Stecknadel zusammen zu heften, wenn mehrere Gäste gemeinsam kommen. Das Zettelpäckchen dann nur an den ersten Mantel, statt an jeden eines. Das spart viel Zeit.

Nur einmal ist ihr ein Fehler passiert

Wie verantwortungsvoll der Job ist, dessen ist sie sich sehr bewusst. Daher ist sie auch extrem streng. "Ohne Zettel geht gar nix", sagt sie dem netten Herrn im Smoking, der seine Witzchen beim Abgeben des Mantels macht. "Ich darf Ihnen den Mantel nicht geben, wenn Sie den Zettel nicht haben!", sagt Kleine. "Dann warten wir eben, bis alle Mäntel weg sind und Sie nach Hause gehen", scherzt er weiter. "Auch dann geht es nicht", beharrt Kleine. Das hat versicherungstechnische Gründe.

Wenn es nun voller und voller wird, die beiden drehbaren Garderoben mit je 300 Mänteln ebenso wie die weiteren Haken für 150 bis 250 Mäntel (je nachdem, wer hängt, sagt Kleine, sie bekommt 250 drauf) besetzt sind, kann da nicht mal etwas verwechselt werden und schief gehen? "Kann schon", sagt Kleine, "ist mir aber noch nie passiert". Nur einmal, "vor hundert Jahren", sagt sie, ist einer der Hakenständer komplett aus der Wand gerutscht. Alles lag auf dem Boden, kreuz und quer. "Dann musste ich jeden Gast bitten, mir seine Jacke haargenau zu beschreiben - es war mein peinlichster Arbeitstag." Zum Glück blieb er einmalig.

Es ist jetzt 18.30 Uhr, der Strom der Süßwarengäste ist verebbt, die Essensgäste der Restaurants kommen später. Der Abend ist noch lang. Essen? Dafür hat Kleine Chips und eine Plastikdose mit Apfelschnitzchen dabei. Ob wohl am Samstag zum Filmball Thomas Gottschalk wieder kommt? Nett wäre es ja, aber viel wichtiger sind die Roben der Damen. Und die kommen auf jeden Fall.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: