Gancia-Award: Jin:Der Autodidakt

Der aus Shanghai stammende Hao Jin vertraut in seinem Restaurant "Jin" am Altstadtring auf Intuition, Frische und die Tipps seiner Mutter.

Christina Warta

Er greift nach der Avocado, schlitzt sie längs auf, setzt den zweiten Schnitt so sicher wie ein geübter Chirurg und bricht ein Viertel des glitschigen, grünen Fruchtfleischs heraus. Mit einem Ruck zieht er die Haut ab, legt das entblößte Stück auf ein Brett und schneidet kleine, unregelmäßige Scheiben ab. Es hat etwas Magisches, wie Hao Jin kocht: schnell, sicher, fast beiläufig. Dann hebt er rohe Jakobsmuscheln auf den Teller, die Avocado dazu, träufelt Sesamsoße darüber, wenig Lachskaviar. Für Gerichte wie dieses muss Hao Jin nicht einmal in seine Küche gehen.

Das Restaurant Jin am Altstadtring trägt den Namen seines Chefs: Hao Jin, Jahrgang 1977, stammt aus der Nähe von Shanghai. 2009 wurde das dunkel getäfelte Lokal erstmals im "Gault Millau" gelobt: 15 Punkte, zwei Hauben - München hatte eine neue Feinschmeckeradresse. "Plötzlich war ich da", sagt Hao Jin und lacht ein bisschen. "Dabei war ich vorher auch schon da." 2010 hat ihn der Gault Millau mit 16 Punkten beehrt.

Seit 2002 betreibt Hao Jin die Räumlichkeiten an der Kanalstraße 14, zunächst als japanisches Restaurant. Doch die Münchner goutierten das Angebot nicht so recht, und so beschloss Hao Jin, sich auf jene Inspirationsquelle zu besinnen, die ihm zu hundert Prozent zur Verfügung stand: auf sich selbst. Als Koch ist er ohnehin Autodidakt, und so entwickelte er nun seinen eigenen Stil: Jin eben, er selbst nennt es "panasiatisch". Dazu gehört die größtmögliche Frische und Qualität der Produkte, das Wissen um die traditionellen chinesischen Garmethoden, außerdem die japanischen Einflüsse, die Hao Jin in all den Jahren in japanischen Restaurants überall in Europa aufgesogen hat. Authentisch soll es sein, zeitgemäß, mit der Konzentration aufs Wesentliche - das gilt auch für die Einrichtung. Mit rotem Leder bezogene Sitze, dunkles Holz, Kalligraphie an den Wänden: Im Jin dominiert eine zurückhaltende Eleganz.

Konsequenterweise stehen beim Minimalisten Jin deshalb nur zwei Menüs auf der Karte: Beim Klassikermenü kredenzt er unter anderem Carpaccio vom Loup de mer, Pralinen vom Schweinebauch und Entrecôte vom Charolais. Das Marktmenü variiert und richtet sich dabei eher an den abenteuerlustigen Gourmet. Mal gibt es Taschenkrebse, mal Rochenflügel, mal Ochsenschwanz. Denn auch das ist ihm wichtig: dass seine Gäste etwas wagen bei der Auswahl ihrer Speisen: "Es muss nicht immer Rinderfilet sein. Warum nicht Kalbsbäckchen oder eine Gelbschwanzmakrele?", fragt er und legt vorsichtig drei gefüllte Schwimmkrabben in seine Fischtheke.

Jene Gäste, die sich beklagen, weil Jin keinen Reis zu den Gerichten serviert, sind rar geworden. "Keine Sättigungsbeilage", ruft er empört, "im Mittelpunkt muss der Fisch stehen oder das Fleisch - und die perfekte Garmethode dafür". Das hat ihm seine Mutter immer wieder nahegelegt - "eine gelernte Buchhalterin", sagt er, "und eine große Hobbyköchin." Also holt sich Hao Jin nicht selten einen ganzen Thunfisch direkt aus Spanien und zerteilt ihn in seiner kleinen Küche - frischer geht es kaum. Fleisch mariniert er und dämpft, schmort er und brät, sein fünfköpfiges Küchenteam steht ihm zur Seite. Er nennt sich selbst bodenständig und bringt Kaviar vom Fliegenden Fisch auf den Tisch.

Nicht selten ist die Rede davon, dass Auszeichnungen in Gourmetführern wie dem Gault Millau auf die Köche einen immensen Druck ausüben. Hao Jin lacht wieder, als er das hört, und sagt: "Früher war der Druck groß. Jetzt nicht mehr. Wir sind einen langen Weg gegangen."

Restaurant Jin, Kanalstraße 14, Telefon 21949970, Dienstag bis Sonntag 12 Uhr bis 14.30, 18.00 bis 23.30.

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