Gästebücher:"Bodenloser Krampf"

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(Foto: DIV)

Wer in Gästebücher schreibt, erwartet keine Antwort. Hauptsache, er darf seine Meinung loswerden. Bestimmte Schreiber-Typen finden sich aber überall.

Von Christiane Lutz

In den Kammerspielen liegt es auf einer Art Pult im Eingangsbereich aus, wo man es trotzdem leicht übersehen kann. Im Deutschen Museum muss man danach an der Kasse fragen. Meist ist es von außen schlicht, häufig hat es die Form eines Kochbuchs, selten ist es bis auf die letzte Seite vollgeschrieben. Das Prinzip Gästebuch ist so veraltet, dass es schon wieder charmant ist. In München liegen solche Bücher nur noch selten aus.

Denn wer schreibt überhaupt noch in analoge Gästebücher im Jahr 2017, wo scheinbar alles digital abgewickelt wird? Beim Blättern stellt man fest: jede Menge Menschen. Die Gästebuch-Sammlung der Kammerspiele reicht zurück bis ins Jahr 2007, als der Intendant noch Frank Baumbauer hieß. Damals waren die Besucher auffallend zurückhaltend und schrieben häufig nur ihre Mailadressen auf, um regelmäßige Theaternewsletter zu erhalten.

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Im Literaturhaus stammt das älteste Buch aus dem Jahr 1997, damals muss, glaubt man den euphorischen Einträgen, eine Michael-Ende-Ausstellung ziemlich gut gewesen sein. Das Kind, das auf einer Seite Lukas, den Lokomotivführer, gezeichnet hat, könnte inzwischen selbst Lokomotivführer sein.

Die Pressestellen von Kammerspielen, Deutschem Museum und Literaturhaus versichern, man würde die Bücher regelmäßig lesen. Und wenn sich zehn Leute beschweren, dass das Kassenpersonal unfreundlich sei, dann sei vielleicht was dran und man könne etwas verbessern. In den Gästebüchern des Deutschen Museums sind gar kleine Vermerke mit rotem Stift unter einzelne Beschwerden gesetzt, wer wann geantwortet hat. Hinterlässt der Besucher eine Telefonnummer, wird er angerufen.

Die Häuser sind natürlich nicht auf Gästebücher angewiesen, um ein konstruktives Feedback auf ihre Arbeit zu bekommen. Die Pinakotheken zum Beispiel haben kein Gästebuch, sondern verteilen anonyme Feedback-Zettel, die man bei Bedarf ausfüllen und in einen Briefkasten werfen kann. Aber das Schöne an Gästebüchern im Gegensatz zu Feedback-Briefkästen ist ja, dass jeder mitlesen kann.

Als unsichtbarer Dritter, der ein Gespräch belauscht und in der Regel genau weiß, worum es geht. Schließlich war er selbst gerade in der Ausstellung oder der Theateraufführung. Gästebücher sind emotionale Kritik-Archive. Sie sind verschriftlichte Schnappschüsse eines spontanen Gefühls, festgehalten von und geteilt mit Menschen, die einander meist gar nicht kennen.

"Man will ja, dass jemand mitliest", sagt Alexander Haas, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft der LMU auf die Frage, warum Menschen überhaupt in Gästebücher schreiben. "Nicht nur der Intendant. Das Mitlesen ist Teil der Gratifikation." Ein Eintrag richte sich also immer auch an die anderen Besucher. Wissenschaftlich ist das Gästebuch kaum erforscht.

Haas geht aber davon aus, dass es Menschentypen gibt, die grundsätzlich geneigt sind, Feedback zu geben. Das seien auch diejenigen, die im Onlineshop gern Rezensionen über Bücher und Küchengeräte verfassen. Extrovertierte Menschen. Die außerdem davon ausgehen, dass ihr Urteil auch für andere wertvoll sein könnte.

Vergleicht man die Einträge in den Gästebüchern mit denen in sozialen Medien, fällt auf: Das schenkt sich wenig. "Wir denken immer, das Internet verändert den Ton der Kommunikation", sagt Haas. "Aber die Kommunikation unterscheidet sich kaum. Was glauben Sie, wie im Jahr 1800 in der bayerischen Provinz am Stammtisch über Homosexualität geredet wurde? Heute sehen wir diese Gespräche einfach."

Bösartiges findet sich also hier wie dort, wenngleich im Netz etwas lauter und grober geschimpft wird, als im Gästebuch eines Theaters. Für Haas ist auch klar: Wer in ein Gästebuch schreibt, dem geht es dabei nicht in erster Linie darum, eine Antwort von Matthias Lilienthal höchstpersönlich zu erhalten. Er möchte zu allererst seinen Unmut teilen. Oder eben seine Begeisterung.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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