Süddeutsche Zeitung

Kritik:Jubelstürme

Die US-Band "Future Islands" feiert in der Tonhalle den Schmerz.

Von Jürgen Moises, München

Samuel T. Herring hat sie noch alle drauf. Die Moves, die theatralischen und exaltierten Gesten, die den Sänger und seine Band Future Islands vor etwa zehn Jahren bekannt gemacht haben. Wie das animalische Klopfen auf die Brust. Das laszive Hüftkreisen und der angedeutete Limbo-Dance. Das imaginäre Lasso-Kreisen und fiktive Bullenreiten. Oder das seitliche Rennen, als würde er einen Speer oder so etwas werfen. Bei den Fans in der vollen Tonhalle löst er damit zuverlässig Jubelstürme aus. Da fliegen regelrecht die Endorphine durch die Luft. Und bei der Zugabe "Vireo's Eye" sieht man auch in Herrings Gesicht ein breites Grinsen.

Da gibt es wohl etwas nachzuholen, hat man den Eindruck. Tatsächlich wurde die Tour zum bereits 2020 erschienenen Album "As Long As You Are" mehrfach verschoben. Hinzu kommt, dass man die Pandemie so wie ein paar andere schlimme Dinge vergessen will. Der sehnsüchtige, an Wave und Disco andockende Synthiepop der Future Islands ist dafür ein probates Mittel. Wobei in der Musik des US-Quartetts aus Baltimore und vor allem in Herrings Texten oft ein Stachel steckt. In "Thrill", erzählt der Sänger, gehe es um "Isolation und Sucht in einer Kleinstadt". In "Before The Bridge" darum, wie man in einer Kleinstadt in North Carolina alleine nach Hause geht. Und möchte man das nun psychoanalytisch deuten, könnte man sagen: Da arbeitet sich jemand an seiner unglücklichen Kleinstadt-Herkunft ab.

Dann geht es aber auch um die Liebe. Das Geliebt-werden-Wollen. Und bei der Ankündigung von "Light House" sagt Herring den Satz: "We gain from pain." Der Schmerz ist gut. Er bringt uns weiter. Aber nur, wenn man ihn dann wieder loswird. Vielleicht deshalb die exaltierten Gesten, mit denen er den Schmerz herausschleudert. Oder das dumpfe Grunzen, mit dem Herring immer wieder irritiert. Womit er aber auch das Pathos aufbricht. Seine drei Kompagnons machen das Gleiche ab und an mit kleinen Lärmkaskaden. Ansonsten stehen sie nur statuarisch rum und überlassen Herring die ganze Show, genauso wie dem Publikum, das neue Songs wie "For Sure" oder "The Painter", aber vor allem ältere Hits wie "Seasons" oder "Tin Man" feiert. Nach lauten "Zugabe"-Rufen geht es mit drei Stücken noch in die Verlängerung. Und danach verschwitzt und glückstrunken nach Hause.

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