Süddeutsche Zeitung

Fußgängerzone wächst:Eroberung durchs Fußvolk

1972 wurde der erste Teil der Münchner Innenstadt für den Verkehr gesperrt. Seither hat sich die Kommerz- und Flanierzone immer weiter ausgedehnt, zuletzt bis in die Sendlinger Straße.

Alfred Dürr

An diesem Freitagmorgen ist es ruhig in der neuen Fußgängerzone an der Sendlinger Straße. Wenige Passanten schlendern über die frisch verlegten Platten. Richtig viel los ist hingegen ein paar Meter weiter, vor dem Apple-Store: Menschen in einer schier endlosen Schlange, die unbedingt ein neues Telefon brauchen. Ein ähnliches Bild mit sehnsüchtig ausharrenden Käufern erlebt man wahrscheinlich bald auch in der Sendlinger Straße, dann nämlich, wenn das amerikanische Kult-Modelabel Abercrombie & Fitch erstmals die Türen in dem neuen Büro- und Geschäftshaus Hofstatt öffnet - voraussichtlich Mitte oder Ende Oktober wird das sein.

Die Münchner Innenstadt ist attraktiv, kein Zweifel. Und sie bekommt immer wieder frische Impulse. Wie jetzt mit der neuen Sendlinger Straße. An der nahen Fürstenfelder Straße 13 ist das Traditionsgeschäft Cordes Pralinen raus, der Filialist Zara Home zieht rein. Die neue Fußgängerzone sei ein Riesengewinn, sagt Johannes Peter Martin, der Geschäftsführer von Kaut Bullinger Bürobedarf an der Rosenstraße, einem Münchner Familienunternehmen mit einer mehr als 200-jährigen Geschichte. Die "Besucherströme" würden jetzt stärker vom Marienplatz in Richtung Sendlinger Straße geleitet und natürlich auch an Kaut Bullinger vorbei. Die Schaufenster und das Innere des Hauses wurden gerade zu einladenden Flächen umgebaut.

Seit mehr als 40 Jahren gibt es die Fußgängerzone im Zentrum der Stadt. Eine Rennstrecke des Kommerzes ist sie, wenn man so will, aber eben auch das Territorium für Flaneure. Wo sich einst zwischen dem Marienplatz und dem Stachus der Auto- und Straßenbahnverkehr durchquälte, eroberten sich die Fußgänger die Kaufinger- und Neuhauser Straße. Diese Zone zog magisch die Menschen an. Bereits eine Woche nach Eröffnung im Jahr 1972 hatte sich die Zahl der Menschen, die sich dort aufhielten, mehr als verdoppelt. Die Geschäfte profitierten enorm, sie verzeichneten schnell ein Umsatzplus von bis zu 40 Prozent.

Die Fußgängerzone hat sich im Verlauf ihrer Geschichte ausgedehnt: auf die Theatinerstraße, auch die Umgebung des Viktualienmarkts kam hinzu, dann der Sebastiansplatz und der St.-Jakobs-Platz, der Bereich um das Platzl am Hofbräuhaus sowie die Schützenstraße zwischen Hauptbahnhof und Stachus. Jetzt ist auch die Sendlinger Straße dabei, allerdings nicht ganz, sondern nur vom Färbergraben bis zur Hackenstraße. Auch an der Salvatorstraße sind auf einer Teilfläche die Autos verbannt worden.

Aber endlos vergrößern kann man die reinen Fußgängerbereiche nicht. Geschäfte und Lokale müssen mit Fahrzeugen beliefert werden, Höfe oder Passagen sollten nicht im Niemandsland enden. Eine größere Aktion soll allerdings noch in diesem Jahr abgeschlossen werden: Der sogenannte Sattlerplatz zwischen dem Hirmer-Parkhaus und der ehemaligen Post am Färbergraben wird verschönert. Der Parkplatz soll verschwinden, dafür wird ein Weg mit Bäumen zwischen dem neuen Hofstatt-Gebäude und der Passage Kaufingertor hin zur Fußgängerzone angelegt.

Für Investoren sind die Fußgängerzone und ihre unmittelbare Umgebung begehrte Standorte. Zwei große Neubauprojekte, die bald fertig werden, buhlen um die Gunst des Publikums. Neben der Hofstatt auf dem ehemaligen Areal der Süddeutschen Zeitung ist dies das Joseph-Pschorr-Haus in der Neuhauser Straße auf dem ehemaligen Grundstück des Kaufhauses Karstadt am Dom. Dort war gerade Richtfest. Schörghubers Bayerische Hausbau braucht sich keine Vermietungssorgen zu machen. Alle Verkaufsflächen sind bereits weg. Einen bessere Lage für seinen Laden kann man nicht finden. Auch das Palais an der Oper, die ehemalige Residenzpost, dürfte zu einem Anziehungspunkt werden.

Wenn die Kräne für diese Großprojekte verschwunden sind, bedeutet das freilich nicht das Ende der Bauaktivitäten. "Es ist unglaublich, welche Dynamik sich hier entwickelt", sagt Wolfgang Fischer, der die Interessen der Innenstadtkaufleute vertritt: "Kaum ist das eine Haus fertig, geht's mit dem Umbau des anderen weiter." Eine ganze Reihe von Vorhaben stehen auf dem Programm. Um nur einige Beispiele zu nennen: Schörghuber will direkt am Marienplatz das Donisl-Haus umbauen, H & M zieht in eine große Filiale in der Weinstraße (wo früher das Kindergeschäft Schlichting war) und nach dem Umzug von Sport-Scheck von der Sendlinger Straße in das Pschorr-Haus steht wohl auch in der alten Heimat ein Neubau an.

München mit seiner klar begrenzten und schönen Altstadt sowie der guten Verkehrsanbindung ist ein wesentlicher Grund für die hohe Attraktivität der Fußgängerzone. Aber der Hauptgrund für den Erfolg liegt in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, also der hohen Kaufkraft in München, dem Umland und der ganzen südbayerischen Region. Das macht es so begehrenswert, mitten in der Stadt ein Geschäft zu haben.

Ob das auch für eines der interessantesten Projekte gilt, das bald Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird, bleibt abzuwarten. Erwartungsgemäß ist jetzt die dem Freistaat gehörende "Alte Akademie", in der bislang vor allem das Statistische Landesamt war, auf dem Markt. Der Freistaat will den Komplex mit dem Verwaltungs- und Geschäftsgebäude in der Neuhauser Straße nahe der Michaelskirche nicht verkaufen, sondern ihn gegen Höchstgebot im Erbbaurecht auf 65 Jahre vergeben.

Auf diese Weise kann ein Investor zwar umplanen, aber langfristig bleibt die wertvolle Immobilie mit ihrem kulturellen Hintergrund als ehemaliges Jesuitenkolleg und Kunstakademie im Besitz des Staats. Was mit dem Gebäude geschehen könnte, ist unklar. Große bauliche Eingriffe, etwa mit Läden hin zur Fußgängerzone, sind nicht möglich, da der Komplex unter Denkmalschutz steht. Vorgesehen ist auch eine kulturelle Nutzung. Das Erzbistum München-Freising hat bereits den hinteren Teil der Alten Akademie erworben und wird dort seine Verwaltungszentrale errichten. Alles andere bleibt den kreativen Investoren. Angebote können bis zum 31. Januar 2013 abgegeben werden.

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Quelle:
SZ vom 22.09.2012/afis
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