Fußgängerzone in München:Gedrängt wie Schafe

München wird immer größer: 115.000 Bewohner kamen in den letzten zehn Jahren dazu.

In der Fußgängerzone gibt es heute zwar mehr Platz, zu Gedränge kommt es trotzdem oft genug.

(Foto: Stephan Rumpf)

Flanieren zwischen Stachus und Marienplatz - das war für Fußgänger in den Sechzigerjahren alles andere als entspannend. Dort fuhren damals täglich 75 000 Autos und 1400 Straßenbahnen. Heftige Debatten mussten geführt werden, bis mit der Fußgängerzone endlich Ruhe einkehrte.

Von Kassian Stroh

Der erste Versuch war, glaubt man den zeitgenössischen Berichten, eher ein Reinfall. Am zweiten Adventssamstag 1961 wird die Münchner Innenstadt erstmals für Autos gesperrt. Und zwar radikal: zwischen Stachus und Isartor, zwischen Odeonsplatz und Sendlinger Tor, von 10 bis 18 Uhr. Doch es bewährt sich nicht: "Um das Chaos nicht noch zu vergrößern", hebt die Polizei den Sperrgürtel nach drei Stunden wieder auf, allein Kaufinger- und Neuhauser Straße bleiben bis zum Abend autofrei.

Das Fazit: Die Autofahrer klagen, die Geschäftsleute auch, denen die "Autokundschaft" fehlt, selbst die Fußgänger mosern, weil es zu viele Ausnahmen ("Durchlassscheine") gegeben habe. So endet der erste Versuch, Münchens Zentrum zur Fußgängerzone zu machen.

Das Problem

Münchens Innenstadt ist in jener Zeit voll, insbesondere der Bereich vom Stachus bis zum Marienplatz: Bis zu 75 000 Autos fahren dort angeblich und 1400 Straßenbahnen - jeden Tag. Die Fußgänger drängeln sich auf schmalen Bürgersteigen. Besonders schlimm ist ihre Lage an den Adventssamstagen: "Wie die Schafe" würden sie von Kraftfahrern an die Wand gedrückt, klagt Stadtrat Ludwig Schmid im Dezember 1961. Dass die von ihm angeregte erste Sperrung nicht ganz funktioniert, liegt vielleicht auch daran, dass sie eher kurzfristig erfolgt: Nur zwei Tage zuvor hat der Stadtrat den Versuch beschlossen. So schnell kann Politik sein.

Die Autos zeitweilig an Samstagvormittagen auszusperren, wird aber vom Jahr 1962 an zur Regel. Man sei zu dieser Maßnahme gezwungen, heißt es bei der Polizei, da andernfalls "die zahlreichen Fußgänger, die dort ihre Einkäufe machen wollen, ernstlich gefährdet" wären.

Der General-Plan

Zu Beginn der 1960er-Jahre ist freilich immer wieder im Gespräch, auch dauerhaft eine Fußgängerzone zu errichten. 1960 gibt der Stadtrat für München einen Stadtentwicklungsplan in Auftrag; maßgeblich formuliert wird er von Stadtplaner Herbert Jensen, der zuvor in Kiel bereits einen autofreien Bereich geschaffen hat. 1963 verabschiedet der Stadtrat das Werk, es geht um die Entwicklung des gesamten Großraums, und darin findet sich auch die Idee, im Zentrum "zusammenhängende Fußgängerbereiche" auszuweisen, freilich nur, wenn es genug Entlastungsstraßen, Parkhäuser und öffentliche Nahverkehrsmittel gibt.

Solche Zonen sollten sich "beruhigend auf das innerstädtische Leben auswirken und zum Verweilen einladen", heißt es in dem Plan. "Überall in der Welt ist das gleiche Bestreben erkennbar, das Stadtinnere als Treffpunkt, als Stätte der Begegnung und der Organisation des Zusammenlebens dem Menschen wieder zurückzugewinnen. Gerade München als Fremdenverkehrsstadt ersten Ranges würde dadurch sehr gewinnen."

Und was war die Hauptmotivation für eine Fußgängerzone? "Die Lebensqualität zu steigern", sagt Hans-Jochen Vogel, der 1960 Oberbürgermeister geworden ist. Nicht etwa die Überlegung, im Zentrum mehr Geschäft machen zu können. Im Gegenteil: Wie so oft bei diesem Thema sind auch die Münchner Geschäftsleute zumeist skeptisch bis ablehnend; sie fürchten, Kunden zu verlieren. "Die Debatten waren lebhaft", erinnert sich Vogel, "aber erfreulicherweise gewannen die Befürworter bald die Oberhand."

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