Fußgängerzone:Reiters Ideen für eine autofreie Münchner Altstadt

München Neuhauserstrasse 1960

Fahren statt Flanieren: Die Neuhauser Straße (hier eine Aufnahme aus dem November 1960) wurde erst im Jahr 1972 zur Fußgängerzone, und als solche besteht sie bis heute.

(Foto: Fritz Neuwirth/ SZ-Photo)

Seit Jahren diskutiert München über eine autofreie Altstadt. Nun will Oberbürgermeister Reiter, dass der Stadtrat Farbe bekennt - um zumindest mit Planungen beginnen zu können.

Von Dominik Hutter

Die Gassen rund um die römische Piazza Navona fehlen in keiner Fußgängerzonen-Schwärmerei. Oder das Zentrum von Florenz. Die Strøget in Kopenhagen. Aber auch die Altstadt von München, wo man zwischen Stachus und Marienplatz, zwischen Sendlinger Tor und Odeonsplatz durchaus ausgiebige Flaniermöglichkeiten vorfindet. Jüngster Zugang ist die Sendlinger Straße, die eigentlich schon 1972, als die Fußgängerzone eingeführt wurde, in den Plänen als nächste Ausbaustufe vorgesehen war. Tatsächlich wurden die Autos erst 2016 ausgesperrt, manchmal dauert es eben ein bisschen länger.

Läuft alles nach den Plänen von Dieter Reiter (SPD), soll nun aber das unter Vorvorvorvorgänger Hans-Jochen Vogel (SPD) begonnene Werk endgültig vollendet werden - zumindest in Form einer politischen Zielvorgabe: die autofreie Altstadt. Der Oberbürgermeister wünscht sich, dass der Stadtrat noch im ersten Quartal Farbe bekennt, wohin die Reise im historischen Stadtkern gehen soll. "Damit nicht alle immer nur darüber reden."

Noch ist es möglich, vom Altstadtring aus per Auto in einer Art Schlaufensystem in die unmittelbare Nähe des Marienplatzes zu gelangen. Dort gibt es Parkplätze und Parkhäuser - und inzwischen eher selten Stau, da es außerhalb der Adventszeit nur noch eine überschaubare Zahl von Münchnern für eine gute Idee hält, das private Stück Blech mit zum Shoppen zu nehmen. Auch Reiter ist bereit, künftig auf die bequeme Zufahrt zu seinem Büro im Rathaus zu verzichten: Die Dienerstraße würde er am liebsten gar nicht mehr aufmachen, wenn aus der Baugrube am Marienhof dereinst ein S-Bahnhof geworden ist. Und auch das Tal, das freilich erst vor wenigen Jahren umgebaut wurde, hält der OB für einen geeigneten Kandidaten als Fußgängerzone.

Festgezurrt ist noch nichts. Reiter hat aber kurz vor Weihnachten mit Stadtbaurätin Elisabeth Merk gesprochen, die seit Langem für weniger Autoverkehr in der historischen Mitte plädiert. In den Schubladen des Planungsreferats schlummern schon seit vielen Jahren Ideen, was sich verbessern lässt - die innere Brienner Straße zählt dazu oder der Max-Joseph-Platz. Komplett ausgegoren sind die Pläne noch nicht, aber das will Reiter auch gar nicht.

Der angestrebte Stadtratsbeschluss für eine autofreie Altstadt soll erst einmal die Planung einleiten, die nach Einschätzung des SPD-Politikers "mindestens ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen wird". Plus politische Debatte natürlich, denn Fragen gibt es zuhauf zu klären: Wie sollen die Geschäfte beliefert werden? Dürfen die Anwohner trotzdem vor ihre Haustür fahren? Welche Ausnahmen gibt es für Arztbesuche, für Taxis, für Behinderte? "Der Teufel steckt im Detail", sagt Reiter. Nur: "Man muss irgendwo beginnen."

Komplett autofrei werde die Altstadt wohl nie werden, und natürlich müssten auch die Rettungswege befahrbar bleiben. Aber zurückdrängen müsse man den motorisierten Verkehr auf alle Fälle, dem Auto könne in der Stadt nicht die Zukunft gehören. Absolute Priorität sollen die Fußgänger genießen. Was bedeutet, dass dann auch Radfahrer nicht überall herumkurven dürfen. Beispiel Marienplatz: Reiter ist stolz auf die Lösung an Münchens Vorzeigestelle, wo sich nach jahrelanger quälender Diskussion endlich eine städtebaulich attraktive Lösung durchgesetzt habe. Die Radler fahren seitdem einen kleinen Umweg, die Busse starten woanders. Dafür ist die störende und gefährliche Furt vor dem Alten Rathaus verschwunden. Der Platz wirkt viel großzügiger, die Fußgänger können entspannt bummeln.

Blaupausen, wie die Probleme gelöst werden könnten, gibt es bereits. Wer in der Sendlinger Straße einen privaten Tiefgaragenplatz gemietet hat, darf mit seinem Auto in die Fußgängerzone. Die Läden können zu festgelegten Uhrzeiten per Lastwagen angefahren werden. Und Schwerbehinderte dürfen während der Lieferzeiten schon heute per Auto in die Kaufinger- oder Neuhauser Straße einfahren und sogar dort parken. Außerhalb der Lieferzeiten bleibt das Taxi oder auch eine Sondergenehmigung - zum Beispiel, wenn ein Patient für einen Arztbesuch direkt vor die Praxis fahren muss. Dies alles kommt laut Kreisverwaltungsreferat aber höchst selten vor. Es ist allerdings auch nicht ganz einfach, zwischen den Passanten Slalom zu fahren. Die Fußgängerzone ist bekanntlich sehr oft sehr voll.

2019 sollen mutige Entscheidungen gefällt werden

Reiter hält das alles für lösbar. Und er findet, dass es die Sache wert ist. Denn es solle ja nicht darum gehen, den Autofahrern möglichst intensiv auf die Nerven zu gehen. Es gehe um die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt. Um möglichst attraktive Plätze. Um Freiflächen, auf denen man auch ohne den Zwang, Kaffee oder Bier zu bestellen, gemütlich sitzen kann. Darum, die Stadt "zu begehen, zu erleben und sich überall aufzuhalten".

Bis dahin dürfte noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten sein. Auch in Reiters SPD-Fraktion ist die Leidenschaft für die autofreie Altstadt keineswegs bei jedem vorhanden. Der Bündnispartner CSU will sich auf einer Klausurtagung im März ausführlich mit dem Thema Verkehr beschäftigen. Die Fraktion sei derzeit noch "sehr heterogen aufgestellt", sagt ihr verkehrspolitischer Sprecher Johann Sauerer.

Unvorbereitet ist man nicht - Reiter hat schon mehrfach öffentlich angekündigt, dass 2019 zum Jahr mutiger verkehrspolitischer Entscheidungen werden soll. Von Busspuren über Radschnellwege bis eben zur autofreien Altstadt. Sauerer selbst findet, dass die Altstadt stark gewinnen würde, wenn weniger Autos herumfahren. "Es sieht nicht schön aus, wenn alle Straßen zugeparkt sind", sagt er. Man dürfe sich keine Illusionen machen: "In einer dichter werdenden Stadt wird der Platz für Autos nicht größer werden." Aber: "Man muss ein Maß finden." Für den CSU-Stadtrat steht es außer Frage, dass der Wirtschaftsverkehr auch künftig funktionieren muss.

Die Grünen haben sich schon im Kommunalwahlkampf 2014 für eine autofreie Altstadt positioniert. Verkehrssprecher Paul Bickelbacher will aber schrittweise vorgehen: Erst müssten die Parkplätze am Straßenrand weichen, zunächst etwa die Hälfte. "Dann ergibt es sich ganz automatisch, dass weniger Autos in die Altstadt fahren." Lösungen wie in Italien, wo eine "Zona Traffico Limitato" oft mit Kameras an allen Zufahrten überwacht wird, sind dem Grünen-Stadtrat eher unsympathisch. Besser sei es, die nach Wegfall der Parkplätze leerer gewordenen Straßen zu verkehrsberuhigten Bereichen zu erklären, auf denen auch Fußgänger herumlaufen können.

"Shared Space" nennt sich dieses Modell, bei dem alle aufeinander Rücksicht nehmen müssen. Längerfristig würde Bickelbacher gerne im gesamten Bereich innerhalb des Mittleren Rings die Zahl der Autos reduzieren. Durch eine City-Maut etwa, und durch eine Abschaffung der Anwohner-Privilegien, die ja nur das Dauerparken förderten.

Auch Reiter hat Ideen, die über die eigentliche Altstadt hinausgehen. Zwar werde man zunächst wohl nicht ohne die Altstadt-Parkhäuser auskommen. Längerfristig aber könnte sich der OB eine Art Ring von Parkhäusern oder auch Tiefgaragen vorstellen, in denen München-Besucher ihre Vehikel abstellen. Nicht am Altstadtring oder am Mittleren Ring, sondern eher am Stadtrand, damit die Autos gar nicht erst in die Wohnviertel einfahren. Dazu allerdings seien intensive Beratungen mit den Umlandgemeinden erforderlich, die man schließlich nicht einfach mit solchen Plänen zwangsbeglücken könne.

Klar ist für Reiter: Bei der großen Münchner Verkehrsberuhigung geht es um Autos an sich. Und nicht etwa nur um deren Antrieb. Denn auch Elektroautos benötigen Platz, verursachen Staus und schaden der Aufenthaltsqualität in der Stadt. "Das hilft auch nicht wirklich weiter", sagt Reiter. Die einzige Lösung sei: "weniger Autos".

Zur SZ-Startseite
13 Bilder

Architektur
:Die Innenstadt verändert ihr Gesicht

Bei manchen Projekten haben die Bauarbeiten schon begonnen, bei anderen gibt es bisher nur Ideen. Ein Überblick über die wichtigsten Vorhaben.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: