Fußballfans:Einmal Löwin, immer Löwin

Anne Wild zeigt in ihrer Fotoausstellung 60 weibliche 1860-Anhänger und setzt damit ein Zeichen gegen Sexismus im Stadion

Von Gerhard Fischer

Da ist zum Beispiel Silvia. Die 60-Jährige arbeitet in einer Metzgerei. Manchmal hat sie keine Zeit, sich umzuziehen, bevor sie zu ihrem TSV 1860 ins Stadion fährt. Also taucht sie dort mit der Metzger-Schürze auf. "Da lachans scho immer", erzählt Silvia, "ah, d'Mama is wieda do mit der weißen Schürze." Silvia fährt nicht gerne in die Allianz Arena, die dem ungeliebten FC Bayern gehört, sie nennt sie schnörkellos "Scheißhaus-Schüssel". Aber sie gehe trotzdem hin, sagt sie, "weil i geh' ja ned zum Stadion oder ins Stadion, i geh' ja zur Mannschaft. Und wenn de in Fürstenfeldbruck aufm Acker spuin, dann geh i nach Fürstenfeldbruck aufn Acker."

Oder Anna. Die 32-Jährige ist in Franken aufgewachsen. Sie hat in den Sommerferien immer ihre Tante in München besucht, die beim TSV 1860 als Waschfrau gearbeitet hat. Anna hat dann in der Waschküche geholfen, und ihr sei das so heimelig wie "in einem Dorfverein" vorgekommen: "Die Spieler sind in die Waschküche gekommen. Wenn meine Tante was gekocht hat, dann ham sie da mitgegessen." Einmal ist Thomas Häßler in der Waschküche aufgetaucht. "Und er hat sich bei mir vorgestellt", sagt Anna.

Die Fotografin Anne Wild hat 60 Frauen, die 1860 lieben, fotografiert und stellt diese Bilder noch bis Sonntag in der Färberei in der Claude-Lorrain-Straße aus. Die jüngste Löwin ist vier Jahre alt, die älteste 73, die meisten kommen aus München und Umgebung, bloß eine, die Kutte-mit-Aufnäher tragende Gisela, reist immer aus Berchtesgaden an.

Anne Wild betont, dass sie die Ausstellung nicht alleine gemacht hat. Stephanie Dilba und Lisa Braner haben die Interviews mit den Frauen geführt. Daraus ist der Katalog zur Ausstellung "Sechzge, Oide! Mit Leib und Seele Löwin" entstanden. Diese Ausstellung soll übrigens nicht nur eine Spielerei sein, sondern auch ein Statement: gegen Sexismus im Stadion.

Die Idee entstand vor einem Jahr am Stammtisch der Löwenfans gegen Rechts. Dort redeten sie darüber, wie Mädchen und Frauen als Fußballfans wahrgenommen würden. "Es gibt noch viel Sexismus im Fußball", sagt Stephanie Dilba, die auf einer Bank in der Färberei neben Anne Wild Platz genommen hat. "Weibliches wird oft als abwertend dargestellt, zum Beispiel heißt es immer: Der spielt ja wie ein Mädchen." Weibliche Fans würden auch als "Hure" oder "Nutte" beschimpft. "Und viele Frauen vermeiden es, bei Auswärtsspielen im Fanbus mitzufahren, weil sie die Atmosphäre dort als unangenehm empfinden - wenn frauenfeindliche Lieder gesungen oder auch Pornos gezeigt werden", sagt Dilba.

Sie wollten also etwas dagegen unternehmen - aber nicht mit erhobenem Zeigefinger nach dem Motto: Jungs, ändert Euch! "Es sollte positiv sein", sagt Anne Wild, "mit den Fotos wollen wir zeigen, dass Frauen einen festen Platz in der Fanszene haben".

Um Löwinnen zu finden, starteten sie einen Aufruf bei Facebook, den der TSV 1860 auf seiner Webseite geteilt hat. Innerhalb der ersten Tage kamen mehr als 30 Anfragen, bald waren es knapp 60, und mit den Fotos von Dilba, Braner und Wild sind es genau 60 geworden, wie passend.

Die Frauen kamen dann zu Fototerminen vorbei, die meisten zogen für die Bilder das an, was sie im Stadion tragen, und bald stand fest, dass es eine Typologie der weiblichen Löwen-Fans nicht gibt. Es gibt Merkmale, das schon, aber es sind die gleichen wie bei den Männern: die meisten sind 1860-Fans geworden, weil sie mit Opa oder Papa ins Stadion gegangen waren - oder auch mit Oma und Mama. Die meisten mögen Sechzig wegen des Andersseins, wegen des Familiären und, ja, auch wegen des Durcheinanders, das fast immer bei 1860 herrscht. Alle sind aktive Fans, die ins Stadion gehen. Viele lehnen den Investor Hasan Ismaik ab. Manche freuen sich, dass Ismaik da ist, weil er Geld gibt und Erfolg verspricht, wenigstens morgen oder spätestens übermorgen. "Und allen, wirklich allen, ist gemeinsam, dass sie - egal was passiert - für immer dem Verein treu bleiben wollen", sagt Anne Wild. Einmal Löwin, immer Löwin.

Anne Wild ist von der Bank aufgestanden und steht jetzt vor der Wand mit den Bildern. Sie zeigt auf ein kleines Mädchen. "Das ist Leona", sagt sie, "die heißt auch noch Löwin." Im Katalog wird Leona gefragt, seit wann sie Löwenfan sei. "Seit meiner Geburt", sagt sie. Die Eltern haben sie angemeldet. "Sind im Kindergarten viele Löwenfans?", wird sie gefragt. "Nein, der einzige bin ich." Mittlerweile hat Leona auch einen Bruder, er heißt Benjamin. Wegen Lauth. Benjamin Lauth spielte viele Jahre für den TSV 1860.

Anne Wild selbst ist im Nordschwarzwald aufgewachsen - in einer Familie, in der sich niemand für Fußball interessiert hat. Sie studierte in Würzburg Kommunikationsdesign und schaute in dieser Zeit erstmals Fußball, meistens die Spiele in der Sportschau. Die Löwen fielen ihr auf - der Underdog in der Stadt mit dem großen Lokalrivalen. Das war ihr Ding. 1993 zog sie nach München, 1994 stiegen die Löwen in die Bundesliga auf, das passte. Mit ihrem Freund ging sie ins Stadion, und seit etwa zehn Jahren ist sie engagierte Sechzigerin, unter anderem - wie Dilba und Braner - bei den Löwenfans gegen Rechts.

Heute arbeitet sie nicht mehr als Grafikerin, sondern als Fotografin - zum Beispiel macht sie Fotos von den Löwen-Spielen. Mittwochs gestaltet sie eine Sechziger-Seite im Münchner Wochenanzeiger.

Silvia, die Metzgers-Frau, hat das Löwen-Gen übrigens weitergegeben. Ihre Tochter Alexandra ist ebenfalls in der Ausstellung abgebildet. Im Katalog erzählt Alexandra, dass sie aus Aberglauben eine Zeit lang bei den Spielen jene Unterhose anzog, die sie anhatte, als die Löwen mal eine Partie gewonnen hatten. "Aber das hat letzte Saison nicht so gut geklappt", sagt sie, "jetzt hab' ich das Ganze wieder über den Haufen geworfen."

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