Sport in München:Wie der SV Weißblau-Allianz um seine Zukunft kämpft

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Früher spielten sie beim einstigen Firmenverein nur nach Feierabend. Nach dem Ausstieg der Allianz muss man auf eigenen Beinen stehen und Jugendarbeit etablieren. Wie schafft der Verein das?

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Der Vorsitzende hat sich entschieden, die Unwägbarkeiten nicht einmal im Ansatz zu beschönigen. "Wir wissen nicht, wie wir all das meistern", sagt Helmut Jaschkowitz ins Mikrofon vor knapp 400 Besuchern in der Turnhalle, ein jeder mit einem Packen Papier auf dem Schoß. Es ist ein Kurzdossier für die Mitgliederversammlung, das den Weg in die Zukunft für den Schwabinger Sportverein SV Weißblau-Allianz skizziert, "in eine vorher nie gedachte Welt", wie es der SV-Vorsitzende Helmut Jaschkowitz formuliert.

Es ist für die Mitglieder innerhalb von sechs Monaten der zweite Notstandskonvent. Im März stand der SV noch vor dem Abgrund, keiner wusste, wie es weitergeht. Nun ist klar: Der Verein wird nicht sterben, doch es ist unklar, wie er langfristig überleben kann. "Bitte vertrauen Sie uns", sagt Jaschkowitz zu den Fährnissen des Konzeptpapiers. Und die Mitglieder tun es: Sie votieren dafür, dass der Vorstand den Verein nun in die "nie gedachte Welt" führt. Es ist die Welt der Eigenständigkeit, keine "verwöhnte Paradieswelt" mehr, wie es Jaschkowitz ausdrückt.

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Stadt und Versicherungskonzern einigen sich über die Nutzung des SV-Weißblau-Geländes an der Osterwaldstraße. Der Verein darf das Areal zunächst privilegiert belegen, aber auch andere Clubs bekommen Zugang

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Die Vertreibung aus dem Paradies begann im Dezember 2017, als die Allianz als Eigentümer dem Verein das Areal kündigte. Der Konzern war auf die Idee gekommen, Subventions-, Betriebs- und Sanierungskosten einzusparen - und das Gelände zu verwerten. Eine Fitnesskette sollte einen Premiumclub etablieren. Doch die Stadtspitze erklärte die Pläne für nicht genehmigungsfähig. Jetzt soll die Stadt das Gelände in Erbpacht für 35 Jahre übernehmen; sie gewinnt dadurch Flächen für den Schulsport inklusive eines Hallenbades sowie Kapazitäten für andere Vereine.

Beraten wird der Beschlussentwurf an diesem Mittwoch in der Sitzung des Sport- und Bildungsausschusses des Stadtrats, danach muss die Vollversammlung entscheiden. Wichtiger Aspekt des Deals: Der Verein muss nicht weichen, er wird zunächst zum privilegierten Mieter, hat die ersten fünf Jahre Zugriff auf 70 Prozent der Nutzungszeit während der Abendstunden in Halle und Außenanlagen; danach wird der Anteil reduziert. Überdies sind die Sauna, zwei Fitnessräume, vier Umkleiden, die Geschäftsstelle und auch die Gaststätte exklusiv für den Verein reserviert. Den Tennisbereich bleibt mittels gesondertem Pachtvertrag unter der Ägide des Vereins.

Der Preis dafür ist, dass sich die Hobbysportler und ihre Führung nun in der Welt der unabhängigen Vereine vorfinden. Sie sind raus aus der Sorglos-Sphäre der Vollsubventionierung, müssen auf eigenen Beinen stehen, sich "vollkommen neu ausrichten", wie es der Vorsitzende Jaschkowitz den Mitgliedern nahelegt. Denn langfristig hat der Verein nur eine Chance, wenn er von Stadt und Staat Fördergeld einsammelt - doch das können qua Richtlinien nur jene Vereine, die einen signifikanten Anteil an Kinder- und Jugendmannschaften im Spielbetrieb vorweisen. Die Jugendarbeit ist aber eine völlig neue Übung für den SV Weißblau-Allianz, in dem die Altersstruktur noch in Firmensportzeiten verhaftet ist. Ebenso wird es eine neue Erfahrung, das Gelände mit Horden von Schülern zu teilen. "Wir sind es alle nicht gewohnt, dass richtig Leben im Haus ist", drückt es der Vorsitzende aus.

Die Probleme mit der Umgewöhnung werden an den Wortmeldungen deutlich. Wie das mit der Jugendarbeit gehen soll, wenn der Verein nur die Abendstunden belege, der Schulsport aber die Nachmittage, fragte eine Frau. "Berechtigte Frage", bekommt sie vom Vorsitzenden zur Antwort. Man werde mit der Stadt weiter verhandeln müssen.

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Unterdessen kommt dem Verein eine glückliche Fügung zupass: Nicht weit entfernt, an der Ecke Ungerer- / Domagkstraße, hat das Oskar-von-Miller-Gymnasium mit 1000 Schülern sein Interimsquartier bezogen. Die Kinder und Jugendlichen werden auf dem SV-Gelände Sport treiben, womöglich auch bald als Mitglieder, wie eine Sportlehrerin der Schule in die Halle ruft. "Das könnte durchaus eine Entwicklung für den Verein bedeuten."

Der Verein rechnet mit bis zu 1000 Austritten

Sie bekommt großen Applaus, wohl auch weil die faktische Mitgliederentwicklung trübe aussieht: 447 haben im laufenden Jahr gekündigt, derzeitiger Stand: 3221 Mitglieder. Der Budgetentwurf kalkuliert mit 1000 Austritten im kommenden Jahr - denn der Vorstand rechnet damit, dass viele Mitglieder wegen der Erhöhung der Beiträge von der Fahne gehen. Erwachsene müssen jetzt 150 statt 74 Euro jährlich bezahlen, dazu werden einige Abteilungen, etwa die Basketball- oder Faustballspieler, mit einem monatlichen Zusatzbeitrag von bis zu 7,50 Euro zur Kasse gebeten. Die interne Quersubventionierung und auch die Höhe des Mitgliedsbeitrags sind laut Hermann Brem, Kreisgruppenchef des Bayerischen Landessportverbands (BLSV), im üblichen Rahmen der Münchner Sportvereine. Er vermutet, dass es nicht übermäßig viele Austritte geben werde, glaubt an die Solidarität der Mitglieder. "Es wird ein Kraftakt. Aber der Verein muss nun zusammenhalten und massiv in die Jugendarbeit investieren."

Allein, ganz so hart landet der SV nun auch nicht auf den Boden der neuen Tatsachen. Wie bei der Mitgliederversammlung bekannt wurde, dreht die Allianz den Geldhahn doch nicht komplett zu: Knapp eine halbe Million Euro sollen in den nächsten fünf Jahren an die Vereinskasse fließen.

© SZ vom 10.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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