Süddeutsche Zeitung

Fußball-Krawalle:Vereint in Gewalt

Bei einem Spiel des TSV 1860 gegen den SV Waldhof kam es zu schweren Fankrawallen. Das Besondere: Fans des TSV 1860 und des FC Bayern randalierten gemeinsam gegen die Gäste.

In der Mitte der zweiten Halbzeit setzte sich die Masse in Bewegung: Im Fußball-Regionalligaspiel zwischen dem TSV 1860 II und dem SV Waldhof stand es 3:1 für Mannheim, als in schwarz gekleidete Besucher versuchten, von der Nord- über die Westtribüne des Stadions an der Grünwalder Straße den Mannheimer Gästeblock zu stürmen.

Es war offenbar ein Racheakt für den Angriff Mannheimer Fans auf den Löwen-Fanblock beim Auswärtsspiel im August. Den Einsatzkräften der Polizei gelang es jedoch, die gewaltbereiten Münchner an einer Engstelle zu blockieren und Schlimmeres zu verhindern - vorerst.

Während Schiedsrichter Alexander Schlutius das Spiel, das mit einem 4:1 für den SV Waldhof endete, nach wenigen Minuten wieder aufnahm, lieferten sich die des Stadions verwiesenen Hooligans auf der Grünwalder Straße noch mehrere Auseinandersetzungen mit der Polizei, deren Ergebnis vier Festnahmen und fünf verletzte Beamte waren. "Sowohl Fans von 1860 als auch des FC Bayern", wie ein szenekundiger Beamter bestätigte, waren beteiligt und machten gemeinsame Sache.

Schon 2007 schlossen sich gewaltbereite Anhänger beider Klubs zu einer gemeinsamen Aktion zusammen: Im März des vergangenen Jahres reiste eine bayerische Gruppe nach Kufstein, um auf einer Wiese in den Innauen einen organisierten Kampf mit österreichischen Hooligans zu führen. Spaziergänger alarmierten die Polizei, in der Konsequenz fanden in München im Zuge einer Großrazzia 24 Wohnungsdurchsuchungen bei Anhängern der Bayern und von 1860 statt.

Laut den szenekundigen Beamten reichen die Spuren des Vorfalls am Samstag bis zur "Service Crew", einige Alt-Mitglieder seien möglicherweise an der Auseinandersetzung beteiligt gewesen. Die "Service Crew Munich" formierte sich 1986, vor über 20 Jahren; ihr Zweck war die Koordination und Durchführung von gewalttätigen Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fangruppierungen. Schon damals kooperierten Rote und Blaue.

Auch an internationalen Aufeinandertreffen gewaltbereiter Fans war die "Service Crew" beteiligt, etwa bei den Ausschreitungen in Rotterdam 1989 nach dem Länderspiel Niederlande gegen Deutschland. Die Verbesserung der Sicherheitsstandards in der Mitte der 90er Jahre schränkte die Gewalt in und um die Stadien ein. Die Aufeinandertreffen verlagerten sich auf abgelegene Industrieanlagen oder Wiesen. Die Mitglieder der "Service Crew" wurden Familienväter, sie waren noch bei den Spielen zu sehen, aber als Hooligan-Gruppe nicht mehr aktiv.

Kenner der Fanszene bestätigen, dass die gemeinsame Neigung zur Gewalt für manche Anhänger der Roten wie Blauen noch immer einen gemeinsamen Nenner darstellt, unabhängig von den Aktiven aus den 80er Jahren. Eine feste Organisationsebene Münchner Hooligans ist aber nicht bekannt. Oberflächlich seien die letzten Monate seit dem Hinspiel in Mannheim ohne Hinweise auf ein mögliches Wiederaufleben der Hooligan-Szene verlaufen, berichten Sozialarbeiter des Münchner Fanprojekts.

Beim Hinspiel in Mannheim hatten Waldhof-Fans den 1860-Block gestürmt und eine Schlägerei begonnen, nach dem Spiel war es zu Straßenschlachten gekommen. Ältere Anhänger, die man lange nicht bei 1860 gesehen hatte, waren eigens angereist; die Mannheimer Szene übt stets eine große Anziehungskraft auf andere Gewaltsuchende aus.

Weil an den Ausschreitungen auch Mitglieder der Ultra-Gruppierung Cosa Nostra (CN) beteiligt gewesen waren, hatte 1860 daraufhin alle Utensilien der CN bei seinen Spielen verboten. Die Anhänger wehrten sich gegen die Pauschalverurteilung; am Ende der Debatten stand mit dem Fanrat ein neues Klubgremium, in dem Vereinsvertreter und Vertreter aller Fan-Gruppierungen sitzen.

Diese neue Institution wird nun gleich auf eine harte Probe gestellt. In der Fanszene des TSV 1860 sorgen die Ausschreitungen auch bei den Befürwortern einer Rückkehr ins Stadion an der Grünwalder Straße für Aufregung: Sie befürchten, der Ruf des Stadions werde durch die Auseinandersetzungen zusätzlich Schaden nehmen, und es könnten überzogene Fragen bezüglich der Sicherheit der Sportstätte aufkommen.

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SZ vom 22.12.2008/jga/lein/wib
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