Fußball-EM in München:Nass, bunt, am Ende glücklich

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Vor dem Stadion verteilen Menschen bunte Regenbogenfahnen. (Foto: Florian Peljak)

Gewaltbereite Hooligans im Stadion, dafür wirkt die Innenstadt, als seien nur 20 Prozent der Fans zugelassen. Die Bilanz des EM-Abends.

Von Martin Bernstein und Christoph Leischwitz

Fast könnte man sagen: Ohne die LGBTQI-Bewegung wäre vor dem EM-Spiel gar nichts los gewesen in München. Denn es waren vor allem die Regenbogenfarbentragenden, die am Mittwochabend für Stimmung auf der Esplanade hinauf zur Arena gesorgt hatten. Ein Mann mit Regenbogen-Socken und Regenbogen-Hosenträgern trug fast schon feierlich eine riesige Regenbogenfahne mit sich herum, eine Drag Queen gab Interviews, viele Fußballfans stellten sich mit den Aktivisten für Gruppenfotos zusammen. Am Aufgang der U-Bahn erntete ein Polizist erhobene Daumen dafür, dass er eine Maske in Regenbogenfarben trug.

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(Foto: Florian Peljak)

Farben für alle: Eine Drag Queen hilft mit, vorm Münchner Stadion Winkelemente zu verteilen. Und klar, Fragen werden auch beantwortet.

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10 000 Fähnchen sind vorm Stadion verteilt worden.

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(Foto: Florian Peljak)

Viele Fans kamen aber auch schon gut ausstaffiert an.

Eine Mitarbeiterin von Amnesty International, die kleine Fähnchen unters Fanvolk brachte, erklärte, auch einige ungarische Fans hätten dankend zugegriffen. Vereinzelt sei sie aber auch beleidigt worden - und zwar genauso oft von deutschen wie von ausländischen Besuchern. Einigen ungarischen Besuchern war der Missmut anzusehen, vereinzelt spuckten sie schimpfend auf den Boden, als sie an der LGBTQI-Gemeinde vorbeigehen mussten.

Doch der Großteil der Ungarn, darunter leicht zu erkennende Hooligans, bekam die Aktion gar nicht zu sehen: Fast alle, die mit der U-Bahn anreisten, wurden auf den Weg geleitet, der an der Westseite der Gleise entlang zur Arena führt. Nach dem Spiel musste der gesamte Fanblock im Pulk unter strenger Polizeiaufsicht ebenfalls diesen Umweg nehmen, am Bahnsteig selbst war die Polizeipräsenz enorm.

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Die Ameisenstraße zum Stadion: Da zum EM-Spiel nur 14 500 Zuschauerinnen und Zuschauer zugelassen sind, geht es da recht entspannt zu. Jenseits von Pandemie-Regeln hätte die Arena Kapazität für bis zu 75 000 Besucher.

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(Foto: Florian Peljak)

"Sind das Abstrich-Stäbchen?", fragte neulich ein Kollege beim Anblick der Beleuchtung vorm Stadion. Dazu lässt sich gesichert sagen: Die Lichter sind älter als diese Pandemie.

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(Foto: Florian Peljak)

Ein Blitz ist über der blau-grün erleuchteten Arena zu sehen. Das sind die Farben, die die Uefa vorgibt.

Dass es in der Stadt und im Stadion relativ ruhig blieb, ist auch dem konsequenten Eingreifen der Münchner Polizei zu verdanken. 1500 zusätzliche Beamte waren am Tag des letzten EM-Vorrundenspiels im Einsatz. Die relativ unspektakuläre Bilanz täuscht: Insbesondere ungarische Hooligans, viele von ihnen rechtsextrem orientiert und gewaltbereit, machten den Münchner Polizisten vom Nachmittag an und auch während des Spiels viel Arbeit.

Genau eine Stunde vor dem Anpfiff setzte ein Starkregen ein, der allen Feierlichkeiten vor der Arena ein jähes Ende setzte. Dafür ging es im Stadion teilweise turbulent zu: Bereits in der ersten Halbzeit brüllten Rechtsextremisten der "Carpathian Brigade" den deutschen Fans im Nachbarblock der Arena homophobe Beleidigungen entgegen. Als die deutschen Stadionbesucher davor zurückwichen, setzten die Ungarn zum Sturm auf den deutschen Block an. Polizisten in Schutzausrüstung und Stadionordner gingen dazwischen, ehe es zum Zusammenstoß kam. Bei dem Einsatz wurde ein Polizist von einer Flasche getroffen.

Die ungarischen Hooligans ignorierten während des gesamten Spiels die Maskenpflicht und standen dicht an dicht beisammen, statt die ihnen zugewiesenen Plätze einzunehmen. Viele von ihnen waren, wie schon in vorangegangenen Spielen in Budapest, in einheitlich schwarze T-Shirts gekleidet. Es kam zu etlichen Festnahmen, viele davon, weil ungarische Neonazis verbotene Symbole als Tattoos zur Schau gestellt hatten. Einige ungarische Fans zeigten in der Arena auch offen schwulenfeindliche Plakate. Eine weitere rechte Gruppierung hatte im Netz zudem zur "Jagd" auf Regenbogenfahnen in München aufgerufen. Wegen "potenziell diskriminierender Vorfälle" hatte die Uefa bereits nach den beiden Spielen in Budapest Ermittlungen aufgenommen. Ob diese Ermittlungen nach den Übergriffen in München ausgeweitet werden, ist offen.

Schon bei der Anreise nach München hatte die Polizei Anhänger mutmaßlich problematischer Fangruppierungen kontrolliert. Bei ungarischen Hooligans wurden vereinzelt pyrotechnische Gegenstände aufgefunden und sichergestellt. Die Männer wurden wegen eines Vergehens nach dem Sprengstoffgesetz angezeigt. Noch schlimmer dürfte für sie gewesen sein, dass der Deutsche Fußball-Bund ihnen die Tickets für die Arena entzog.

Bis zum Nachmittag hatten sich 600 ungarische Fans, unter ihnen Mitglieder der paramilitärisch organisierten "Brigade", deren Anführer für ein neues "Großungarn" agitieren, auf dem Wiener Platz im Münchner Stadtteil Haidhausen versammelt. Dort zündeten sie Rauchkörper und beleidigten deutsche Gegendemonstranten, die mit Regenbogenfahnen gekommen waren, schwulenfeindlich. Mehrere ungarische Besucher wurden bereits dort von der Polizei festgenommen, unter anderem ein Mann, der den Hitlergruß zeigte. Ein anderer Mann trug ein Tattoo des verbotenen Neonazi-Netzwerks "Blood and Honour".

Während des Spiels blieb es in der Münchner Innenstadt ruhig. Wohl auch wegen des heftigen Regens kam dort kaum Stimmung auf. Die zahlreichen Einsatzkräfte entlang der Leopoldstraße konnten allesamt in ihren Bussen sitzenbleiben. Selbst als der Regen nachließ und Deutschland den ersten Ausgleich erzielte, war nicht viel mehr los als nach einem gewöhnlichen Titelgewinn des FC Bayern: vereinzelter Jubel, aber keinerlei Ausgelassenheit. Von einer Sperrung für den Verkehr waren Schwabing und die Maxvorstadt weit entfernt.

In den Straßencafés rund um die U-Bahnstation Giselastraße wirkten viele Zuschauer geradezu teilnahmslos; in der Schelling- und in der Türkenstraße immerhin wurde Public-Viewing-Niveau erreicht. Kneipen wie der Alte Simpl oder das Atzinger waren gerammelt voll, zur Halbzeit waren auch die Bürgersteige bevölkert. Gleichzeitig gab es aber auch mehrere Bars, in denen gar kein Fußball gezeigt wurde.

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Ein kleines bisschen freude gabs dann doch noch auf der eigentlichen Fan- und Feiermeile. Und alle Farben sind auch beisammen: Die Fußballfreunde mit schwarz-rot-goldenen Deutschlandfahnen, dahinter das Siegestor, das in Regenbogenfarben angestrahlt ist mit der Aufschrift: Vielfalt siegt immer.

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Und ein bisschen Autokorso auf der Leopoldstraße muss auch sein - wobei nur die wenigsten so gut ausgestattet sind, wie diese Fands hier. Die meisten hupen einfach nur.

Die Innenstadt wirkte ein wenig wie die Arena: So, als ob auch dort nur 20 Prozent der Zuschauer zugelassen seien. Regenbogen in jeglicher Form waren hier übrigens nicht zu sehen. Es schien sich um gewöhnliches Partyvolk zu handeln.

Gegen Spielende marschierten im EM-Stadion erneut Polizeieinheiten vor dem ungarischen Block auf - die Polizei befürchtete einen Platzsturm gewalttätiger Fans. Kurz darauf schickte Leon Goretzka mit seinem Ausgleichstreffer und einer spöttischen Herzchen-Geste die rechtsradikalen Hooligans nach Hause.

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