Protestaktion bei Fußball-EM:Münchner Justiz klagt Greenpeace-Bruchpiloten an

Protestaktion bei Fußball-EM: 15. Juni 2021: Beim EM-Spiel Frankreich gegen Deutschland landet ein Greenpeace-Aktivist auf dem Spielfeld.

15. Juni 2021: Beim EM-Spiel Frankreich gegen Deutschland landet ein Greenpeace-Aktivist auf dem Spielfeld.

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Während der Fußball-EM 2021 musste der Gleitschirmflieger in der Arena notlanden, Scharfschützen hatten ihn bereits im Visier. Dem Aktivisten droht nun eine Haftstrafe.

Von Martin Bernstein

Der Gleitschirmflieger, der bei einer Greenpeace-Protestaktion während der Fußball-Europameisterschaft 2021 eine halsbrecherische Notlandung in der Münchner Arena mit Flugmanövern über den Köpfen vor 14 500 Zuschauern hingelegt hat, muss sich vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft München I hat Anklage gegen den damals 38-Jährigen erhoben. Das teilte die Behörde am Dienstag mit. Auch ein Helfer des Umweltschutz-Aktivisten soll juristisch belangt werden.

Bereits am 13. Dezember ist Anklage zum Schöffengericht am Münchner Amtsgericht erhoben worden. Dem aus Pforzheim in Baden-Württemberg stammenden Piloten wirft die Münchner Staatsanwaltschaft vorsätzliche Gefährdung des Luftverkehrs und fahrlässige Körperverletzung in zwei Fällen vor. Bis zu zehn Jahre Gefängnis sieht das Strafgesetzbuch dafür vor. Über dem Stadion galt während der EM-Spiele eine bis in 3000 Meter Höhe reichende Flugverbotszone.

Nur fünf Minuten Flugzeit

Nach momentanem Ermittlungsstand soll der Angeschuldigte S. um 20.55 Uhr "von einem nicht genau bekannten Ort nordöstlich der Allianz Arena" einen Flug mit seinem elektromotorisierten Gleitschirmflieger gestartet haben. Dabei habe er wohl weitere Helfer gehabt, die aber bisher nicht identifiziert werden konnten, teilt Oberstaatsanwältin Anne Leiding mit. Um 21 Uhr sollte das EM-Spiel zwischen Frankreich und Deutschland angepfiffen werden. S. habe den Austragungsort knapp über dem Dach der Allianz Arena überflogen und aus 52 Metern Höhe einen großen, gelben, mit Luft aufgepumpten Ball abgeworfen. Kurz darauf verfing sich - Millionen Fernsehzuschauer konnten das an ihren Bildschirmen verfolgen - das Fluggerät in einem Blitzableiter. S. verlor die Kontrolle über den Gleitschirmflieger, der Flugapparat raste mit bis zu 55 Stundenkilometern im Sturzflug knapp und laut Staatsanwaltschaft "unkontrolliert" nur wenige Meter über dem Zuschauerunterrang der Westtribüne entlang.

Zwei Menschen wurden dabei verletzt: ein 36 Jahre alter Mitarbeiter des französischen Fernsehens und ein aus der Ukraine stammender, 42 Jahre alter Dopingkontrolleur des europäischen Fußballverbands UEFA. Beide mussten im Krankenhaus behandelt werden. Dass nicht noch Schlimmeres passierte, ist wohl allein glücklicher Fügung zu verdanken - auch für den Piloten. "Wenn die Polizei zur Einschätzung gelangt wäre, dass es sich um einen Terroranschlag handelt, hätte er das mit dem Leben bezahlen müssen", hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) damals gesagt. "Die eingesetzten Scharfschützen hatten ihn bereits im Visier." Möglicherweise haben nur ein "Greenpeace"-Schriftzug auf dem Gleitschirm vor einem Abschuss und eine mündliche Warnung an die Polizei durch seinen jetzt mit angeschuldigten Helfer unmittelbar während des Anflugs den Aktivisten vor einem Abschuss bewahrt.

Protest gegen Volkswagen

S. hatte seinen Überflug als politische Protestaktion geplant. "Kick out oil!" stand auf dem abgeworfenen Latex-Ball. Der Protest galt dem EM-Sponsor Volkswagen. Die Landung im Stadion - in unmittelbarer Nähe der deutschen Abwehrspieler Mats Hummels und Antonio Rüdiger - war laut Greenpeace nicht geplant gewesen. Die Umweltschutzorganisation entschuldigte sich nach dem Vorfall und erklärte, Lehren aus der Beinahe-Katastrophe gezogen zu haben. "Wir werden nicht mehr über Menschenmassen fliegen", sagte ein Sprecher damals im Interview. Und: "Wir werden weiterhin akribisch und genau auf Sicherheit und Gewaltfreiheit achten."

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