Süddeutsche Zeitung

Fürstenried:Heimsuchung statt Heimatgefühl

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Die Bayerische Versorgungskammer will in ein Quartier in Fürstenried-West neue Häuser mit 600 Wohnungen bauen. Der Protest gegen das Ausmaß der Nachverdichtung nimmt zu, wie auf einer Erörterungsveranstaltung deutlich wurde

Von Jürgen Wolfram, Fürstenried

Was in ein paar Jahren an der Appenzeller Straße, der Forst-Kasten-Allee und der Bellinzonastraße passieren wird, ist für die meisten Menschen in Fürstenried-West sonnenklar: Mit einer überdimensionierten Nachverdichtung versuche die Bayerische Versorgungskammer (BVK), Kapitalverwertungsprobleme zu lösen und die mit ihr verbündete Stadt München ihre Sorgen wegen des anhaltenden Zuzugs zu lindern - alles zu Lasten der Wohnqualität jener, die dort leben. Mehr noch als ein vorangegangener Workshop, die jüngste Bürgerversammlung im Stadtbezirk oder auch ein SZ-Lesercafé geriet jetzt eine "Erörterungsveranstaltung" im Fürstenrieder Bürgersaal zum Aufschrei des Protestes gegen die Entwicklung.

Er gipfelte in der Aufforderung, Stadträte und Parteien nicht mehr zu wählen, die an der "Maximallösung" von 600 zusätzlichen Wohnungen festhalten. Auf einen Kompromiss, etwa in Form einer Halbierung des Bauvolumens, deutet jedoch nichts hin: Marion Wolfertshofer vom Planungsreferat kündigte an, dass es bei 600 Wohnungen bleiben soll. In Zeiten stürmischen Wachstums müssten alle Münchner lernen, mit Beeinträchtigungen ihres Wohnumfelds zu leben.

Für solche Einlassungen waren die zahlreichen Versammlungsbesucher nicht sehr empfänglich, wie das Gros der Wortmeldungen zeigte. Von einer jugendlichen Stimme aus der Forst-Kasten-Allee abgesehen, die um Verständnis für die Wohnungsprobleme der Stadt warb, glich die Diskussion einem Hagelsturm der Empörung. Als "Katastrophe pur" geißelte etwa ein Anwohner der Bellinzonastraße unter Beifall die geplante Nachverdichtung. "Bis ans Küchenfenster" würden den Bestandsmietern Anbauten vor die Nase gesetzt. Ein anderer Redner beschwor gar ein Szenario herauf, bei dem sich die Bewohner aus verschatteten Häusern "gegenseitig beim Essen auf die Teller schauen".

Die vom halben Saal höhnisch belachte Ankündigung der BVK, sie werde mit der Nachverdichtung das Quartier und das Grün aufwerten, nahm Andreas Art, einer der Sprecher der Bürgerinitiative "Pro Fürstenried", aufs Korn: "Das Einzige, was hier aufgewertet wird, sind die Kapitalanlagen des Investors." Ansonsten sagte er für Fürstenried-West und die angrenzende, mittlerweile ihrerseits aufgeschreckte Gemeinde Neuried ein Verkehrschaos voraus: "Die Autos der auswärtigen Pendler und Besucher werden sich in Straßen drängen, in denen der Parkverkehr jetzt schon zusammenbricht." Christoph Söllner, einer der Gründer von "Pro Fürstenried", zählte weitere, für ihn absehbare Probleme einer "Maximalverdichtung" auf: fehlende Einkaufsmöglichkeiten in dem Stadtteil, wo kleine Läden zu- statt aufmachten, sowie Platzmangel in den Schulen. An die Vorzüge eines neuen Quartierplatzes will Söllner nicht glauben: "So etwas haben wir bereits, am Schweizer Platz, da schaut's aus wie Sau."

Auf der anderen Seite warb der BVK-Vorstandsvorsitzende Daniel Just erneut für eine Nachverdichtung ohne Abstriche. Der Siegerentwurf des Berliner Teams LIN Labor Integrativ Gesellschaft von Architekten mit dem Büro Holzwarth Landschaftsarchitektur sei inzwischen so optimiert worden, dass mit einer Erhöhung des Wohnwerts im Quartier zu rechnen sei. "Es gibt jetzt die Chance, dass sich was verbessert", beteuerte Just. Stillstand sei in einer Stadt, die stark wachse, keine Option. Als Zeichen des Goodwills kündigte der BVG-Chef für 29. Juli ein Sommerfest rund um die Eröffnung eines Info-Containers sowie "weitere Events" an: Kinderspielaktion, öffentliche Grünflächen-Begehung, Weißwurstfrühstück. Entgegenkommen signalisierte Just den Mietern eines vierstöckigen Gebäudes an der Forst-Kasten-Allee 125, das jetzt, zusätzlich zur ursprünglichen Planung, einem 15-geschossigen Hochhaus weichen soll. Keinem der Betroffenen würden finanzielle Nachteile entstehen, sie könnten später an ihren vertrauten Wohnort zurückkehren oder in ihrer Ausweichwohnung bleiben. Einer der Angesprochenen nannte es dennoch "unzumutbar und unbegreiflich", was sich für seine Wohngemeinschaft abzeichnet.

Dass sich dabei die gereizte Stimmung in Fürstenried-West verflüchtigen möge, erhofft sich nicht zuletzt das Planungsreferat. Denn es stehen noch viele Diskussionen bevor, ehe der Stadtrat voraussichtlich im Herbst 2019 eine Entscheidung fällt. Ob der Unmut der Leute aus Fürstenried-West bis dahin doch Wirkung zeigt? "Dazu sage ich nichts", meinte der Versammlungsleiter, der Bezirksausschuss-Vorsitzende Ludwig Weidinger (CSU) in seinem Schlusswort.

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Quelle:
SZ vom 13.07.2017
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