Süddeutsche Zeitung

Fürstenried:Das Unbehagen wächst

Bürgerinitiative fühlt sich vom Bezirksausschuss in ihrer Kritik am Nachverdichtungskonzept für das Viertel nicht länger vertreten und macht unermüdlich Stimmung gegen das Wohnbauprojekt der Versorgungskammer

Von Jürgen Wolfram, Fürstenried

Mit einem Kurzauftritt im Bezirksausschuss Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln hat Gisela Krupski unlängst ausgelöst, was in dieser lokalpolitischen Runde sonst unüblich ist: betretenes Schweigen. Als Sendbotin des Forums "Lebenswertes München" sowie des Vereins Pro Fürstenried teilte sie dem versammelten Stadtteilgremium mit, dass sich viele Bürger von diesem "nicht mehr vertreten fühlen". Eine Sitzung zuvor hatten die Lokalpolitiker alle Bedenken gegen die Pläne zur Nachverdichtung im Bereich Appenzeller Straße, Forst-Kasten-Allee, Graubündener, Bellinzona- und Neurieder Straße zurückgestellt, um die Schaffung neuen, bezahlbaren Wohnraums nicht zu gefährden.

Unkritisch sieht die Stadtteilvertretung das generell befürwortete Vorhaben der Bayerischen Versorgungskammer dennoch nicht, wie sich jetzt, in einem fortgeschrittenen Stadium des Bebauungsplanverfahrens, zeigt. Kurz vor dem Billigungsbeschluss des Stadtrats geht es nicht mehr allein um drohende Verkehrsprobleme, massive Baumfällungen, die erhöhte Zahl neuer Wohnungen oder die Überbauung öffentlichen Raums, sondern ebenso um kommunikative Störungen zwischen Vertretern und Bürgern des Stadtbezirks auf der einen, sowie dem Planungsreferat auf der anderen Seite.

Seit einiger Zeit dämmert manchen Mitgliedern des Bezirksausschusses (BA), dass die geplante Nachverdichtung in Fürstenried West zumindest partiell zum Desaster werden könnte. Vor allem die Fraktionen von SPD und CSU überkommen zunehmend Zweifel, ob es hinhauen werde mit der Bewältigung des zusätzlichen Verkehrs, halbwegs vertretbaren Verlusten beim Baumbestand und einer adäquaten Schulversorgung. Heftige Irritationen hat die Bayerische Versorgungskammer mit dem Bruch ihrer Zusage, keine Bestandsbauten abzureißen, sowie mit dem Hochschrauben der Zahl zusätzlicher Wohnungen von zunächst 540 auf inzwischen 660 ausgelöst. Im Plangebiet existieren bereits 1500 Wohnungen. "Da passt alles nicht mehr zusammen, was die uns einst erzählt haben", sagte die SPD-Fraktionsvorsitzende Dorle Baumann in einer der jüngsten BA-Sitzungen.

Ihre Partei beantragte damals vergeblich, im Nachhinein die Bezahlbarkeit und die "dauerhafte Verfügbarkeit" von Mietwohnungen festzuschreiben. Den "Verlust durch Baumfällungen" - die Rede ist von 184 - teils unter die Baumschutzverordnung fallenden Gehölzen, und die Versiegelung sollte am besten ein "unabhängiges Institut" bewerten, forderte die SPD. Die CSU wird derweil nicht müde, die Stadt aufzufordern, ihre eigene Abstandsflächenregelung einzuhalten. Wenn man den Menschen schon eine hochgradige Verdichtung mit Verschattung bestehender Wohnhäuser zumute, dann sei dies das Mindeste an Entgegenkommen.

Kein Zweifel herrscht im Stadtbezirk am korrekten Verlauf der Bürgerbeteiligung. Nur, dass Investor und Planungsreferat auf echte Mitsprache erpicht wären, würde niemand behaupten. Der Bezirksausschuss sah sich in dieser Hinsicht durch die Art und Weise bestätigt, in der die Behörde auf Empfehlungen der Bürgerversammlung zur Nachverdichtung eingegangen ist. Die betrafen die Überfüllung der U 3, den Erhalt eines Wäldchens sowie besagte Abstandsflächen. "Vom Planungsreferat werden solche Einwände einfach weggewischt", kritisierte jüngst der BA-Vorsitzende Ludwig Weidinger (CSU). Auch Micky Wenngatz (SPD) zeigte sich "überhaupt nicht einverstanden mit den Anmerkungen des Referats".

Der BA hat inzwischen eine Stellungnahme zu den Äußerungen des Planungsreferats verabschiedet, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Beispiel Aufnahmefähigkeit der U 3: "Der BA widerspricht der Annahme, dass auf dieser U-Bahn-Linie noch Fahrgastkapazitäten möglich sind." Oder zum Erhalt eines Wäldchens auf der Südseite der Forst-Kasten-Allee, den die Verwaltung offenbar für verzichtbar hält: Der Baumbestand sei "laut Baumbestandsplan als sehr erhaltenswert eingestuft worden. Eine Ersatzpflanzung wird diese Einstufung über Jahrzehnte hinweg nicht erreichen."

Das Forum "Lebenswertes München" und der Verein Pro Fürstenried machen indes unermüdlich weiter Stimmung gegen die "überzogene Nachverdichtung". Dazu dienen Info-Stände auf dem Wochenmarkt und Begehungen mit Stadträten wie Paul Bickelbacher (Grüne) oder Tobias Ruff (ÖDP). Gisela Krupski und ihre Mitstreiter freuen sich selbst über kleine Erfolge. Die neue Nachdenklichkeit bei einigen Mitgliedern des Bezirksausschusses zum Beispiel. Oder Ruffs Zusage, den Stadtrat vor weiteren Entscheidungen in Sachen Nachverdichtung mit einem Fragenkatalog zu konfrontieren.

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SZ vom 02.11.2019
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