Süddeutsche Zeitung

Fürstenried:Bloß keine Megacity

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Bei einer Veranstaltung des Vereins Pro Fürstenried geht es um die Frage, wie die Stadt die Folgen des Wachstums in den Griff bekommt

Von Jürgen Wolfram, Fürstenried

Überschreitet der Zuzug in München die Grenzen eines verträglichen Wachstums? Erstickt die Stadt an ihrem Verkehr? Wann wird Nachverdichtung zur Zumutung? Fragen wie diese standen im Mittelpunkt einer Veranstaltung des Vereins Pro Fürstenried. Von dem Treffen im Fürstenrieder Bürgersaal gingen zwei Hauptforderungen aus: Zum einen müsse sich die Stadt eine Langzeitstrategie für ihre weitere Entwicklung überlegen, statt sich hilflos in ihr Schicksal zu ergeben. Zum anderen sei es Zeit für eine neue Strukturpolitik. Eine, die große Unternehmen und Investoren in andere Gebiete des Landes lenke, statt unaufhörlich in die Metropolregion München und Oberbayern.

Einhellig die Kritik von Publikum und Podium an der Nachverdichtung in Fürstenried-West: Was die Bayerische Versorgungskammer sich hier mit Unterstützung des Planungsreferats leiste, indem sie einen ohnehin großzügigen Wettbewerbsentwurf im Nachhinein von 540 auf 600 zusätzliche Wohnungen aufgemörtelt und gegen die Zusage verstoßen habe, auf den Abbruch von Gebäuden gänzlich zu verzichten, sei absolut inakzeptabel, hieß es unisono.

Die Vorträge zeichneten teilweise ein apokalyptisches Bild der Zustände in einigen Vierteln. Maria Ecke-Bünger, Landschaftsarchitektin und Sprecherin mehrerer Bürgerinitiativen, nannte es "skandalös", wie die Lärm- und Schadstoffbelastungen "weit über den Grenzwerten" in Kauf genommen würden. Der Stadt warf Ecke-Bünger vor, die Bürgerbeteiligung zur "Farce" gemacht zu haben und Anträge von Anwohnern systematisch als Partikularinteressen zu diskreditieren. Andernfalls hätte die "grenzenlose Verdichtung" längst ein Ende gefunden.

Christoph Söllner, einer der Sprecher von Pro Fürstenried, warnte davor, München in eine "Megacity" zu verwanden. Schon jetzt hielten die Nahversorgung sowie der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel mit der Bevölkerungsentwicklung nicht Schritt. Der Autoverkehr sei "nicht mehr beherrschbar", ähnlich der Druck auf die Erholungsgebiete. Aus dem Verkehrskonzept für den Münchner Süden las Söllner "reine Kosmetik" heraus. Mittlerweile müsse man sich Gedanken über die eigene Lebenserwartung und die seiner Kinder machen. Ein Gedanke, den auch Christian Hierneis vom Bund Natur: schutz aufgriff: "Wenn es so weitergeht ist München im Jahr 2035 zugebaut."

Eine "moderatere Stadtentwicklung" forderte ebenso Anke Sponer, Vorsitzende des Vereins Verkehrsberuhigung München. Unter den 14 größten deutschen Städten weise München die größte Bevölkerungsdichte auf, und bei den Grünflächen bilde die Stadt gemeinsam mit Leipzig und Nürnberg das Schlusslicht. Als "positive Aussicht" wertete Sponer, dass sich wenigstens Gerichte anschickten, bei Lärm und Luftverschmutzung die Grenzwerte durchzusetzen. "Eine gesundheitsfördernde Stadtgestaltung wäre gefragt, nicht das Gegenteil", so die Vereinssprecherin. Von den Politikern, die Versammlungsleiter Andreas Art (Pro Fürstenried) zu klaren Stellungnahmen drängte, traf der Landtagsabgeordnete Michael Piazolo (FW) die Stimmung im Saal, als er die Stadt ermahnte, "Politik für die Menschen zu machen, die hier sind, und nicht für solche, die zuziehen wollen".

Ob die Verkehrsprobleme überhaupt noch lösbar sind? Mit dieser Frage löste Andreas Art Skepsis aus. Stärkung der S-Bahn, Taktverdichtung der U-Bahn, rascher Bau neuer Trambahnen und Radwege - auf solche Lösungen einigten sich die Politiker schneller, als deren Umsetzung dauern dürfte. Doch für die Zähmung des Individualverkehrs sehen sie schwarz, solange die Leute vom Auto nicht lassen wollen. Micky Wenngatz (SPD), stellvertretende Bezirksausschuss-Vorsitzende, konstatierte: "So weiter wachsen wie bisher kann der Individualverkehr nicht." Auf eine Kehrtwende, darauf, "dass die Leute sich ändern", deute jedoch nichts hin, sagte dazu der BA-Vorsitzende Ludwig Weidinger (CSU). Stadtrat Paul Bickelbacher (Grüne) führte positive Erfahrungen in Städten wie Kopenhagen und Wien an: Hier sorge eine Top-Fahrradinfrastruktur für Entlastung, dort ein unwiderstehlich günstiger Tarif im öffentlichen Personennahverkehr.

Was tun gegen die Mietpreisexplosion, was gegen unverträgliche Nachverdichtungen? Die Empfehlungen reichten von großflächigem Dachgeschoss-Ausbau bis zur Einbeziehung älterer Wohnungen in den Mietspiegel, von der Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus bis zur Änderung der Baugesetze. In Anbetracht heftiger Kritik nahm Micky Wenngatz die Stadt in Schutz; diese tue eine ganze Menge, man denke an die Sozialgerechte Bodennutzung. Es sei nicht so, dass München allen Investoren "freien Lauf lässt".

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Quelle:
SZ vom 07.07.2018
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