Zweiter Weltkrieg:Jüdin betrieb Stammlokal der Nazis

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Gisela Amode war Inhaberin des Kiosks am Bahnhof in Maisach. (Foto: Privatbesitz/Archiv Arbeitskreis)

Gisela Amode, Inhaberin eines Kiosks in Maisach, konnte im Zweiten Weltkrieg ihre jüdische Herkunft verbergen. Nur mit großem Glück entging sie der Gestapo.

Von Peter Bierl, Maisach

Zwei Spruchkammerverfahren sowie eine Klage des Bürgermeisters musste Gisela Amode nach dem Zweiten Weltkrieg abwehren. Das Café, das sie in Maisach betrieben hatte, war ein beliebter Treffpunkt der Nationalsozialisten gewesen. Das sei alles Tarnung gewesen, erklärte Amode den Richtern. Denn sie war jüdischer Herkunft und deshalb ins Visier der Gestapo geraten. Schließlich wurde sie rehabilitiert und beteiligte sich ihrerseits an einem Amtsenthebungsverfahren gegen den Bürgermeister, den Sozialdemokraten Hans Wegmann. Den hatten die Nationalsozialisten 1933 zweimal eingesperrt.

Die Geschichte von zwei überlebenden Opfern der faschistischen Herrschaft, die sich später vor Gericht bekämpften, hat die Historikerin Helga Rueskäfer recherchiert und in der Zeitschrift "Meisaha" publiziert, dem jährlich erscheinenden Heft des Arbeitskreises Geschichte in Maisach. Als Erklärung für den Konflikt verweist Rueskäfer auf die unterschiedlichen Charaktere der Kontrahenten: Auf der einen Seite die unkonventionelle und selbstbewusste Geschäftsfrau, die ums Überleben kämpfte, auf der anderen Seite der gestrenge Kommunalpolitiker, dem das Nazitreiben missfallen habe.

Rueskäfer berichtet allerdings auch, dass der Bürstenfabrikant Anton Fastner nach dem Einmarsch der US-Truppen den Nazibürgermeister von Maisach am 2. Mai 1945 absetzte und sich selbst zum Bürgermeister machte. Zu Fastners Anhängern habe Amode gehört. Vier Tage später warf Wegmann Fastner und seine Unterstützer aus dem Rathaus, nachdem die US-Militärbehörden ihn zum kommissarischen Bürgermeister ernannt hatten. Möglicherweise gab es also politische oder ökonomische Motive für den Zwist.

Die Geschichte begann im Sommer 1932, als das Ehepaar Martin und Gisela Amode nach Maisach zog. Bei der Anmeldung gaben beide an, sie seien katholisch. Gisela Amode übernahm ein Café in der Aufkirchner Straße, das zuvor Josef Brameshuber aus Bruck gehört hatte. Das Lokal war ein beliebter Treffpunkt in Maisach, diente als Tanzcafé und hatte am Wochenende bis ein Uhr nachts offen. 1933 machten die Nazis den Betrieb zu ihrem Stammlokal, sogar der SA-Obersturmführer Marquard, der die Machtübernahme und Verfolgung von politischen Gegnern im Landkreis leitete, verkehrte dort. Martin Amode trat 1933 der NSDAP bei, seine Frau schloss sich im folgenden Jahr der NS-Frauenschaft an.

Hier ist Gisela Amode unter den Gästen einer Hochzeit zu sehen (mit weißer Bluse und schwarzer Schleife unter den Zuschauern). (Foto: Privatbesitz/Archiv Arbeitskreis)

Was weder die Nazis noch sonst jemand in Maisach zu diesem Zeitpunkt zu wissen schien, war der Umstand, dass Gisela Amode jüdischer Herkunft war. Rueskäfer führt an, dass sie bei ihrer Eheschließung 1915 in Nürnberg und bei ihrer Wiederverheiratung 1922 in Ingolstadt als Religion jeweils israelitisch angegeben hatte. Mit ihrem zweiten Mann war sie 1930 nach Landshut gezogen und hatte dort eine Wirtschaft aufgemacht. In ihrem Spruchkammerverfahren sagte Amode aus, dass ihre jüdische Herkunft in Landshut bekannt geworden war und sie schon 1932 Drohbriefe erhalten habe. Darum habe sich das Paar nach Maisach abgesetzt.

Im Herbst 1932 beantragte Gisela Amode den Bau eines Kiosks am Maisacher Bahnhof, der zuerst vom Gemeinderat abgelehnt wurde, weil es bereits drei Gaststätten, sechs Läden und ein Kaufhaus in der Nähe gab. Im Februar 1933 - noch hatten die Nazis in den bayerischen Kommunen nicht das Sagen - genehmigte die Gemeinde schließlich das Projekt. Für die damalige Zeit ungewöhnlich war, dass Gisela Amode als Chefin und Bauherrin auftrat. Zunächst führte sie das Café weiter, während er den Kiosk betrieb. 1936 gab sie das Café auf, angeblich weil ihr der Betrieb zu unsicher geworden war. Als Betreiberin des Nazitreffpunkts hatte sie sich exponiert.

Im Dezember 1940 gerieten die Amodes erstmals ins Visier der Behörden, weil das Wohlfahrtsamt der Stadt München Auskunft über die "Rassezugehörigkeit" ihres unehelichen Sohnes Arthur Graf verlangte. Bei ihrer Vernehmung durch Bürgermeister Metzger gab Amode an, sie erinnere sich nicht mehr an den Vater. Sie habe das Kind nach der Geburt in einem Findelhaus abgegeben. Der Bürgermeister behauptete später in seinem Spruchkammerverfahren, er habe der Gestapo dreimal mitgeteilt, dass Amode katholisch sei.

1943 bekam Gisela Amode schließlich eine Vorladung von der Gestapo in München und hatte Riesenglück: Der Mann, der sie verhörte, hieß ebenfalls Amode, es stellte sich heraus, dass es sich um einen entfernten Verwandten ihres Mannes handelte. Bei einem Fliegerangriff sorgte der Gestapomann Amode dafür, dass die Akten von Gisela Amode verbrannten. Anscheinend halfen sich die Amodes gegenseitig, der Maisacher Zweig schickte Lebensmittel nach München an den Gestapo-Zweig.

Amerikaner hielten Amode für Nazi-Anhängerin

Nach Kriegsende sollte Gisela Amode den Fragebogen zur Entnazifizierung ausfüllen, was sie ablehnte. Als sie im Herbst 1945 ein Mietwagengeschäft für ihren Mann eröffnen wollte, verweigerte die lokale US-Militärregierung die Lizenz und verfügte im Dezember, dass ihr Kiosk geschlossen wurde. Offensichtlich betrachteten die Amerikaner sie zu diesem Zeitpunkt als Nazi-Anhängerin.

Amode wandte sich an den Landrat, der ihr Anliegen wiederum an den US-Militärgeheimdienst weiterleitete, im Januar 1946 schaltete sich sogar der Staatskommissar für die Betreuung der überlebenden Juden in Bayern ein, wohl aber vergebens. Im Februar 1946 legte Bürgermeister Wegmann mit einer Klage wegen Verleumdung und falscher Anschuldigungen nach. Er betonte, dass ihr Café ein beliebter Treffpunkt der Nazis gewesen sei. Die Bahn drohte den Amodes mit Kündigung des Kiosks und ihrer Wohnung. Schließlich griffen übergeordnete Stellen ein, darunter der Antifaschistische Wirtschaftsausschuss, der Wegmann bat, seine Attacke einzustellen, und das Staatsministerium für Sonderaufgaben, das eine unverzügliche Verhandlung anordnete.

Im Prozess wurde ihr vorgehalten, dass Café und Kiosk an nationalsozialistischen Feiertagen übermäßig geschmückt und der Bahnhofsvorplatz mit Führerreden und Marschmusik beschallt worden war. Amode argumentierte, das sei alles Tarnung und an der lauten Musik der Dorflehrer schuld gewesen, der das Radio ins Fenster gestellt habe. Nach zwei Spruchkammerverfahren wurde Gisela Amode im Herbst 1947 rehabilitiert.

Sie beteiligte sich nun ihrerseits an einem Amtsenthebungsverfahren gegen Wegmann, das Fastner initiiert hatte. Sie klagte den Bürgermeister an, hinter der vorübergehenden Kündigung der Bahn gesteckt und Entlastungszeugen in ihrem Spruchkammerverfahren unter Druck gesetzt zu haben. Das Verfahren wurde im Sommer 1947 eingestellt. Die Amodes betrieben den Kiosk noch bis 1956 und zogen drei Jahre später nach Pasing, wo beide 1962 kurz nacheinander starben.

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Arbeitskreis Geschichte, Hrsg., Meisaha - Hefte zur Gemeindegeschichte, Ausgabe 2017, 50 Seiten, 5 Euro

© SZ vom 20.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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