Zurück in die Klassen:Ein mulmiges Gefühl

Nach sechs Wochen Zwangspause kehren die Abschlussklassen in die Schulen zurück. Zwar freuen sich alle, dass es wieder Unterricht gibt. Doch viele haben auch Angst vor Ansteckung

Von Ingrid Hügenell

Keine eifrig redenden Schülergruppen, keine Freundinnen, die sich nach der langen Zwangstrennung umarmen: Am ersten Schultag nach sechs Wochen durch Corona bedingter Schließung kommen die 190 Buben und Mädchen der 10. Klassen der Maisacher Orlando-di-Lasso-Realschule ruhig und diszipliniert ins Gebäude. Sie betreten das Schulhaus über drei verschiedene Eingänge, die sie zugeteilt bekommen haben. Außer den Zehntklässlern, die Ende Juni/Anfang Juli ihre Prüfungen zur Mittleren Reife ablegen sollen, sind keine Schüler da. Alle seien ganz schön aufgeregt, sagt Schülersprecherin Joelle Klausnitzer, 16, die mit ihren Mitschülern über Whatsapp in Kontakt steht, und fügt an, ihre Freunde seien ihr schon sehr abgegangen. Dennoch ist sie trotz der Sicherheitsmaßnahmen nicht ohne Sorge in die Schule gekommen. Sie hat Angst, sie könnte sich irgendwann mit dem Virus infizieren. Viele haben an diesem ersten Schultag nach der Zwangspause ein ungutes Gefühl, und auch Experten rechnen mit steigenden Fallzahlen durch die teilweise Schulöffnung.

Direktorin Doris Lux steht mit Maske im Eingangsbereich und begrüßt ihre Schüler. Sie habe alle sehr vermisst, sagt sie. Auf dem Boden zeigen drei signalgelbe Klebestreifen, wie groß der Abstand von 1,50 Metern ist, den alle einhalten sollen. Zwei große Schritte sind das, mehr, als man intuitiv glaubt. Auffällige Schilder weisen ebenfalls auf den Abstand hin. Lehrerinnen stehen in den Gängen und geben Auskunft. Bereiche, die nicht betreten werden dürfen, sind mit rot-weißem Flatterband abgeteilt. Jeder Schüler hat vorab per E-Mail die Information erhalten, in welchem Zimmer er unterrichtet wird und an welchem Tisch er sitzen darf.

Zurück in die Klassen: Die gelben Streifen auf dem Boden zeigen den Maisacher Realschülern und ihren Lehrern, wie groß 1,50 Meter Abstand sind. Die einzuhalten wird in den Gängen und Klassenzimmern schwierig.

Die gelben Streifen auf dem Boden zeigen den Maisacher Realschülern und ihren Lehrern, wie groß 1,50 Meter Abstand sind. Die einzuhalten wird in den Gängen und Klassenzimmern schwierig.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Klassen wurden aufgeteilt, höchstens 15 Schüler dürfen in einem Raum sein, an Einzeltischen mit dem notwendigen Abstand. Gemeinsames Essen und Trinken ist nicht gestattet, ebenso dürfen die Schüler keine Gegenstände teilen. Wer ins Klassenzimmer kommt, wäscht sich die Hände. Wer nicht selbst daran denkt, wird von den Mitschülern erinnert. So ist es zumindest in dem Zimmer, in dem Verena, 16, sitzt. Auch sie hat ein mulmiges Gefühl. "Wir sind ein bisschen die Versuchskaninchen für alle", sagt sie. Eine Lehrerin spricht von der großen Verantwortung, die auf Lehrern und Schulleitung laste.

Auf die Eigenverantwortung ihrer größtenteils erwachsenen Schüler setzt Monika Pfahler, die Direktorin der Fach- und Berufsoberschule (FOS/BOS) in Fürstenfeldbruck. Streifen auf dem Boden, die den Sicherheitsabstand verdeutlichen, gibt es dort nicht, Flatterband zur Abtrennung schon. 615 Schüler sind in den 28 Abschlussklassen, das ist mehr als die Hälfte der Schüler insgesamt. Für alle Platz zu finden, ist schwieriger als in der Realschule. Entsprechend groß sind die Anforderungen an die Schulleitung und die Lehrer. Am Montag kommen alle Schüler versetzt für je zwei Stunden in die Schule. In kleinen Gruppen werden sie zunächst über die Verhaltensregeln, die Prüfungsvorbereitung und den neuen Stundenplan informiert.

Zurück in die Klassen: Der Mund-Nasen-Schutz ist nicht Pflicht, doch in der FOS/BOS in Fürstenfeldbruck tragen die meisten einen.

Der Mund-Nasen-Schutz ist nicht Pflicht, doch in der FOS/BOS in Fürstenfeldbruck tragen die meisten einen.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Von Dienstag an gibt es Schichtunterricht, erklärt Pfahler. Am ersten Tag kommen vormittags sieben Klassen ins Haus, nachmittags die nächsten sieben. Am zweiten Tag sind die dritte und vierte Gruppe dran, dann geht es von vorne los. Jeweils vier Schulstunden dauert der Unterricht, Pausen sind nicht vorgesehen, so kommt man sich auch nicht mit dem Graf-Rasso-Gymnasium im selben Gebäude ins Gehege. Wer essen oder trinken muss, darf das ausnahmsweise im Unterricht tun. Damit in der S-Bahn kein Gedränge entsteht, haben sich FOS/BOS und Berufsschule auf unterschiedliche Anfangszeiten verständigt, denn deren Schüler kommen häufig von außerhalb mit öffentlichen Verkehrsmitteln. An der Berufsschule beginne der Unterricht nun um 8.45 Uhr, sagt Pfahler.

Die erste Schicht an der Fachoberschule dauert von 8.05 bis 11.05 Uhr. Danach werden alle Klassenräume und die Toiletten desinfiziert. Um 12.30 Uhr beginnt die zweite Schicht, sie dauert bis 15.30 Uhr. Man hört Pfahler an, dass sie froh ist, nicht auch noch die Verantwortung dafür zu haben, dass genug Reinigungsmittel da sind. Darum muss sich die vom Landkreis beauftragte Reinigungsfirma kümmern. Genügend Lehrer für den Unterricht an der Schule zusammen zu bekommen, war schon schwierig genug. Denn wer einer Risikogruppe angehört, muss nicht in die Schule kommen, wenn ein Arzt das bestätigt. Diese Lehrer unterrichten weiter ausschließlich von zu Hause aus, sie haben mit anderen getauscht. Weil die Klassen geteilt wurden und parallel unterrichtet werden, werden relativ viele Lehrkräfte gebraucht.

Zurück in die Klassen: Die Masken, die der Freistaat zur Verfügung stellt, sind dünn und wenig stabil.

Die Masken, die der Freistaat zur Verfügung stellt, sind dünn und wenig stabil.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Schüler, die gerade nicht in der Schule sind, erhalten weiter Unterricht zu Hause. Die Lehrer sind stark gefordert, die Schulleitungen sowieso. Sowohl Pfahler als auch Realschulleiterin Lux haben die Osterferien durchgearbeitet, und an anderen Schulen sieht es wohl ebenso aus. "Das ist spannend. Und wahnsinnig anstrengend", sagt Pfahler. "Man möchte nichts falsch machen. Es geht schließlich um die Gesundheit." Ohne ihr "tolles Team" wäre das alles nicht zu schaffen, alle zögen mit, von den Lehrkräften über die Verwaltung bis hin zum Hausmeister. Einige Lehrer haben allerdings Probleme mit der Betreuung ihrer eigenen Kinder. So wie Martha Fritsch, die in München lebt und ihre sechsjährige Tochter in die Notbetreuung der Grundschule geben konnte. Die Zweieinhalbjährige solle der Ehemann aber von Dienstag an zu Hause betreuen, sei ihr in der Krippe gesagt worden. Wie sich das neben dem Home-Office des Vaters bewerkstelligen lassen solle, darauf habe die Kita auch keine Antwort, berichtet sie.

Als Vorsichtsmaßnahme tragen an beiden Schulen die meisten Schüler und Lehrer Masken, obwohl die nicht vorgeschrieben sind. Viele haben sie selbst genäht oder von Müttern oder Freundinnen welche geschenkt bekommen. Im Rektoratszimmer von Doris Lux liegen welche bereit, falls jemand noch Bedarf hat. Und das ist auch gut so, denn die Masken, die der Freistaat für die Schüler bereit stellt, sind dünne Behelfsmasken, nur wenig stabiler als Modelle, die man sich aus Küchenpapier selber basteln könnte. Zudem reißen die Gummibänder beim Aufsetzen leicht ab. Die Masken mussten die Schulleiterinnen selbst beim Landratsamt abholen.

Zurück in die Klassen: Auch die Maisacher Schülersprecherin Joelle Klausnitzer trägt einen Mundschutz.

Auch die Maisacher Schülersprecherin Joelle Klausnitzer trägt einen Mundschutz.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Wie anstrengend es ist, ständig eine Maske zu tragen, kann man leicht erkennen. Selbst manche Lehrer zerren und zupfen ständig an ihnen herum, manche ziehen sie immer wieder herunter. Dass für Grundschulkinder Masken nur wenig geeignet sind, wird da augenfällig. Das Abstandhalten fällt sogar manchen Lehrern schwer, und auch die Schüler ballen sich unwillkürlich immer wieder zu kleinen Grüppchen zusammen, wenn sie durch die Gänge laufen oder aus den Klassenzimmern kommen. Die Lehrer müssen die Schüler immer wieder ermahnen. "Abstand, Abstand", ruft FOS/BOS-Leiterin Pfahler, wenn sie durch die Gänge läuft, und lässt keine Rechtfertigungen gelten. Realschulleiterin Lux erkennt schon vor acht Uhr am Montag: "Das mit den Abständen wird uns allen schwer fallen." Ständig muss jemand einen Schritt zur Seite oder zurück treten, um einem anderen nicht zu nahe zu kommen.

Pfahler, die an der FOS/BOS sonst auch fachpraktischen Unterricht im Gesundheitsbereich erteilt, fürchtet, dass es schnell zu Corona-Fällen kommen könnte, vor allem, wenn in wenigen Wochen auch die elften Klassen wieder kommen dürfen. Dann würden die Schulen wohl ganz schnell wieder geschlossen - und das Abitur könnte ganz ausfallen.

Zunächst jedoch können die Abschlussklassen wieder in der Schule lernen. Die Maisacher Schülersprecherin Joelle Klausnitzer begrüßt das. "Es ist schon schwer, sich alles selber beizubringen." Das digitale Lernen habe zwar geklappt. "Aber es ist anders, wenn man in der Schule ist. Wenn man was nicht versteht, kann man gleich nachfragen." Ein Vorteil beim Lernen daheim sei, dass man sich die Zeit frei einteilen könne, sagt die 16-Jährige. Ein großer Nachteil, dass in ihrem Wohnort Waltenhofen (Gemeinde Egenhofen) die Internetanbindung nicht so gut ist und das Wlan immer wieder ausfällt. Dann wird es kompliziert für Joelle und ihre Schwester, die heuer Abitur macht, und das, obwohl beide Eltern nicht im Home-Office sind.

Emanuel Meht, 20, der die FOS besucht, fragt sich, wie wohl die mündliche Gruppenprüfung in Englisch vonstatten gehen wird, wenn alle Abstand halten müssen. Zwar gebe es weniger Unterricht, alles sei anders, aber: "Es wird zu unseren Gunsten angepasst und geregelt", sagt er. "Man muss schauen, dass man es halbwegs über die Bühne bringt und mit dem arbeiten, was einem gegeben wird." Eine 18-Jährige Schülerin der Fachoberschule aus Mammendorf sagt, sie fühle sich grundsätzlich gut vorbereitet fürs Abitur. "In den Hauptfächern wird gut darauf geachtet, dass wir das Abi schaffen." Aber der Physiklehrer habe nur einmal neuen Stoff per E-Mail geschickt und beantworte auch keine Fragen mehr.

Die Direktorinnen hoffen, dass nach dieser Erfahrung Schule wieder positiver gesehen wird. "Schule war immer ein krisensicherer Bereich und soll Stabilität geben", sagt Lux. "Ich hoffe, dass wir wieder merken, wie toll Schule ist." Und Pfahler hat einen Ausdruck mit einer ähnlichen Aussage aufgehängt: "Manche Eltern finden gerade heraus - der Lehrer war nie das Problem".

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