Zero Waste:Ohne Plastik geht es auch

Glasbehälter statt Tupperdosen, Bienenwachstücher statt Folien: Eine Germeringer Familie vermeidet seit einem Jahr beim Einkauf konsequent Verpackungen. Ein Leben ganz ohne Müll ist aber noch eine Utopie.

Von Jamila Christians, Germering

Wenn Tanja Diechtierow ihren wöchentlichen Einkauf erledigt, dann nur frühmorgens auf dem Wochenmarkt am Germeringer Volksfestplatz. Nicht nur, weil sie dort regionale Produkte bekommt und die Qualität stimmt. Sondern vor allem deswegen, weil sie dort unverpackte Lebensmittel kaufen kann. Denn die vierköpfige Familie vermeidet, so gut es geht, Plastik und anderen Verpackungsmüll. Ausgestattet mit Einkaufskorb, Stoffbeuteln aus alten Küchentüchern und Edelstahlbehältern läuft die 41-Jährige über den Marktplatz.

Die erste Station ist der Käsestand. Diechtierow stellt ihren zweistöckigen Edelstahlbehälter auf die gläserne Ablage - weiter nicht. Der Verkäufer darf diesen nicht in die Nähe seiner Theke bringen. "Immer mehr Leute bringen ihre eigenen Aufbewahrungsboxen mit. Annehmen dürfen wir sie nicht, da stehen die Hygienevorschriften im Weg", sagt Thomas Hieber, der den Käseladen betreibt. Hieber wickelt den sorgsam in Plastikfolie verpackten Käse aus und schneidet ihn in passende Stücke, die er behutsam über die Theke reicht. "Ich finde, die Plastikfolie könnte man sich auch sparen", sagt Diechtierow. Der Verkäufer nickt dazu. Allerdings sei dies nicht zu ändern, sagt er. Wenn er die Plastikfolie weglasse, werde der Käse schnell trocken. "Die Leute kaufen nur Sachen, die frisch aussehen", sagt er mit einem Schulterzucken.

Der grüne, biologische Gemüse-und Obststand der Familie Hecker ist Diechtierows nächstes Ziel. Sie nimmt sich einen braunen Flechtkorb und füllt ihn mit Radieschen, Fenchel, Äpfeln und Möhren - auch hier alles unverpackt. Diechtierow achtet auf die grünen Schilder, die zeigen, welche Produkte aus der Region stammen. Zuletzt komplettiert ein Brot, das in einem Stoffbeutel landet, den wöchentlichen Einkauf.

Seit fast eineinhalb Jahren versucht die Familie, Müll möglichst zu vermeiden. Tanja ist 41 Jahre alt und Grafikdesignerin, ihr Mann (43) ist Beamter, die beiden Kinder sind zwei und sechs Jahre alt. Die Familie lebe fern von Verschwendungsgesellschaft und Konsumhölle, sagt Diechtierow - ohne zusätzlichen Zeitaufwand. Die Anhänger Zero-Waste-Bewegung halten sich an fünf Regeln: Reduzierung, Wiederverwendung, Reparatur, Recycling und Kompostieren. Bio, Fair-Trade und Nachhaltigkeit alleine reichen nicht.

Denn der Verpackungswahnsinn kennt auch bei Bioprodukten keine Grenzen. Kaufen, öffnen, wegwerfen: Verpackungen haben eine kurze Lebensdauer. Das ist das eigentliche Problem: Laut einer Statistik von 2017 verursacht jeder Deutsche pro Jahr durchschnittlich 37 Kilogramm Plastikmüll - nur aus Verpackungen. Und längst nicht alles wird recycelt. Hier handelt Tanja Diechtierow aktiv, ihr Mann unterstützt sie dabei. Die sechsjährige Tochter Greta wird umweltbewusst erzogen. "In der Eisdiele nehme ich die Waffel, nicht den Becher. Denn der Becher ist ja aus Plastik", sagt das Mädchen. Dass die Mama keine Süßigkeiten kauft, störe sie nicht. "Wir bekommen viele Süßigkeiten geschenkt, die die Mama dann sammelt."

So fallen im Haushalt der Familie, abgesehen von dem kleinen Häufchen Restmüll, fast nur Bioabfälle, Altpapier und Altglas an. Alle drei bis vier Wochen fahren sie die Wertstoffe auf den Wertstoffhof, was geht, wird kompostiert oder eben wiederverwendet, wie Altglas zum Beispiel. Der Umdenkungsprozess habe bereits in ihrer Schwangerschaft begonnen, berichtet Diechtierow. Fragwürdige Inhaltsstoffe in Kosmetikprodukten, wie etwa Mikroplastik, hätten sie zum Nachdenken angeregt. Über die Jahre habe sich daraus "eine richtige Leidenschaft entwickelt", sagt sie. Nach und nach stellt die Familie Einkaufsgewohnheiten, Ernährung- und Konsumverhalten um. "Immer wieder frage ich mich, was kann ich jetzt noch verändern?"

Zurück zum Wesentlichen, dem Inhalt. Im Badezimmer gibt es weder Duschgel noch Shampoo oder Bodylotion in Plastikflaschen, sondern drei feste Seifen. Diese weisen pflegende Inhaltsstoffe auf, aber kein Wasser, keine Silikone und Konservierungsmittel, vor allem aber keine Verpackung und auch kein Mikroplastik. Kostenpunkt einer Seife: Um die zehn Euro, die halte etwa ein halbes Jahr, sagt Diechtierow. Zum Zähneputzen gibt es kleine runde Tabletten, die Wattestäbchen sind kompostierbar, die Zahnbürsten aus Bambus, der Nassrasierer ist aus Edelstahl, Puder liegt in einer Papierhülle.

In der offenen Küche finden sich eine Siebträgermaschine, die mit Kaffeebohnen betrieben wird, und eine Küchenmaschine aus Edelstahl. Blickt man in die Regale, Schubladen und den Gefrierschrank, sieht man Glasbehälter in allen Formen und Größen. Darin sind Nudeln, Nüsse, Hülsenfrüchte. Übrig gebliebenes Essen wird in Joghurtgläsern eingefroren. "Bei uns landet kein Essen im Müll", sagt Diechtierow. Es gibt keine Alu-oder Plastikfolie, sondern waschbare Bienenwachstücher, um Brotzeit zu transportieren oder einzufrieren. Statt Papiertaschentüchern verwendet die Familie solche aus Stoff. Alte Zeitungen werden zu Mülltüten gefaltet.

Der Zero-Waste-Lebensstil ist auch modisch ein Thema. Die Kleidung für die Kinder kauft die Familie Secondhand oder Fair-trade, vieles tauschen sie. Selbst beim Wasch-und Putzmittel achten sie auf Nachhaltigkeit. Diechtierow stellt ihr eigenes Waschmittel her - aus Kastanien. "Man nimmt drei bis vier Kastanien und legt sie über Nacht in ein Behälter mit heißem Wasser. Am nächsten Tag siebt man die Flüssigkeit direkt in das Waschmittelfach", sagt sie. In den Kastanien sind Saponie enthalten, die machen die Wäsche schaumig und sauber - und sie sind kostenlos und biologisch abbaubar. Die Kastanien lassen sich, klein gehakt, in Glasbehältern aufbewahren und das ganze Jahr über nutzen. Nur bei der Kinderzahnpasta hat Diechtierow noch keiner Alternative gefunden, dasselbe gilt für Sonnencreme.

Noch ist ein Leben ganz ohne Müll eine Utopie

"Komplett verpackungsfrei geht es noch nicht", sagt sie. Wenn man den Haushalt der Familie sieht, ist klar: Eigentlich ist fast alles ohne Verpackungsmüll zu haben. Viele Lebensmittel und Kosmetikartikel kann man unverpackt online oder in einem der "Unverpackt"-Läden in München kaufen. Fast 80 solcher Geschäfte gibt es in Deutschland. Dort wird alles in riesigen Glasbehältern aufbewahrt. Mehl, Nudeln oder Haferflocken kauft man in wiederverwendbaren Behälter. Weil sie nur selten in München einkaufen kann, würde Diechtierow am liebsten im Landkreis ein eigenes Unverpackt-Geschäft eröffnen.

Noch ist ein Leben ganz ohne Müll eine Utopie. Die Lebensmittelindustrie macht es einem nicht leicht. "Hafermilch zum Beispiel gibt es bisher nur im Tetrapack, dabei kaufen wir Milchprodukte eigentlich nur im Glasbehälter", sagt Diechtierow. Trotzdem gehe sie kaum noch in den Supermarkt, außer vielleicht mal wegen eines Apfels. "Wenn ich da hingehe, sehe ich nur Plastik. Man muss sich mal das ganze Ausmaß des Plastikkonsums vor Augen halten. Erst wenn man das erkennt, dann kann man was ändern", sagt Diechtierow.

Sie empfiehlt, die Umstellung langsam vorzunehmen. Oft reiche ein Blick in den Abfalleimer. "Was verursacht den meisten Müll? Da sollte man ansetzten", sagt sie. Singlegrößen und Miniversionen seien nicht förderlich für die Umwelt. Grundsätzlich gilt: Lieber die große Verpackung kaufen, das produziere am Ende weniger Müll als viele kleine Portionen. Am Ende kann also jeder einen Beitrag leisten, auch ohne viel Aufwand. "Es geht nicht darum, dass man alles perfekt macht. Sondern, dass man einfach anfängt. Jeder Schritt zählt".

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