Workshop:Eine neue Dimension für die Stimme

Lesezeit: 3 Min.

Anna-Maria Hefele bringt den faszinierten Besuchern die Technik des Obertonsingens näher

Von Eva Runkel

Germering - Zwei Menschen, die in unterschiedlichen Stimmlagen zusammen singen hat wohl jeder schon einmal gehört. Aber ein einzelner Sänger in einem Duett mit sich selbst? Das ist schwer vorstellbar. Tatsächlich ist es aber möglich und zwar durch den sogenannten Obertongesang. Bei dieser Technik ist der Sänger in der Lage, gleichzeitig zwei unterschiedlich hohe Töne zu produzieren und sie unabhängig voneinander zu verändern.

Anna-Maria Hefele ist Stimmkünstlerin und eine Meisterin auf dem Gebiet des Obertongesangs. Bei einen Workshop in Germering erklärt sie dem Publikum, wie diese Art zu singen funktioniert und gelernt werden kann. Zur Veranschaulichung verwendet sie dabei eine sogenannte Frequenzspektrumanalyse. Das kann man sich folgendermaßen vorstellen: Anna-Maria Hefele singt in ein Mikrofon, das wiederum an die Frequenzspektrumanalyse auf ihrem Computer angeschlossen ist. Die visuelle Darstellung der aufgenommenen Töne wird schließlich mit Hilfe eines Beamers für alle sichtbar auf eine Leinwand hinter der Sängerin projiziert. Dadurch kann man leicht mitverfolgen, wie sie sich verändern. Als die 29-Jährige zu singen beginnt, vernimmt man zuerst einen gewöhnlichen Ton. Dann allerdings geht ein ungläubiges Raunen durch die Zuschauer, als gleichzeitig eine helle pfeifende Melodie immer deutlicher zu hören ist. Es klingt, als würde jemand den Gesang mit einer Flöte begleiten. Dabei bewegt die Stimmkünstlerin kaum die Lippen. Aber der Verlauf der verschiedenfarbigen Linien auf dem Bildschirm hinter ihr lässt keinen Zweifel daran, dass beide Klänge allein durch ihre Stimme erzeugt werden. Schon diese kleine Kostprobe begeistert die etwa 50 Zuhörer, von denen die meisten selbst in einem Chor singen.

Um die komplexe Technik des Obertongesangs erklären und begreifen zu können, folgt ein Exkurs über die physikalischen Eigenschaften der Stimme und des Klangs generell. Denn "Stimme ist pure Physik", so Hefele. Das Wichtigste, das man hierbei wissen muss ist, dass jeder Ton, den man wahrnimmt, sich aus vielen verschieden hohen Frequenzen zusammensetzt, die vom Gehirn automatisch gemischt werden. Wie etwa bei einem Chor, bei dem die Sänger in unterschiedlichen Tonlagen singen, man aber am Ende nicht die Einzelpersonen, sondern stattdessen einen einheitlichen Klang hört. Die Basis in diesem Klangspektrum nennt sich "Grundton", die höheren Frequenzen sind die "Obertöne". Das Ziel ist es, diese Obertöne kontrolliert herauszufiltern und zu verstärken, sodass sie als Einzeltöne wahrgenommen werden können. Ein Laut wird sozusagen in seine Bestandteile zerlegt. Dabei ist bei jedem Grundton die dazugehörige Obertonleiter festgelegt. "Man kann sich nie versingen beim Oberton", erklärt Thomas Radlwimmer. Der 30-Jährige praktiziert die Gesangstechnik bereits seit sechs Jahren als Hobby.

Anna-Maria Hefele ist Expertin für den Obertongesang. (Foto: Günther Reger)

Um diesen Effekt zu erzielen, müssen die Sänger ihren Mundraum mit der Zunge in zwei Resonanzräume unterteilen. Dadurch können sie dann auch den Ton aufteilen und die gewünschten Frequenzen verstärken. Ähnlich wie bei einem Equalizer, nur eben mit der menschlichen Stimme. In dem Bereich, in dem die eigene Stimme am stärksten ist, sind auch die Obertöne am lautesten zu hören. Wobei jedoch Männer durch die generell tiefere Stimmlage, mehr Obertöne erzeugen können, als Frauen. Nicht nur das gezielte Singen dieser Frequenzen will jedoch gelernt sein, sondern auch das Hören. Jeder Mensch nimmt Obertöne unterschiedlich auf. Manche können sie zu Beginn überhaupt nicht wahrnehmen. "Aber wenn man einmal anfängt Obertöne zu hören, hört man nicht mehr auf damit", sagt Hefele. Denn nicht nur in der Stimme sind sie enthalten, sondern in allen Geräuschen, sei es die Melodie eines Instruments oder der Lärm eines Staubsaugers.

Im Endeffekt ist Obertongesang also eine akustische Illusion. Es werden tatsächlich nicht zwei Töne gleichzeitig gesungen, sondern weiterhin ein Ton, der jedoch in seine Bestandteile zerlegt wird. Da das dem Gehirn unbekannt ist, kommt es dem Hörer vor, als würde er statt einer einzigen Stimme, einen Sänger und einen Flötenspieler hören. Auch hört man eigentlich nicht nur einen Grundton und einen Oberton, sondern weiterhin alle dazugehörigen Obertöne, wobei allerdings nur einer verstärkt wird.

Konzentriert versuchen die Besucher die Übungen umzusetzen. (Foto: Günther Reger)

Hefele selbst hat im Alter von 16 Jahren damit begonnen, sich mit Obertongesang zu beschäftigen. Am Mozarteum in Salzburg studierte sie Musik- und Tanzpädagogik, mit klassischem Gesang als Hauptfach. Heute gibt sie hauptsächlich Unterricht im Obertongesang und vokalen Improvisationen. Außerdem singt sie als Solistin und arbeitet mit ihren eigenen Musikensembles. Es ist ihr ein Anliegen, dass der Obertongesang wieder populärer wird und nicht mehr ausschließlich mit Esoterik in Verbindung gebracht wird, wie es immer noch oft der Fall ist. Denn diese Gesangstechnik kann jeder lernen. Laut Hefele könnte man die ersten Obertöne bereits nach einer Stunde erzeugen. Sie auch zu kontrollieren, "das braucht dann halt Übung".

© SZ vom 20.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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