Wo Arbeiter, Soldaten und Vertriebene wohnten:Heimat in Baracken

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Der Journalist Hans-Dieter Götz hat ein zweites Buch über das Leben im früheren Wifo-Lager bei Germering geschrieben.

Christiane Bracht

Wo heute glänzende Fassaden stehen, die die florierenden Firmen im Kraillinger Gewerbegebiet präsentieren, war einst ein Barackenlager. Unter ärmlichsten Bedingungen lebten hier mitten im Kreuzlinger Forst Arbeiter, Soldaten und Vertriebene zum Teil mit großen Familien. Viele kamen illegal in das frühere Wifo-Lager, vor allem Frauen und Kinder. "Wir haben uns in einem leeren Raum von Baracke 25 versteckt", berichtet eine Zeitzeugin. "Mittags kam mein Vater und brachte uns sein Essen aus der Kantine." In ihren erlernten Berufen konnten nur sehr wenige der Männer damals arbeiten, die meisten mussten schon froh sein, wenn die Amerikaner sie als Fasslroller oder Kanisterreiniger im Tanklager anstellten.

Vergilbte Schwarz-Weiß-Fotos aus den 1930er, 40er und 50er Jahren zeugen noch von dieser Zeit. Der frühere Focus-Redakteur Hans-Dieter Götz aus Germering hat sich mit dem Lagerleben auf Kraillinger Flur näher beschäftigt und jetzt ein Buch herausgegeben. Es ist praktisch die Fortsetzung seines ersten Bandes, der 2009 unter dem Titel "Geheime Reichssache Wifo" erschienen ist und sowohl in Germering als auch im Würmtal auf so großes Interesse stieß, dass es schon nach wenigen Wochen vergriffen war. Sein neues Werk heißt nun "Vom Lager Wifo II zur KIM".

Wie schon sein erstes Buch über das Wifo-Lager - Wifo steht für "Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft mbH" und war eine 1934 in Berlin durch das Reichswirtschaftsministerium gegründete Tarnfirma, die für die Beschaffung, Lagerung und Herstellung von kriegswichtigen Rohstoffen zuständig war - hat er auch den zweiten Band im Eigenverlag herausgegeben. Der umfasst 120 Seiten und enthält zahlreiche historische Fotos Dokumente, Zeitungsartikel und Lagepläne.

Etwa zwei Jahre lang hat Götz an dem Buch gearbeitet, Interviews mit Zeitzeugen aus der Umgebung geführt, in Erinnerungen gekramt, alte Briefe gelesen und nach Fotos geforscht. Aber nicht jeder wollte seine Bilder gerne weggeben, manchmal musste Götz erst Vertrauen aufbauen, bevor er sich eines ausleihen durfte. Die Idee zu dem Werk kam dem Germeringer bereits 2009, als Käufer seines ersten Wifo-Buches über ihre Erlebnisse im Kraillinger Barackenlager berichteten.

Erst nach und nach wurde dem Journalisten bewusst, dass das Leben im Lager ein "Massenschicksal nach dem Krieg" war. Und er machte sich daran, das Buch für die Kraillinger zu schreiben. Das Interesse ist groß: Von 300 Exemplaren seien nur noch 90 da, sagt Götz. Allerdings kommen die meisten Käufer gar nicht aus Krailling, sondern sind Germeringer.

Heute ist das spartanische Leben in den Baracken kaum noch vorstellbar. Im Winter war es offenbar so kalt, dass lange Eiszapfen von den Gardinen hingen, im Sommer war es so heiß, dass die Feuerwehr ab und zu kommen musste, um die Hütten zu kühlen. Und die Kinder mussten fünf Kilometer zur Schule nach Unterpfaffenhofen laufen, denn die Schule in Planegg war überfüllt. Trotz dieser Bedingungen blieben die Leute lange. Die Gemeinde Krailling wollte die Baracken bereits in den 1950er Jahren abreißen lassen und bot den Bewohnern günstigen Grund in Pentenried an.

Doch manch einer zog die billige Miete im Kreuzlinger Forst vor. Und so steht noch immer ein letztes Gebäude aus jener Zeit: das Casino. Es soll aber dieses Jahr abgerissen werden. Die Kraillinger Bürgermeisterin Christine Borst will vor dem Abriss noch eine Lesung mit Hans-Dieter Götz in den "historischen Räumen" organisieren.

Das Casino war seinerzeit übrigens der gesellschaftliche Mittelpunkt. Faschingspartys, Tanzveranstaltungen und Hochzeiten fanden dort statt. Sogar Karl Valentin ist dort kurz vor seinem Tod aufgetreten. Mit einem "dicken Fresspaket und einer guten Gage" lockte der damalige Wirt Sebastian Albrecht den Komiker ins Barackenlager. Dabei weigerte sich Valentin bis zum Schluss. "Die Ami verstenga mi doch gar net", argumentierte er. Doch der Wirt war nicht dumm: Er drohte damit, dem Publikum zu sagen, dass sich "der große Karl Valentin nicht traut" aufzutreten.

Das Buch ist beim Autor Hans-Dieter Götz erhältlich oder kann unter wifogermering@gmx.de bestellt werden.

© SZ vom 14.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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