Süddeutsche Zeitung

Wissenschaftliche Studie:"Jungen Kreativen müssen Räume geöffnet werden"

Klaus Wollenberg rät Städten und Gemeinden, über Zuschüsse hinaus vor allem ein aufgeschlossenes Klima zu schaffen

Stefan Salger

Mehr Raum für Künstler und Kreative - das fordert Klaus Wollenberg, Studiendekan an der Hochschule für angewandte Wissenschaften (FH) München. Der 60 Jahre alte Professor hat nun eine Studie vorgelegt, in der die sogenannte Kultur- und Kreativwirtschaft anhand ausgewählter Landkreise in der Münchner Region dargestellt wird. Wollenberg zeigt dabei auch die Bedeutung der kreativen Szene für den Arbeitsmarkt.

SZ: Gab es überraschende Ergebnisse?

Klaus Wollenberg: Wir wussten von Untersuchungen in den Landkreisen Starnberg und Fürstenfeldbruck schon, dass die Software- und Games-Industrie eine bedeutende Rolle spielt, gefolgt von der Designwirtschaft. Nun bestätigt sich, dass dies auch für viele andere Landkreise rund um München gilt. München schafft mit der akademischen Ausbildung die Basis, und viele Software-Unternehmen bleiben dann in der Region, um beispielsweise von dort aus mit in München ansässigen Dax-Konzernen zu kooperieren.

Gibt es ein Stadt-Land-Gefälle?

Nein. Sowohl Arbeitskräfte als auch Umsätze sind jeweils etwa zur Hälfte verteilt auf die Landeshauptstadt und die Region. In den Landkreisen München, Starnberg und Fürstenfeldbruck entfallen auf diese Branche in punkto Betriebszahlen und Umsätze zehn bis zwölf Prozent. Die Kreativwirtschaft ist also ganz gewiss keine Nischenbranche. Und sie gibt anderen Branchen wichtige Impulse.

Nennen Sie doch einmal einige Beispiele für solche Betriebe.

Das Unternehmen von Daniel Dinkel in Grafrath ist ein Musik-Labelhersteller von Weltrang. In München gibt es den Oldenbourg-Verlag und das Backstage oder die Reithalle, die aus privaten Initiativen hervorgegangen sind. Sehr verbreitet sind kleine Software-Firmen, die meist als Ein- bis Fünfpersonenbetriebe arbeiten. Und aus dem Architekturbereich gibt es Firmen wie die von Martin Lohde, der in Fürstenfeldbruck die Gartentage im Kloster Fürstenfeld veranstaltet. All dies zählt zur Kreativwirtschaft.

Was bringt es, sie zu fördern?

Sieht man sich Landkreise wie Dingolfing-Landau, Wunsiedel oder Altötting an, dann gibt es dort zwar fast Vollbeschäftigung. Aber die jungen Leute wandern ab. Und die könnte man durch eine gezielte Förderung der Kreativwirtschaft zum Teil halten.

Durch welche Maßnahmen?

Vor allem müssen die Städte und Gemeinden sehr schnelle Internetverbindungen sicherstellen. Das sind die Lebensadern. Außerdem ist eine weltoffene, kulturinteressierte Kommunalpolitik förderlich. Die jungen Leute, die sich in Vereinen wie der Subkultur in Fürstenfeldbruck engagieren, sind die Hochqualifizierten von morgen. Man darf sich aber nicht nur aufs Gewähren von Zuschüssen beschränken. Man muss Räume öffnen und darf Jugendliche nicht immer gängeln, wenn es abends etwas lauter wird. Schulen können auch zum Gedeihen des kreativen Milieus beitragen - Vertreter des Sachaufwandsträgers, im Fall von Gymnasien der Landkreis, können dort ihre Wertschätzung zeigen, beispielsweise indem sie Preise ausloben.

Wo liegen die Schattenseiten?

Künstler und Kreative werden oft ausgenutzt, es gibt bis zu 15 Prozent prekäre Arbeitsverhältnisse. Außerdem sollte man in der Kreativwirtschaft keine Alternative etwa zur klassischen Industrie sehen, sondern eine Ergänzung.

In Fürstenfeldbruck sehen Sie großes Potenzial im Fliegerhorst und im Zentrum.

Richtig. Stadtwerke und Bauhof sollen an die Peripherie verlegt werden, dann gäbe es Platz für Wohnen und Arbeiten und eben für die Kreativszene. Auf der Lände hat die Stadt bereits ein Sonderquartier für die Kunst- und Kulturwirtschaft ausgewiesen. Das ist ein erster Schritt. Und auch ein Drittel der Fläche des heutigen Fliegerhorsts soll dieser Branche vorbehalten bleiben. Ich werde heute von Interessenten immer wieder gefragt, wann es dort endlich vorwärts geht.

Im Fliegerhorst gibt es den sogenannten Kilometerbau . . .

. . . ein Traum für viele Kreative, so wie andernorts aufgelassene Kasernen. Wenn wir Baugebiete nicht 08/15-Investoren überlassen, dann kommt die Szene schon. Unterschätzt wird oft, dass die keine perfekten Lösungen braucht, sondern auch mal mit der Zwischennutzung eines Hauses für ein bis drei Jahre zufrieden ist.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2012
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