Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft in Fürstenfeldbruck:Unternehmen wollen familienfreundlicher werden

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Viele Arbeitnehmer wünschen sich eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, als dies in der momentanen Arbeitswelt möglich ist. Die bayerische Ministerin Kerstin Schreyer ermuntert deshalb die Betriebe im Landkreis, ihren Mitarbeitern flexiblere Angebote zu machen

Von Heike A. Batzer

Ein Friseurladen. Die Angestellten können ihre Arbeitszeiten individuell wählen, nach Rücksprache mit den Vorgesetzten freilich, starre Vorgaben aber gibt es nicht. Somit kann der Friseur insgesamt längere Öffnungszeiten anbieten. Kerstin Schreyer, die bayerische CSU-Familienministerin, nennt diesen Friseursalon als gutes Beispiel für ein familienfreundliches Arbeitsklima. Familienfreundlichkeit sei "nicht so ein Softthema", betont sie, sondern "zentral für die Unternehmen, um Fachkräfte zu binden." Dafür "brauchen wir Aufgeschlossenheit in den Unternehmen". Und so warb die Ministerin vor einiger Zeit im Fürstenfeldbrucker Landratsamt auch mit dem Beispiel des genannten Friseursalons für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und begrüßte dort auch 22 neue Mitgliedsfirmen aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck mit jeweils einer Urkunde im "Familienpakt Bayern".

Dabei handelt es sich um einen im Jahr 2014 gegründeten Zusammenschluss von bayerischer Staatsregierung und bayerischer Wirtschaft, der die Vereinbarkeit von Beruf und Familie voranbringen möchte und dazu Beratungen und Informationen für die Unternehmen bereit hält, wie sie familienfreundliche Maßnahmen umsetzen können. Der Familienpakt unterhält eine eigene Servicestelle in der Bernhard-Wicki-Straße in München. Knapp 900 Unternehmen haben sich schon angeschlossen, aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck sind es inzwischen 27. Auf der Internetseite des Familienpakts kann man die einzelnen Firmennamen abrufen.

Unternehmer müssten sich heute überlegen, wie sie den Mitarbeitern entgegen kämen, sagt Schreyer. Die Generation Y und Z habe andere Vorstellungen, fordere mehr Work-Life-Balance. Dazu gehöre auch, dass Kinderbetreuungsangebote flexibler werden müssten, "ohne dabei die Qualität zu senken", betont die gelernte Sozialpädagogin und Familientherapeutin. Die Fachkräfte auch gut zu bezahlen, zählt sie zu den notwendigen Voraussetzungen.

Dass Geld allein jedoch nicht alles ist, daran erinnert die zur Urkundenüberreichung ins Landratsamt gekommenen Unternehmensvertreter Fürstenfeldbrucks Landrat Thomas Karmasin (CSU): "Geld ist nur ein Faktor bei der Suche nach einem Arbeitsplatz oder einer Fachkraft." Auch er betont die Work-Life-Balance, die vielen jüngeren Arbeitskräften wichtig sei: "Wir müssen Familienbewusstsein deshalb ganz anders begreifen: Familie heute ist mehr als Kinder." In der älter werdenden Gesellschaft sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf über das Thema Pflege von Angehörigen auch für einen weiteren Personenkreis relevant.

2013 hatte der Landkreis in einer Befragung herausgefunden, dass mehr als 60 Prozent der nicht berufstätigen Mütter gerne einer Erwerbstätigkeit nachgehen würden und ein Viertel der berufstätigen Mütter gerne mehr arbeiten möchte. Vor allem flexible Arbeitszeitmodelle wollen die Mütter haben, die Arbeitgeber aber machten diesbezüglich zu wenige Angebote, lautete das Fazit der Befragten. Sechs Jahre sind seither vergangen. Es gibt Verbesserungen, etwa jene Firmen, die sich nun dem Familienpakt angeschlossen haben, weil ihnen das Thema ohnehin am Herzen liegt und sie schon entsprechende Angebote machen oder darin besser werden wollen. Karmasin sagt deshalb beim Empfang in seinem Landratsamt zu den Unternehmern: "Wir werden noch deutlich mehr machen müssen, wenn wir das Potenzial der Menschen zu Hause heben wollen."

Im Landratsamt werden nach Karmasins Worten hundert verschiedene Teilzeitmodelle gepflegt. Teilzeit zu arbeiten, ist einer der größten Wünsche von berufstätigen Frauen mit Kindern. Gerade Teilzeitkräfte wollten "beweisen, dass sie vollwertige Mitarbeiter sind", weiß Karmasin. Bei zwei Halbtagskräften erhalte der Arbeitgeber deshalb "mehr als hundert Prozent". Möglicherweise müssten Firmen auch über Arbeitszeiten nachdenken, wie sie beispielsweise Lehrer hätten, statt 40 etwa 45 Stunden pro Woche zu arbeiten, dafür bleibt die Ferienzeit frei. Oder die Kinder mal an den Arbeitsplatz mitnehmen, warum solle das nicht möglich sein? Zufriedene Mitarbeiter, ergänzt Karmasin noch, seien "eine nicht zu unterschätzende Komponente".

Dass die Einschätzung von Beschäftigten und Firmenleitung bisweilen unterschiedlich ist, führt Anne Seefeld von der Familienpakt-Servicestelle aus: "Die Unternehmen schätzen sich familienfreundlicher ein als die Beschäftigten." Nur 32 Prozent der Führungskräfte würden dem Urteil der Beschäftigten zufolge mit gutem Beispiel voran gehen, und bisweilen werde Homeoffice immer noch "als Kaffeetrinken angesehen". 62 Prozent der Beschäftigten wünschten sich Zuschüsse von ihrem Arbeitgeber für Kinderbetreuung, aber nur 19 Prozent der Unternehmen würden das anbieten. Und 49 Prozent der Unternehmen würden von Wünschen zur Familienfreundlichkeit nur nebenbei erfahren. Lediglich acht Prozent der Beschäftigten würden das Thema regelmäßig und in standardisierten Prozessen mit den Führungskräften besprechen. Deshalb müsse das Thema auch besser kommuniziert werden. Ein "Standardmodell" gebe es freilich nicht, stattdessen müssten passgenaue Maßnahmen im Unternehmen gefunden werden. So könne man beispielsweise die Telearbeit etwa bei Schichtbetrieben dahingehend weiterdenken, dass es auch kleine Flexibilisierungslösungen geben könne: zum Beispiel nach dem Schichtwechsel die Dokumentation von zu Hause aus fortführen.

Das Thema berührt laut Seefeld immer mehr Menschen, weil inzwischen immer mehr Mütter erwerbstätig sind und parallel dazu auch immer mehr Väter mehr Zeit für Familie und Kinder einfordern. Viele Eltern, sagt Anne Seefeld, "möchten eine partnerschaftliche Aufteilung", deshalb seien auch spezielle Angebote für Väter notwendig: "Es betrifft eben alle in allen Lebenslagen."

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SZ vom 02.11.2019
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