Weltpolitischer Wettbewerb:Im Schwitzkasten von USA und China

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Reinhold Bocklet spricht im Gröbenzeller Bürgerhaus über die Zukunft des "Projekts Europa". (Foto: Carmen Voxbrunner)

Der frühere Europapolitiker Reinhold Bocklet spricht über die EU und die anstehende Wahl

Von Karl-Wilhelm Götte, Gröbenzell

Natürlich ist Reinhold Bocklet ein profunder Kenner der Europäischen Union und vor allem des EU-Parlaments. Er gehörte schon bei der ersten Wahl 1979 zu den gewählten Abgeordneten im EU-Parlament und blieb es bis 1993. Der Gröbenzeller CSU-Politiker hielt nun bei der VHS einen Vortrag "zur Zukunft der EU". Bocklet beschäftigte sich 90 Minuten lang jedoch vor allem mit der Geschichte und einer Bestandsaufnahme der Staatenunion, der mittlerweile 28 Länder angehören. Interessant war seine Einordnung der EU in das wirtschaftliche und machtpolitische Weltgeschehen, das zunehmend von den USA und vor allem von China bestimmt wird.

Besonders die aufstrebende Wirtschaftsmacht China veranlasste Bocklet vor 35 Besuchern zu einer bemerkenswerten Schlussfolgerung: "Der Systemwettbewerb geht nicht mehr zugunsten der freien Marktwirtschaft aus." Er hob den wachsenden Einfluss Chinas hervor, das spätestens mit der "Neuen Seidenstraße" auf der ganzen Welt präsent sei. "Auch ein autoritär geführtes Land kann wirtschaftlich erfolgreich sein", räumte Bocklet ein.

Er konstatierte darüber hinaus eine andere Welt, indem sich gerade unter der Präsidentschaft von Donald Trump alles auf die USA und China konzentriere. "Weltpolitisch steht die EU daneben und schaut zu", bedauerte der Redner. Kommt es zu einer Einigung im Zollstreit der USA mit China, könnte sich Trump die EU vornehmen und Zölle einseitig festlegen. Dann wäre Deutschland der Hauptbetroffene und die wirtschaftlichen Auswirkungen fatal.

"Die Europäer müssen zusammenstehen", lautete das Credo von Bocklet, als er die Bevölkerungszahlen von China, Indien und Afrika, die sich allesamt jenseits der Milliardengrenze bewegen, an die Wand projizierte. Die gesamt EU kommt nur auf 510 Millionen Einwohner. Der 75-jährige Politiker weiß aber auch um die Schwächen der EU und dass unter den 28 Ländern ständig mehrere Staaten ausscheren. Darunter sei auch Deutschland gewesen. "Bundeskanzlerin Merkel hätte im September 2015 mit der Grenzöffnung zwei, drei Tage warten und zuvor mit den EU-Partnern reden müssen", kritisierte Bocklet die damaligen Ereignisse rückblickend. "Das hat einen Bruch in Europa geschaffen." Er weiß um die deutsche Dominanz im Ministerrat und im Rat der Regierungschefs, die vielen Ländern nicht gefällt, aber eine Lösung bot er nicht an. Bocklet haderte auch mit dem immer stärker aufkommenden Nationalismus in Europa und war sich sicher: "Der schlimmste Fall des Nationalismus ist der Brexit." Er zeigte sich überzeugt, dass besonders Deutschland nicht ohne Schaden davonkommen werde. "Es wird nach Ausscheiden Großbritanniens aus der EU zu einem wirtschaftlichen Einbruch kommen", so Bocklet. Vor großen Problemen würden die Briten stehen: "Die EU hat 800 Handelsverträge abgeschlossen, die Briten alleine haben erst sechs Verträge in Aussicht."

Bocklet wünschte sich, dass bei der anstehenden Europawahl am 26. Mai den Nationalisten eine Absage erteilt werde. Er befürchtet jedoch aus seiner politischen Sicht das Gegenteil: "Wahrscheinlich gibt es für die EVP mit der CDU/CSU zusammen mit den Sozialisten mit der deutschen SPD keine absolute Mehrheit mehr im EU-Parlament." Auf jeden Fall werde die Wahl nach Bocklets Meinung eine "entscheidende Weichenstellung für oder gegen das Projekt Europa" werden. Dass offene Grenzen vor allem dem Warenverkehr und damit in Kombination mit dem Euro vor allem der Exportnation Deutschland vortrefflich dienen, weiß auch Bocklet.

Dass das "Projekt Europa" vor allem auch eine Annäherung der sozialen Standards und damit des Lebensstandards der Menschen in der gesamten EU bedeuten müsste, war für Bocklet kein Thema an diesem Abend. Dabei trägt die verbreitete Erfahrung der Menschen, dass ihnen Europa persönlich kaum etwas bringe, zum Verdruss der Menschen am "Projekt Europa" nicht nur in Großbritannien bei.

© SZ vom 01.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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