Süddeutsche Zeitung

Vor Gericht:Nach Angriff mit Auto vor Disko: War es Vorsatz oder ein Fluchtversuch?

  • Vor dem Landgericht München muss sich ein junger Mann unter anderem wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung in je zwei Fällen verantworten.
  • Ende Oktober 2017 hatte ein 24-Jähriger nach einem nächtlichen Streit vor einer Brucker Diskothek zwei junge Männer angefahren, beide wurden schwer verletzt.
  • Vor Gericht können sich die Opfer nicht an die Tat erinnern, der Angeklagte verteidigt seine Tat als Fluchtversuch.

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Zwei Geschädigte, die sich nicht mehr erinnern können, ein Angeklagter, der nicht von einem Angriff, sondern von einer panikartigen Flucht spricht und dazu viele offene Fragen, auf die in den kommenden Tagen noch Antworten gefunden werden müssen. So gestaltete sich der Prozessauftakt zu einem der vielleicht aufsehenerregendsten Vorfälle im vergangenen Jahr.

Ende Oktober 2017 hatte ein 24-Jähriger nach einem nächtlichen Streit vor einer Brucker Diskothek zwei junge Männer angefahren, beide wurden schwer verletzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, den Zusammenprall zumindest billigend in Kauf genommen und sich anschließend bewusst vom Unfallort entfernt zu haben. Deshalb muss er sich seit Mittwoch vor dem Münchner Landgericht verantworten, die Anklage wirft ihm unter anderem versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung in je zwei Fällen vor.

Vor Gericht äußerte sich der gebürtige Israeli, der zum Tatzeitpunkt erst seit wenigen Wochen in Deutschland gelebt hat, nicht persönlich zu den Vorwürfen, sondern ließ lediglich einen seiner beiden Verteidiger eine Erklärung abgeben. Darin wird der Ablauf des Abends anders beschrieben als von der Staatsanwaltschaft rekonstruiert. Der Angeklagte sei vor dem Club gewesen, als er mitbekommen habe, wie sein Cousin, mit dem er an diesem Abend feiern war, im Streit mit einer Gruppe geschlagen wurde. Als der Angeklagte schlichtend dazwischen gehe wollte, sei er ebenfalls geschlagen worden. Er glaube sogar, dass ein Schlagring zum Einsatz gekommen sei, jedenfalls aber ein metallisches Objekt. Mit einer Platzwunde über dem Auge sei er dann zu Boden gegangen. "Er wollte einfach nur abhauen, er verstand nicht, was gesprochen wurde und was überhaupt los ist", so der Anwalt.

Also sei er ins Auto gestiegen und losgefahren. Aus der Platzwunde sei ihm Blut über das Auge gelaufen, zudem habe er gehört, wie die Heckscheibe zerbricht. Aus dem Augenwinkel habe er eine Person wahrgenommen, allerdings sei diese nicht in der Nähe des Wagens gewesen, auch habe es stark geregnet. Als er dann einen Schlag an der Frontscheibe bemerkt habe, sei er davon ausgegangen, dass etwas dagegen geworfen worden ist. Sowohl die Verletzung des Angeklagten, als auch die zerbrochene Heckscheibe wurden im Nachhinein festgestellt. Klar ist aber auch, dass der 24-Jährige an dem Abend einiges getrunken und Marihuana konsumiert hatte.

Ebenso klar ist, dass der erste Geschädigte, ein 21-Jähriger, bei dem Zusammenprall schwere Prellungen und Abschürfungen sowie eine Einblutung unter der Kopfschwarte erlitten hat und nach dem Aufprall sofort das Bewusstsein verlor. An den Streit und den Zusammenstoß könne er sich nicht mehr erinnern, gab er in seiner Aussage an. Allerdings gehe er nach dem, was die Freunde, mit denen er unterwegs war, ihm erzählt haben davon aus, dass es sich nicht um einen Unfall, sondern um Absicht gehandelt habe.

Zumindest an etwas konnte sich dagegen der zweite Geschädigte erinnern. Nämlich daran, wie er aus dem Club gekommen ist und direkt einen Schlag abbekommen hat, von wem habe er allerdings nicht gesehen, sagte der ebenfalls 24-Jährige. Dafür aber, dass sein Freund, der erste Geschädigte, in einem Streit verwickelt war. Mit wie vielen Personen das war, könne allerdings nicht mehr sagen, und auch nicht, wie diese ausgesehen haben. Nicht einmal mit Blick auf den Angeklagten konnte er sich erinnern, ob dieser in den Streit verwickelt war.

"Es ist ja schon eine Weile her und es ging alles so schnell damals", erklärte der 24-Jährige seine Lücken und die Abweichung seiner Aussagen vor Gericht und bei der Polizei. Jedenfalls sei der Streit mehrmals beendet und dann wieder begonnen worden. Irgendwann sei er zusammen mit dem Kumpel zum Auto eines Sicherheitsdiensts gegangen. Dort habe er plötzlich quietschende Reifen gehört und sei dann bewusstlos geworden, das Auto und den Fahrer habe er dabei nicht gesehen.

Der Angeklagte war erst Anfang Oktober 2017 nach Deutschland gekommen, um hier einen Sprachkurs an der VHS zu machen. Sein Plan war es, danach hier ein Medizinstudium zu beginnen. Ob er dieses Ziel immer noch verfolge, wollte der Richter von ihm wissen. Unbedingt, erklärte der 24-Jährige daraufhin. Deshalb habe er auch in der Untersuchungshaft, in der seit der Tat sitzt, intensiv weiter die Sprache gelernt. Der Prozess wird fortgesetzt.

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Quelle:
SZ vom 09.08.2018/huy
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