Süddeutsche Zeitung

Vor Gericht:Millionenbetrug

Schöffengericht verurteilt langjährige Angestellte einer Steuerkanzlei zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Was ist mit den 1,6 Millionen Euro geschehen? Die Frage ist auch am Ende einer Verhandlung wegen Betruges am Montag vor einem Brucker Schöffengericht nicht wirklich geklärt. Fest steht zumindest, dass die Angeklagte, eine 60 Jahre alte Steuerfachangestellte, wohl einen Großteil der Summe für Mode und Kosmetik ausgegeben hat. Und dass sie das Geld im Zuge ihrer Tätigkeit bei einer Steuerkanzlei im Landkreis binnen fünf Jahren auf ihr eigenes Konto überwiesen hat. Das gesteht die Mutter von zwei erwachsenen Kindern bereits, als die Polizei aufgrund eines Hinweises wegen Geldwäsche vor rund zwei Jahren plötzlich an ihrer Arbeitsstelle auftaucht. Nur diesem frühen und umfangreichen Geständnis, so betont es der Vorsitzende Richter mehrmals, verdanke die Angeklagte die - am Schaden gemessen - verhältnismäßig milde Strafe von dreieinhalb Jahren Haft.

Seit 1998 arbeitete die Angeklagte in der Brucker Kanzlei. Zehn Jahre später begann sie, insbesondere von einem Großkunden Geld auf das eigene Konto zu überweisen. Bis 2013 hatte sie bereits 1,1 Millionen in die eigene Tasche abgezweigt. Da diese Taten aber heute verjährt sind, wirft ihr die Staatsanwaltschaft am Montag "nur" noch Betrug in den Jahren 2013 bis 2018 mit einer Summe von 1,6 Millionen Euro vor. Die 60-Jährige, grau-blond-gesträhntes schulterlanges Haar, Brille, dunkelblauer Pullover unter dem dezent farbigen Halstuch, beschönigt ihr kriminelles Verhalten im Gerichtssaal nicht. Wie schon bei der ersten Begegnung mit der Polizei gesteht sie alles und gibt bereitwillig Auskunft. Das Geld kam per Sammelüberweisung auf ihr Konto. Die Überweisungsträger hatte sie vorab von dem Großkunden blanko unterschreiben lassen, ein vollkommen üblicher Vorgang in der Position der Angeklagten.

"Als ich mit den Überweisungen angefangen habe, war mein Mann schon sehr krank", erklärt die bislang strafrechtlich völlig unbescholtene Frau. Ihr 2013 verstorbener Mann litt unter einer septischen Hüfte, war selbständig und zeitweise nicht krankenversichert. Der Angeklagten zufolge gab es in der Zeit vier Operationen und wiederholt Rechnungen über zigtausend Euro. Zusammen mit der Mehrfachbelastung Arbeit, Kindererziehung, Haushalt und ihrem durch die Erkrankung psychisch labilen Mann sei ihr alles über den Kopf gewachsen. Da kam ihr die Idee mit den Sammelüberweisungen.

Wieso sie die Steuerkanzlei nach dem Tod ihres Mannes weiter betrog, kann am Montag keiner so recht verstehen. "Ich wollte das wieder zurückzahlen", beteuert sie. Ihr Plan: Eine zweite Immobilie kaufen und von der Wertsteigerung profitieren. Die gründliche Durchsicht ihrer Konten ergibt jedoch ein anderes Bild. Wie ihr die Staatsanwältin vorrechnet, sind nur rund 700 000 Euro in Vermögenswerte geflossen. "Wo sind die anderen 900 000 Euro geblieben", fragt sie die Angeklagte.

Die berichtet von einem Leasingauto für 500 Euro monatlich, Unterhalt für ihren Sohn, der damals ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvierte, Urlauben - aber alles im Rahmen. "Wir waren jetzt nie in einem Wellnessresort oder in Übersee." Die Einkaufsbummel - oft gab sie in einem Monat mehrere Tausend Euro für Mode aus und in einer Boutique in Inning ließ sie laut Polizei allein schon 100 000 Euro - beschreibt sie als "Auszeiten". "Die Leute waren nett zu mir", sie konnte ihren Alltag vergessen.

Inzwischen arbeitet die 60-Jährige ihre Vergangenheit mit einem Therapeuten auf. Berufstätig ist sie nicht mehr, kümmert sich aber um die beiden Enkelkinder und hilft ehrenamtlich bei der Tafel und der Kleiderkammer.

Die Staatsanwältin wirft der Angeklagten schließlich vor, dass sie sich "ein sehr ausgeklügeltes System" ersonnen habe, das aus mehreren Einzelschritten bestand und über Jahre weder ihrem Chef noch bei Prüfungen des Betriebs aufgefallen war. Das zeuge von "sehr hoher krimineller Energie", zumal sie es über Jahre und zu einem großen Teil aus Eigennutz getan habe. Sie beantragt eine Freiheitsstrafe von vier Jahren.

Der Rechtsanwalt verweist auf den Versuch seiner Mandantin, den Schaden wieder gutzumachen und plädiert für eine Bewährungsstrafe. Doch wie der Vorsitzende betont, war der Schaden dafür einfach viel zu hoch.

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Quelle:
SZ vom 13.10.2020
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