Vor dem Jugendgericht:Verspätete Watschn

Eine 21-Jährige schlägt ihren Vermieter, der sie zuvor sexuell belästigt haben soll. Das Verfahren gegen sie wird eingestellt

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Es ist noch früh am Morgen - oder spät in der Nacht, je nachdem wie man es sieht - als die damals 20-Jährige bei ihrem Vermieter klingelt. Sie fordert den alten Mann auf, an die Tür zu kommen. Als er vor ihr steht, schlägt sie ihm mitten ins Gesicht. Wegen dieser vorsätzlichen Körperverletzung, begangen im Juli letzten Jahres, sitzt die junge Frau am Mittwoch vor der Brucker Jugendrichterin. Die hat durchaus Verständnis für das Verhalten der Angeklagten. Schließlich soll diese von ihrem Vermieter zuvor sexuell belästigt worden sein. Doch es gibt ein Problem: Zwischen dem Übergriff und der Körperverletzung liegen drei Tage, als Notwehr kann die Watschn also nicht mehr gewertet werden. Mit Einverständnis der Staatsanwältin stellt die Vorsitzende das Verfahren gegen die Auszubildende schließlich gegen eine geringe Arbeitsauflage ein.

Die Staatsanwaltschaft wirft der inzwischen 21 Jahre alten Fürstenfeldbruckerin nicht nur vor, ihrem damaligen Vermieter einen Faustschlag mitten ins Gesicht verpasst zu haben. Darüber hinaus heißt es fast etwas vorwurfsvoll in der Anklage, sie habe die sexuelle Nötigung des über 70-Jährigen - der Versuch eines Kusses und ein Streicheln ihres Oberschenkels - seinerzeit nicht bei der Polizei angezeigt.

Die 21-Jährige widerspricht in beiden Punkten. "Ich habe einen Strafantrag gestellt und zurückgezogen, weil wir uns außergerichtlich geeinigt haben."Insgesamt habe es fünf Strafanzeigen gegeben, zwei von der einen, drei von der anderen Seite. Doch um was es dabei im einzelnen ging, wurde in der Verhandlung am Mittwoch nicht näher erläutert. Die Angeklagte berichtete auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin Anna Kappenschneider lediglich, dass ein Verfahren gegen ihren Freund wegen Sachbeschädigung in diesem Zusammenhang (offenbar ging es dabei um einen zerstörten Blumentopf) vor einigen Wochen ebenfalls vor dem Brucker Amtsgericht mit einer Einstellung des Verfahrens beendet worden war. Den angeklagten Schlag schildert die junge Frau glaubhaft als einfache Watschn. "Ich wollte ihn erst auch gar nicht schlagen, ich wollte nur eine Entschuldigung", doch auf die warte sie bis heute, sagt sie verärgert.

Wieso sie denn überhaupt mit ihrer Reaktion drei Tage gewartet habe, will die Richterin wissen. "Das war natürlich nicht gerechtfertigt, dass Sie da später noch einmal hingehen. Da kann von Notwehr keine Rede mehr sein", das gelte dann schon als Selbstjustiz. Erst habe sie geschwiegen aus Entsetzen und Verwirrtheit, erklärt die 21-Jährige. "Ich wollte auch meine Wohnung nicht verlieren", des Weiteren habe zu dem im gleichen Haus lebenden Vermieter-Ehepaar "ein Vertrauensverhältnis" bestanden. Doch nach zwei Tagen sei sie abends mit ihrem Bruder ausgegangen. Sie habe getrunken und ihm und seinem Freund von dem Vorfall erzählt. Beide reagierten schrecklich wütend, wollten den alten Mann schon selbst zur Rede stellen. Davon konnte die 21-Jährige die jungen Männer offenbar abbringe. Letztlich läutete sie aber nach der alkoholgeschwängerten Nacht gegen 6.30 Uhr selbst an der Wohnungstür ihres Vermieters und gab ihm eine Ohrfeige. Wie die Auszubildende weiter berichtet, war es mit den schlechten Erfahrungen jedoch noch nicht genug: Nachdem auch die Frau des Seniors von dem Vorfall erfuhr, wurde ihr außerordentlich gekündigt. "Sie hat mich dann immer als Flittchen beschimpft, weil sie sagt, ihr Mann tut so etwas nicht." Nur die Tochter der Vermieter zeigte der Angeklagten zufolge Mitgefühl und glaubte ihr auch.

Wie eine Vertreterin der Jugendgerichtshilfe ausführte, lebt die 21-Jährige seither mit ihrem Freund zusammen. Ihrer Empfehlung, das Verfahren angesichts der Vorgeschichte sowie der außergerichtlichen Einigung mit einer geringen Auflage einzustellen, schlossen sich Staatsanwältin und Richterin bereitwillig an. Nun muss die Bruckerin zwei Tage gemeinnützige Arbeit leisten, dann wird das Verfahren endgültig eingestellt.

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