Zuerst die gute Nachricht: Im Ampermoos sind in diesem Jahr elf Brachvögel flügge geworden – ein neuer Rekord. „Das beste Ergebnis seit 2004!“ Christian Niederbichler, als Gebietsbetreuer seit 1997 zuständig für das Ampermoos, ist begeistert. Die großen Schnepfenvögel waren Ende der Sechzigerjahre aus dem Gebiet verschwunden und brüteten 2004 erstmals wieder. Ein Zeichen, dass die Anstrengungen in dem 1982 unter Naturschutz gestellten Gebiet funktionieren. Den großen Bruterfolg heuer führt Niederbichler jedoch vor allem auf die Überflutung des Ampermooses im Juni 2024 zurück.
Dabei ertranken viele Mäuse und andere Kleinsäuger, weswegen Füchse, ein Jahr später, dort kaum Beute finden. Sie kommen gar nicht erst ins Moor und stoßen deshalb auch nicht auf Brachvogel-Nester am Boden, die sie Niederbichler zufolge sonst eher so nebenbei plündern.
Bei Niederbichlers Lieblingsvögeln, den Braunkehlchen, schaut es hingegen ganz schlecht aus. Mit den nur auf den ersten Blick eher unscheinbaren Singvögeln verbindet er ein wunderbares Kindheitserlebnis. Mit Vater und Bruder sei er im Murnauer Moos gewesen, erzählt der 59-Jährige. „Und da saß auf einer Stange in einer Streuobstwiese in der Morgensonne ein Braunkehlchen und hat gesungen.“ Den Gesang beschreibt Niederbichler als „wahnsinnig schön und melancholisch“. Beim Termin auf dem Vogelturm in Kottgeisering erspäht er durch Fernrohr eines. „Aber das ist wahrscheinlich auf dem Durchzug“, sagt er. Gebrütet hat der orange-braun-gefärbte Vogel heuer nicht im Moos.

Überhaupt gibt es kaum noch Braunkehlchen, die Art ist vom Aussterben bedroht, nicht nur im Ampermoos. Dort ist von mehr als 20 Brutpaaren keines geblieben, nur ein oder zwei Reviere seien heuer besetzt gewesen, sagt Niederbichler. Wahrscheinlich von einzelnen Männchen, die kein Weibchen fanden. „Dass diese Art wegbricht, obwohl wir uns so sehr bemühen, dass wir beim Aussterben zuschauen müssen, das setzt mir schon zu.“
Früher habe er bei Führungen Menschen glücklich machen können, wenn er ihnen die Vögel zeigte, die bei näherem Hinschauen wunderschön gefärbt sind. „Eine Schülerin hat mal zu mir gesagt, sie habe noch nie im Leben sowas Schönes gesehen.“ Aber das ist vorbei.

Seit zehn Jahren beobachtet der Vogelexperte einen massiven Niedergang der Braunkehlchen-Population, nach einem Maximum von 20 bis 25 Brutpaaren im Jahr 2009. Damals hätten auf einer speziell gemähten Streuwiese südlich des Ammersees sehr viele gebrütet. „Dann kam ein sehr schneller Verlust, ohne dass sich an der Pflege etwas geändert hätte“, sagt Niederbichler. Neun Jahre später gab es immerhin noch acht bis zwölf Reviere, und 2021 nur noch zwei bis fünf. Ob Braunkehlchen in diesen Jahren gebrütet haben, wissen die Vogelschützer nicht. Sie zählen die singenden Männchen, die Nester sind sehr schwer aufzuspüren.
Das Braunkehlchen leidet unter dem Insektensterben – es jagt Insekten, Spinnen und Würmer, frisst im Herbst auch Beeren. Bei Hochwasser werden die Bodennester samt Eiern oder Küken schnell weggeschwemmt. Verluste wie diese treffen auch den Brachvogel, doch der könne sie leichter wegstecken. „Die werden bis zu 30 Jahre alt. Braunkehlchen aber nur vier bis fünf Jahre. Da machen sich die Verluste viel stärker bemerkbar“, erklärt Niederbichler.

Zu allen anderen Problemen kommt die Jagd. Laut der Organisation Bird Life International werden jährlich 25 Millionen Singvögel illegal erbeutet, auf ihrem Zug in die Winterquartiere oder zurück in die Brutgebiete. Andere Vögel, etwa Turteltauben und Wachteln, werden ebenfalls geschossen. Selbst legal darf in mehreren europäischen Ländern Jagd auf Vögel gemacht werden, berichtet Andreas von Lindeiner vom Landesvorstand des Landesbunds für Vogel- und Naturschutz (LBV). „Die legale Jagd spielt in einigen Ländern eine erhebliche Rolle.“
Lindeiner nennt erschreckende Zahlen: Etwa 500 000 Feldlerchen und drei Millionen Singdrossel würden jährlich in Italien geschossen. Die Frühjahrsjagd sei zwar verboten, finde aber dennoch häufig statt.
Weitere EU-Länder, in denen Jagd auf Vögel gemacht wird, die in unseren Gärten brüten, sind Frankreich, Malta, Zypern und Spanien. Buchfinken und Mönchsgrasmücken nennt der Experte als Beispiele. Auch Leimruten kämen zum Einsatz, obwohl sie in allen EU-Staaten verboten sind. In Ägypten und anderen nordafrikanischen Ländern werden Lindeiner zufolge hunderte Kilometer lange Netze aufgespannt, in denen sich ziehende Vögel verfangen.

Artenschutz:„Noch nie hatten es Vögel so schwer, ihren Zugweg zu bewältigen, wie heute“
In diesen Wochen machen sich wieder Millionen Zugvögel auf den Weg in den Süden. Doch ihre Reise wird immer gefährlicher. Warum ist das so – und was hilft? Fragen an den Vogelzugforscher Franz Bairlein.
Abgesehen haben es die Fallensteller vor allem auf Wachteln, doch auf Singvögel geraten hinein. Die Vögel würden vor allem zum Essen gejagt. „Dabei wiegt etwa ein Rotkehlchen nur 15 bis 20 Gramm, da brauchen Sie eine Menge, um satt zu werden.“ Die Jagd sei in den Gesellschaften oft noch tief verwurzelt. Vogelschützer sind regelmäßig vor Ort um die Tötung der Tiere zu verhindern.
„Millionen von Vögeln weiterhin illegal getötet – Länder versagen bei Schutzmaßnahmen“ heißt es in einem Bericht der Stiftung Euronatur und Birdlife vom Mai. Nur acht von 46 europäischen Ländern schaffen es demnach, ihr Versprechen zur Bekämpfung der Wilderei bis 2030 einzulösen. „Dennoch gibt es Anlass zur Hoffnung“, heißt es weiter. „Länder wie Spanien und die Hoheitsgebiete Zyperns zeigen, dass mit einem starken politischen Willen, koordinierter Planung und der Bereitstellung ausreichender Mittel echte Fortschritte möglich sind.“
Im Europäischen Parlament ist das Problem aus dem Blick geraten
Das Europäische Parlament ist unterdessen nicht besonders aktiv im Kampf gegen legale und illegale Vogeljagd. „In den letzten Jahren war es eher still um das Thema in Brüssel“, heißt es aus dem Büro der SPD-Europa-Abgeordneten Maria Noichl aus Rosenheim. Im Jahr 2015 habe Noichl jedoch eine Initiative gegen die Frühjahrsjagd auf Vögel auf Malta unterstützt. Stefan Köhler aus Aschaffenburg, seit 2024 Europaabgeordneter der CSU, beruft sich auf die Vogelschutzrichtlinie. Deren Umsetzung liege jedoch bei den einzelnen Mitgliedsstaaten.
An Köhler, zuständig für Umwelt, Klima und Lebensmittelsicherheit, hat die für den Landkreis zuständige Abgeordnete Angelika Niebler die Anfrage der SZ weitergeleitet. Er sagte dazu: „Dieses konkrete Problem war mir in diesem Ausmaß bisher nicht bekannt.“ Er halte es für wichtig, dass Vorschriften korrekt umgesetzt werden, denn nur so könnten die Ziele der jeweiligen Gesetze erreicht werden. Der Schutz der Zugvögel müsse „auch grenzüberschreitend gewährt werden“. Wie das konkret geschehen soll, schreibt er nicht. Die bayerischen Grünen sind momentan nicht im Europaparlament vertreten.
Braunkehlchen, ebenfalls nur 15 bis 20 Gramm schwer, überwintern im tropischen Afrika, sie ziehen etwa 5000 Kilometer hin und her. Auch sie seien in den Netzen der Fallensteller schon gefunden worden, sagt Niederbichler. Die Verluste auf dem Hin- und Rückflug sind immens: „Man muss 100 losschicken, damit 13 zurückkommen.“ Ein riesiger Verlust, den die Tiere nicht mehr ausgleichen könnten, weil in Deutschland und ganz Mitteleuropa ihre Brutgebiete und ihre Nahrung schwinden.

Ebenso wie die Rastgebiete, in denen die Vögel unterwegs Kraft tanken können. „Es muss Plätze geben, wo die Vögel nicht permanent gestört werden“, sagt LBV-Mann Lindeiner. Er berichtet von einem riesigen Gebiet in Marokko, das früher ein wichtiger Rastplatz für Zugvögel war. Nun aber würden dort Tomaten angebaut, oft in Plastiktunnels. Im Süden Spaniens sind längst ganze Landstriche für den Anbau von Tomaten oder Erdbeeren unter Plastik verschwunden. „Man macht sich keine Vorstellung, welche Ausmaße das annehmen kann.“
Eine traurige Geschichte kann Niederbichler von einem Brachvogel berichten, sie spielt ebenfalls in Marokko. Das Tier war in Bayern geschlüpft und hatte einen Sender bekommen. So konnten die Vogelschützer verfolgen, dass der Vogel an der marokkanischen Küste überwinterte. Dann tauchte sein Signal plötzlich im Inland auf – auf einem Golfplatz. Und wenige Tage später in Casablanca, bei der Zentrale des marokkanischen Jagdverbands.
Die Geschichte ließ sich laut Niederbichler wie folgt rekonstruieren: Ein Scheich aus einem der Golfstaaten unternahm mit seinem Jagdfalken einen Jagdausflug nach Marokko. Der Falke schlug den Brachvogel. Ob das an der Küste passierte oder beim Golfplatz ist unklar. Der Besitzer jedoch bemerkte den Sender, nahm ihn ab und lieferte ihn beim Jagdverband ab.
Vogelherd und Krammetsvögel
Vogeljagd ist kein südeuropäisches oder nordafrikanisches Phänomen. „Auch bei uns sind früher Vögel gejagt worden“, erklärt Niederbichler. Namen wie „Vogelherd“, etwa in Dießen am Ammersee, zeigten das. Für Krammetsvögel, ein alter Name der Wacholderdrossel, finden sich zahlreiche Rezepte in alten deutschen Kochbüchern. Sie wurden noch im 20. Jahrhundert hierzulande gefangen, gebraten und verzehrt.
Weil die Winter bei uns immer wärmer werden, ziehen inzwischen einige Vögel gar nicht mehr in den Süden. Auch Brachvögel fliegen Niederbichler zufolge oft nur noch bis zum Bodensee. Dort sind sie vor Nachstellungen sicher.

