Süddeutsche Zeitung

Verkehr:Grauzone zwischen Auto und Fußgänger

Was ist sicherer für Radfahrer: der markierte Fahrbahnrand oder doch der traditionelle Radweg? Eine Fürstenfeldbrucker Debatte wegen der geplanten Umgestaltung einer Straße geht ins Grundsätzliche

Von Stefan salger, Fürstenfeldbruck

Konkret geht es um nicht mal 350 Meter Straße. Und doch ist die Sache exemplarisch. Denn es stellt sich die Grundsatzfrage: Was ist sicherer: der separate Radweg oder der am Fahrbahnrand abmarkierte Radstreifen? Eine Debatte in Fürstenfeldbruck endete jüngst mit einem Patt - und einem innovativen, möglicherweise aber unzulässigen Vorschlag.

Es gibt Unfallstatistiken, die den Ersatz der Radwege durch die Streifen nahelegen. Mit ihnen lässt sich der Eindruck widerlegen, Fahrradfahrer seien auf der Straße einer größeren Gefahr ausgesetzt. In der Realität sind Einmündungen für Zweiradfahrer oft die größere Gefahr - und unvorsichtige Passanten auf dem Gehweg nebenan.

Der Gesetzgeber hat den Bereich vor ein paar Jahren liberalisiert und Radfahrern mehr Eigenverantwortung zugewiesen. Dort, wo es möglich oder wegen zu geringer Breite nicht zulässig ist, wurde die Benutzungspflicht von Radwegen aufgehoben. Wer sich sicher fühlt und schnell vorankommen will, kann in diesen Fällen auf der Straße fahren.

Am Beispiel Sulzbogen zeigt sich in Fürstenfeldbruck, dass alle Theorie grau ist und eine Unfallstatistik für Familien mit kleinen Kindern oder für Senioren schon mal zu einem belanglosen Stapel Papier ohne Wert werden kann. Im konkreten Fall geht es um den Sulzbogen, eine lange Straße, die den Brucker Westen erschließt und die Tag für Tag von fast 7000 Autos oder Lastwagen befahren wird. Die jüngste Taktverdichtung bewirkte, dass der Bus der Linie 840 hier 140 Mal am Tag unterwegs ist. Nach 40 Jahren scheint die Zeit reif zu sein für eine Sanierung und einen gleichzeitigen Umbau der Fahrbahn. Die Straße, auf der Tempo 40 gilt, soll auf der gesamten Länge umgebaut werden, aktuell geht es aber lediglich um das Teilstück vom Kreisverkehr am Kurt-Huber-Ring bis zur Einmündung Am Pöglschlag. Mit dem Projekt hatte sich bereits der runde Tisch für den Radverkehr in der Stadt beschäftigt. Auch Anlieger meldeten sich zu Wort.

Erschwert werden die Planungen dadurch, dass die lediglich sieben Meter breite Fahrbahn abschnittsweise westlich von einem zwei Meter breiten Radweg sowie östlich von einem 1,5 Meter breiten Radstreifen gesäumt wird. An vielen Stellen sind die Fußwege mit kaum mehr als 1,5 Meter eigentlich zu schmal. Im Bereich einer Einmündung gibt es einen insgesamt nicht einmal elf Meter breiten Flaschenhals. Die Stadtverwaltung hat deshalb vorgeschlagen, durchgehend auf Radschutzstreifen auf der Fahrbahn umzusteigen. So würden zudem Brüche beim weiterführenden Ausbau vermieden. Ziel ist es, in beide Richtungen je eine 2,50 Meter breite Fahrbahn sowie einen 1,50 Meter breiten Schutzstreifen anzulegen. So blieben gut 2,50 Meter für den angehobenen Gehweg. Begegnen sich zwei Busse, müsste künftig mindestens einer kurzzeitig einen der Schutzstreifen überfahren.

Stadträtin Alexa Zierl (Die Partei und Frei), die selbst regelmäßig mit dem Fahrrad unterwegs ist, lehnt das Konzept ab. Ihre Erfahrung: "Autofahrer ignorieren die Schutzstreifen." Und mancher Radfahrer weiche deshalb verbotswidrig auf den Gehweg aus. Sie wünscht sich beidseitig der Fahrbahn möglichst eingefärbte Radwege auf Fußwegniveau und ohne Benutzungspflicht, die durch abgesenkte Randsteine (Tiefbord) von der Fahrbahn getrennt sind, im Bedarfsfall aber von Autos überfahren werden können. Was innovativ klingt, widerspricht laut Birgit Thron, der Leiterin des Ordnungsamts, der Straßenverkehrsordnung. Die nämlich sieht keine Zwitterlösung aus Schutzstreifen und Radweg vor: Radwege sind für Autos grundsätzlich tabu, daran ändert auch eine abgesenkte Begrenzung nichts. Baue eine Stadt so etwas, warnt Thron, dann gehe sie ein unkalkulierbares Haftungsrisiko ein. Und farbliche Markierungen? Die seien auf Gefahrenstellen wie Kreuzungsbereiche zu beschränken. Zierl hält dagegen und nennt Illertissen als Vorbild für ihren Radwegevorschlag und Erlangen für die farbigen Radstreifen. Schützenhilfe erhält sie von Verkehrsreferent Mirko Pötzsch (SPD), der in Schutzstreifen nur eine Notlösung sieht. Eine Mehrheit im Verkehrsausschuss setzt eine eingehende Prüfung des abgesenkten Radwegs durch.

Das ist durchaus im Sinne des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) und des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), wie deren örtliche Vertreter bestätigen. ADFC-Kreissprecher Adi Stumper räumt zwar ein, dass sein Verein seit einigen Jahren eher für die markierten Radstreifen plädiert, um die Fahrradfahrer "ins Blickfeld des Autofahrers" zu bringen. Deshalb hält er die Planung der Stadt auch für schlüssig. Gleichwohl sei es durchaus der Mühe wert, "innovative Lösungen" jenseits des Mainstreams auf Machbarkeit zu prüfen. Wichtig ist Stumper der Verzicht auf den Benutzungszwang. Und besonders wichtig: "Krücken wie gemischte Fuß- und Radwege wollen wir gar nicht." VCD-Kreissprecher Hans-Günther Rehbein spricht "von einem ganz heiklen Thema". Radweg oder Radstreifen, das sei manchmal wie "ein Tanz auf des Messers Schneide". Den Königsweg gebe es da nicht, eine örtliche Prüfung sei immer erste Wahl. Fernes Ziel müsse sein, Autofahrern klar zu machen, dass nicht ihnen "die Straße gehört", sondern allen Verkehrsteilnehmern. Er empfiehlt dort, wo es geht, einen Mischverkehr (Shared Space). Im Brucker Westen sei dies aber wohl nicht möglich, allein schon wegen der Busse, die dann so langsam fahren müssten, das sie ihre Anschlüsse verpassen würden.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2017
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