Urban-Progress-Gründer:"Grün beruhigt die Augen und uns selbst auch"

Es dauerte Jahrzehnte, bis der Gemeinderat Gröbenzell 2019 den Bebauungsplan für die Bahnhofstraße mit breitem Grünkorridor verabschiedet hat. Jetzt beginnt die Umgestaltung - ein Gespräch mit einem Bauherrn

Interview von Ariane Lindenbach, Gröbenzell

Endlich rührt sich was in der Gröbebachgemeinde: Die ersten Bäume sind gefällt, Baubeginn auf einem Grundstück in der westlichen Bahnhofstraße soll in der ersten Jahreshälfte sein. Die Münchner Firma Urban Progress plant und baut dort ein Gebäude mit 18 Wohneinheiten und Gewerbeflächen im Erdgeschoss, die Planung kommt vom Architekturbüro NVO Architekten und Stadtplaner. Die Besonderheiten des nach jahrzentelangen Diskussionen beschlossenen Bebauungsplans, des eigenen Projekts und der neuen Bauordnung erläutert Urban-Progress-Gründer Matthias Ottmann.

SZ: Herr Ottmann, Sie sind Bauherr in der Bahnhofstraße in Gröbenzell. Was hat Sie als Planer an dem Projekt gereizt?

Ottmann: Ein privater Grundstücksbesitzer aus Gröbenzell hat sich über eine Empfehlung eines Berliner Architekten an uns gewandt. Wir waren gleich begeistert von dem Standort, weil er so zentral gelegen ist und sehr weit in den Grünzug hineinreicht. In der Gemeinde zeigte man sich sehr glücklich, dass wir aktiv den Kontakt zum Bürgermeister gesucht haben, um uns vorzustellen. Denn uns als Bauherr ist an einer guten Zusammenarbeit mit Politik und Verwaltung sehr viel gelegen.

Eine Besonderheit ist der durchgehende Grünkorridor, der sich über alle Grundstücke hinweg und auf einer Breite von mehrere Metern erstreckt. Ist das in Zeiten steigender Grundstückspreise nicht reine Flächenverschwendung?

Diese Frage stellen wir uns immer (lacht). Bei Grunderwerb sprechen wir über das bestehende Baurecht. Im Fall von der Bahnhofstraße ist es ein Zusatzwert, dass das Grundstück an diesem geschützten Grünzug liegt. Und was den späteren Bewohnerinnen und Bewohnern gefallen wird, der Schutz wird wirklich ernst genommen: Wir wollten beispielsweise eine Art Naturspielplatz für die Kinder in dem Grünkorridor unterbringen. Das hat uns die Gemeinde untersagt. Daran sieht man den Wert dieses Grünzugs - und als umsichtig agierender Bauträger sind wir natürlich davon überzeugt, dass mit Grün- und Biotopflächen sehr sensibel umgegangen werden muss.

Urban-Progress-Gründer: Die Bahnhofstraße in Gröbenzell im Februar 2021 mit frisch gefällten Bäumen.

Die Bahnhofstraße in Gröbenzell im Februar 2021 mit frisch gefällten Bäumen.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Also hat der Grünzug keine Auswirkungen auf den Preis?

Wenn ein Grundstück über diese Freizeitflächen verfügt, ist das für die Bewohnerinnen und Bewohner ein absolutes Goodie, ein absoluter Mehrwert. Auf den Verkaufspreis wird sich das nicht auswirken.

Was sonst bewirkt der Grünkorridor?

Wir haben immer einen sehr hohen Anspruch an die Qualität unserer Objekte, zum Beispiel bei den Materialien, die wir verwenden. Das Gleiche gilt auch bei der Standortwahl. In der Bahnhofstraße ist dieser Grünzug ja eine große Gemeinschaftsfläche, es profitieren alle davon, alle Bewohner und natürlich auch die Nachbarn. Und wir verstehen unsere Aufgabe darin, diese Qualität zum Nutzen aller zu stärken.

Wie sieht Ihr Zeitplan aus?

Baubeginn ist in der ersten Jahreshälfte dieses Jahres. Bezugsfertig wird das Gebäude voraussichtlich Ende 2022 sein.

Die Wohnungen werden dann verkauft?

Nein, es werden Mietwohnungen, Zwei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen. Wir haben uns die letzten Wochen und Monate viele Gedanken gemacht über kluge Grundrisse, Multifunktionalität - und das gerade unter dem Aspekt Homeworking und Homeschooling. Dabei geht es vor allem um die Frage: Wie ist der Wohnbedarf jetzt in dieser schwierigen Zeit und wie wird er in Zukunft sein? Wir versuchen, die Grundrisse so zu gestalten, dass man Sichtbereiche zulässt, aber doch Bereiche innerhalb des Wohnraums abtrennen kann.

In vielen Wohnungen blickt man fast nur ins Grüne. Warum ist das wichtig?

Wenn man sich mit psychologischer Farbenlehre beschäftigt, beruhigt Grün die Augen und uns selber auch. Deswegen haben wir auch das Bedürfnis, spazieren zu gehen und uns in der Natur aufzuhalten. Ich glaube, dass es für die Leute einfach angenehm sein wird, dort zu wohnen. Und Studien zeigen uns, dass der private Freiraum den Menschen immer wichtiger wird. Immer weniger Menschen wollen erst ins Auto steigen, um im Grünen zu sein. Darum gewinnen auch Dachgärten mit Blumen und Bäumen an Bedeutung. Drei kleine Wohnungen besitzen zum Beispiel nur einen kleinen Balkon. Für diese Wohnungen sehen wir einen eigenen Bereich auf der Dachterrasse vor.

gröbenzell bahnhofstraße

So soll ein Grundstück an der Bahnhofstraße in Gröbenzell künftig aussehen. Visualisierung: Urban Art

Strittig im Gemeinderat waren die Flachdächer in der Bahnhofstraße. Kritiker bemängelten die Optik und die kurze Lebensdauer. Wie stehen Sie dazu?

Es geht da um zwei Aspekte. Flachdächer gibt es seit den Sechzigerjahren. Anfangs gab es Probleme mit der Dichte. Das Problem hat man nun gelöst. Flachdächer sind mittlerweile dicht und langlebig. Der andere Aspekt ist die Optik. Natürlich ist ein Flachdach eine sehr urbane Form. Man sollte die Entscheidung daher in Zusammenhang mit dem Standort sehen und treffen. In diesem Fall ist es einfach: Die Bahnhofstraße führt zum Bahnhof, gegenüber ist ein Hochhaus. Wir befinden uns im verdichteten Bereich von Gröbenzell, wichtige historische Gebäude befinden sich eher südlich des S-Bahnhofs. Hinzu kommt aber auch, dass Flachdächer den späteren Bewohnerinnen und Bewohner einfach am meisten Wohnraum bieten und damit Flächenversiegelung verringern. Persönlich finde ich auch, dass Satteldächer mit einer Fotovoltaikanlage weniger ansehnlich sind. Eine Solaranlage ist auf einem Flachdach besser aufgehoben, wo man diese Technik nicht sieht, aber gut nutzen kann.

Laut Bebauungsplan soll die Bahnhofstraße über die trennende Bahnlinie hinweg mit der Kirchenstraße verknüpft und zur "Ortsmitte Gröbenzell" werden. Können Sie grob skizzieren, wie das aussehen könnte oder gibt es schon Pläne?

Wir können uns natürlich die trennende Bahnlinie nicht wegwünschen, sie ist da und hat ja auch eine überörtlich wichtige Funktion für Gröbenzell. Was mir jedoch persönlich auffiel, dass die Bahnhofstraße bislang nur auf der östlichen Straßenseite genutzt wurde, für den Einzelhandel ist das nicht optimal. So zentral gelegen muss natürlich die Straße beidseitig erlebbar sein. Und damit es angenommen wird, sollte die Kommune auch eine gewerbliche Nutzung zur Straße hin zulassen, nichts anderes sieht die städtebauliche Planung der Gemeinde Gröbenzell vor.

Um den Bebauungsplan Bahnhofstraße wurde Jahrzehntelang gerungen, bis er endlich realisiert wurde. Haben Sie davon bei Ihrer Arbeit etwas gemerkt?

Ja, ganz verschiedentlich. Wir werden in der Tat sehr aktiv angesprochen, jetzt ist es bekannt, dass wir die Bauherren sind. Wir bekommen eigentlich in jedem Moment positives Feedback nach dem Motto, endlich seid ihr da, endlich geht es los. Wir freuen uns auf diese positive Stimmung und freuen uns ebenso sehr darauf, später durch das gute Ergebnis das in uns gesetzte Vertrauen zu bestätigen.

Matthias Ottmann

Matthias Ottmann, Jahrgang 1963, ist Volkswirt mit Erfahrung in der Baubranche - erst im väterlichen Unternehmen Südhausbau KG, seit 2014 im eigenen. Er lehrt an der TU Stadtentwicklung und Immobilienwirtschaft.

(Foto: Yves Krier/oh)

Haben Sie noch andere Projekte hier?

Wir würden uns gerne in Gröbenzell und den Gemeinden im Umland stärker engagieren, haben aber zurzeit keine anderen Projekte in der Gemeinde. Wir meinen, dass es Grenzen bei der künftigen Entwicklung von Wohnraum in München gibt. Neben fehlenden Flächen kommt hinzu, dass das Innenstadtleben deutlich an Attraktivität verloren hat. Das hat mit der Pandemie zu tun. Der Außenraum hat die Stadtbewohner schon immer angezogen, aber jetzt hat er eine neue Wertigkeit. Wir finden die Gemeinde Gröbenzell auch hoch spannend für viele Münchner. Menschen, die von der Innenstadt nach außen ziehen, wollen nicht in einer Schlafstadt, sondern am Ortskern leben, auf einen guten ÖPNV zurückgreifen und sich in die neue Umgebung integrieren.

Vor ein paar Jahren haben Sie einmal gesagt: "Eine historische Stadt, in der wir uns gerne aufhalten, kann man mit der bayerischen Bauordnung gar nicht mehr bauen." Dann kritisieren Sie vermutlich auch die aktuelle Novellierung der bayerischen Bauordnung und begrüßen, dass Gröbenzell und mehrere andere Landkreisgemeinden ihre eigenen Satzungen aufgestellt haben, die mehr Abstandsflächen einfordern?

Ich habe ein sehr zwiegespaltenes Verhältnis zu der neuen Bauordnung, im Wesentlichen zu den Abstandsflächen. Ich kann nicht verstehen, dass die Stadt München mit dieser hohen Dichte ein höheres Abstandsflächenmaß (1,0 H) erwirkt hat als alle anderen kleinen Gemeinden (0,4 H). Das ist logisch für mich nicht nachvollziehbar. Ich meine, dort, wo der Druck am höchsten ist, sollte man auch in der Lage sein, dichter bauen zu können. Was die anderen Gemeinden jedoch angeht, finde ich die derzeitige Diskussion hoch spannend. Ich habe mitbekommen, dass inzwischen Hunderte Gemeinden eigene Satzungen geprüft haben und kurz vor Satzungsreife stehen. Das war zwar schon früher möglich, hat aber niemanden interessiert. Auch nach der neuen Bauordnung kann sich jede Gemeinde für ein eigenes Abstandsflächenrecht aussprechen, wenn sie von einem Wahlrecht Gebrauch machen möchte. Wir sind das einzige Bundesland, das sich diesen Luxus leistet. Quintessenz: Es ist Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil jede Gemeinde ihr eigenes Abstandsflächenmaß durchsetzen kann und gerade jetzt richtig motiviert ist, denn vielen erscheint das neue Maß mit nur 0,4 H zu gering. Für jeden Stadtplaner und Unternehmer wird das allerdings sehr undurchsichtig, weil es keine einheitliche Regelung mehr gibt. Segen, weil es vielleicht gerade das ist, wofür sich Gemeinden einsetzen wollen. Sie können mit den neuen Regeln ihr eigenes, charakteristisches Ortsbild gestalten.

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