Süddeutsche Zeitung

Unterricht daheim:Lernen im virtuellen Klassenzimmer

Die Schulen sind geschlossen, doch der Unterricht geht weiter - über digitale Medien. Vielerorts sind Schüler und Lehrer schon vertraut mit deren Nutzung. Doch nicht alle Familien sind mit den nötigen Geräten gut ausgestattet

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Flexibel, kreativ, geduldig. Diese Worte hört man, wenn man mit Schulleitern darüber spricht, wie sie in der momentanen Situation den Unterricht gestalten. Seit einer Woche sind die Schulen wegen des Coronavirus geschlossen, die Schüler befinden sich "im Home-Office". So erklärt es der Zweitklässler Jack in einem kurzen Video, das die Grundschule Puchheim-Süd selbst gedreht und auf ihre Homepage gestellt hat. Anschließend erläutern Schulleiter Christian Römmelt und seine Stellvertreterin Stefanie Neubauer Kindern und Eltern, wie das Lernen daheim funktioniert.

Die Grundschule Puchheim Süd hat ein besonders ausgeklügeltes System aufgebaut, wie der Lernstoff vermittelt wird - in virtuellen Klassenzimmern. Das Ziel laut Römmelt: einen Klassenraum und eine Klassenatmosphäre erzeugen. Die Schule ist ohnehin geübt im Umgang mit digitalen Medien, das kommt jetzt allen zugute. Über die Plattform Microsoft Teams treffen sich Schüler und Lehrerinnen zu festgesetzten Zeiten, um Aufgaben zu erledigen. Die Lehrkräfte arbeiten überwiegend von zu Hause aus. "Von 8.30 bis 10 Uhr sind die Lehrer für Fragen zu erreichen", sagt Römmelt. "Tagsüber werden Fragen gepostet mit einer Deadline zur Beantwortung." Die Lehrer sammeln die Aufgaben ein und korrigieren sie. So komme bei den Kindern kaum das Gefühl auf, es seien Ferien. Ständig ploppten im Kollegium neue Ideen auf, wie man den Unterricht gestalten könne.

Für die Buben und Mädchen gebe es sogar Belohnungen für erledigte Aufgaben, erklärt Lehrerin Nina Spuling-Barth. Sie bekommen digitale Fleißbildchen, wenn sie ein Projekt abgeschlossen oder eine bestimmte Zeit gelesen haben. "Das sind kleine Monsterchen, die sind ganz süß". Die Kinder sammelten die Bildchen und verglichen im Klassenchat, wer wie viele habe. Später, wenn alle wieder in die Schule kommen könnten, sollen sie die erworbenen Bildchen in kleine analoge Belohnungen umtauschen können. Überhaupt kämen die Kinder mit der Situation ziemlich gut zurecht, sagt die Lehrerin, die eine zweite Klasse unterrichtet. Alles sei noch neu und aufregend. "Morgens begrüßen sie sich im Chat und fragen, wer schon alles da ist, mittags kommen Pommes-Emojis an und abends schicken sie mir Sprachnachrichten."

Für die erste Woche gaben die Lehrer den Kindern in Puchheim Süd wie in anderen Schulen Lernmaterial und Aufgaben mit. Das Wochenende 14. und 15. März nutzte Schulleiter Römmelt, um händisch alle 345 Kinder in 17 Klassen in das digitale Lernsystem einzupflegen. Weil nicht alle Familien gut mit den notwendigen Geräten ausgestattet waren, hat die Schule in Zusammenarbeit mit der Stadt 18 Tablets und Laptops verliehen. Am Freitag holten die letzten Familien ihre Geräte ab. Nicht alle Eltern kämen gut damit zurecht, die Kinder in das System aufzunehmen, sagt Römmelt. Sie erhielten entsprechende Hilfen, persönlich oder per Telefon. In die Grundschule Süd gehen auch Kinder, die in der Planie leben, wo es arme und eher bildungsferne Familien gibt. Durch die Tablets wurden auch sie in die Lage versetzt, am digitalen Unterricht teilzunehmen.

Auch die Brucker Schulamtsleiterin Bettina Betz weist darauf hin, dass es jetzt besonders wichtig ist, Schüler mit besonderem oder sprachlichem Förderbedarf gut zu unterstützen. In Facebook-Gruppen tauchten vorige Woche auch Fragen danach auf, wer Schulmaterial ausdrucken könne. Längst nicht jede Familie im Landkreis hat einen Drucker zu Hause.

Die Gründe für die anstehende Schließung aller Schulen hat die Schulleitung in Puchheim Süd den Buben und Mädchen genau erklärt, als sie bekannt gegeben wurde. Zunächst sei in den Klassen darüber gesprochen worden, wer darüber entscheide und warum, nämlich Ministerpräsident Markus Söder und Kultusminister Michael Piazolo. Dabei habe man den Kindern auch erklärt, wie die beiden gewählt worden seien und wie solche Entscheidungen getroffen würden. "Das haben wir gleich mit politischer Bildung verbunden", sagt Römmelt. Dann haben alle am vorerst letzten Freitag in der Schule zusammen die Live-Übertragung von Söders Pressekonferenz angeschaut und darüber gesprochen.

Schon früh hat sich die Schule Römmelt zufolge dagegen entschieden, für den digitalen Unterricht die offizielle Plattform Mebis zu nutzen. "Ich dachte mir schon, dass die dem Ansturm nicht gewachsen sein würde", sagt er. Die Lernplattform brach unter dem Ansturm der ersten Tage, gepaart mit einer Hackerattacke, prompt zusammen. Römmelt ist froh, dass die Arbeit mit der anderen Plattform gut funktioniert. Über Mebis tauschen sich nun die Lehrer aus.

Auch die Orlando-di-Lasso-Realschule in Maisach, die Ferdinand-von-Miller-Realschule und das Carl-Spitzweg-Gymnasium in Germering setzen auf eigene Portale und Wege in den digitalen Unterricht. Im CSG mit seinen 1081 Schülern hat Direktorin Rita Bovenz an alles gedacht, was wichtig ist, damit der Unterricht zu Hause klappt: die technische Ausstattung der Familien, das richtige System, die Kommunikation des Kollegiums untereinander, mit den Schülern und den Eltern. Im Gymnasium entstehen nun kurze Videos, in denen Lehrer etwa die einzelnen Schritte geometrischer Konstruktionen zeigen, so wie sonst an der Tafel. Dabei musste bedacht werden, wie man das möglichst gut und so macht, dass alle Schüler die Filme dann auch öffnen und anschauen können. Die Lösung: Sie werden mit der Datenkamera gefilmt. Die Stimmung sei gut, das Feedback der Eltern überwiegend positiv, berichtet die Schulleiterin.

"Als digitale Schule ist das Kollegium den Umgang mit den digitalen Medien gewohnt", sagt Bovenz. Eine Herausforderung seien Fächer wie Sport, Musik und Kunst. Bovenz setzt auch wegen der Influenza schon länger auf besondere Hygiene in der Schule, auf gründliches Händewaschen und Desinfektion. "Das haben die Schüler ganz gut übernommen", sagt sie. "Früher fanden viele mich pingelig. Jetzt sind sie sehr froh." Weil ihre Schwester Ärztin sei, sei sie "immer auf dem neuesten Stand". Um Ängste bei den jüngeren Schülern nicht aufkommen zu lassen, sollten die Eltern mit ihnen über die Epidemie reden. Von den Eltern bekommt Bovenz positive Rückmeldungen, wegen der umsichtigen Planung.

"Die Technik und die Kommunikationswege müssen sich erst einspielen", sagt Doris Lux, Leiterin der Maisacher Realschule mit 980 Schülern, davon 190 in der Abschlussklasse. Der auch zuvor schon genutzte digitale Kommunikationskanal sei im Eilverfahren erweitert worden. Auch an der Realschule machen die Lehrer feste Zeiten mit ihren Schülern aus, zu denen alle im digitalen Klassenzimmer anwesend sein müssen. "Insgesamt sollten wir darauf achten, dass wir gut strukturierte Arbeitsaufträge herausgeben." Das System sei an der ein oder anderen Stelle noch überlastet. "Man muss ein bissl Geduld mitbringen", sagt Lux. Ähnliches berichtet Michael Heimes, Leiter der Brucker Ferdinand-von-Miller-Realschule.

Lux hat noch ein anderes Problem, als den Unterricht und die Zusammenarbeit des Lehrerkollegiums zu organisieren. Ihr fehlen der persönliche Kontakt, die Kommunikation und der direkte Austausch mit Kollegen und Schülern. "Es ist komisch in der Schule ohne die Kinder und ohne die Lehrer", sagt sie. Ihre Hoffnung: Dass es nach der Epidemie wieder mehr Lust auf den Gemeinschaftsort Schule gibt. "Ich bin sehr froh über die tolle Schulgemeinschaft." Die Rektorin hält auch Kontakt zur Schülersprecherin, um so zu erfahren, wie die Schüler zurecht kommen. Wichtig ist ihr, dass jeder Schüler, der eine Frage hat, diese auch äußern kann.

Betz ist überzeugt, dass die Schulen die Corona-Krise meistern werden. Denn Lehrer und Schüler seien es gewohnt, zu Hause zu arbeiten. "Lehrkräfte sind ohnehin sehr, sehr flexible Leute, schon wegen des Unterrichtsbetriebs. Die sind einiges gewohnt", sagt sie. Auch sonst seien Lehrer ja zwischendurch nicht an der Schule, wegen Fortbildungen oder Krankheit, dann müssten sie ihre Klassen auch mit Material versorgen. "Die Leute machen das Beste daraus." Ein besonderes Augenmerk haben die Leiterinnen der weiterführenden Schulen auf die jungen Leute, die heuer ihre Mittlere Reife oder das Abitur ablegen wollen. Sie hoffe, dass die Prüfungen in diesem Jahr auch durchgezogen werden könnten, sagt Gymnasiumsdirektorin Bovenz. Sie hoffe, dass Universitäten die Einschreibefristen entsprechend verlängerten, und Betriebe die Bewerbungsfristen. Römmelts Resümee nach der ersten Woche: "Es war eine anstrengende, ungewöhnliche Woche. Aber den Zusammenhalt zu erleben, ist sehr schön."

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SZ vom 24.03.2020
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