Süddeutsche Zeitung

Umweltpreis der Bürgerstiftung und der SZ:Das gebrauchte Haus

Das Architekten-Ehepaar Lambertz hat ein Haus aus den Fünfzigerjahren gekauft und umgebaut - mit einfachen, natürlichen Materialien.

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Stefan und Birgit Lambertz, 56 und 52, widerstrebt es, etwas abzureißen, was "noch gut ist". Deshalb haben sie das dunkle, verwinkelte Einfamilienhaus aus den Fünfzigerjahren, das sie 2008 gekauft haben, zu einem einem hellen, modernen Haus für die vierköpfige Familie umgebaut. Als sie im muffig wirkenden Flur ihres neuen Hauses im Süden der Stadt Fürstenfeldbruck standen , wurde ihnen doch mulmig, erzählt Birgit Lambertz. Die bange Frage: "Schaffen wir das?"

Dann flog ganz viel heraus - Decken und Zwischenwände, alte Holzböden, die Thujenhecke. Nun lebt das Ehepaar mit zwei Söhnen in einem Haus, das geräumig wirkt, obwohl es gerade mal 93 Quadratmeter Wohnfläche hat. Der Umbau wurde dadurch erleichtert, dass beide Architekten sind, sie haben sich im Studium kennengelernt. Stefan Lambertz ist zudem Schreiner.

Mit ihrem Konzept für das "gebrauchte Haus" und dessen teils minimalistischer Umsetzung haben die Architekten einen undotierten Sonderpreis des Klima- und Umweltpreises der Bürgerstiftung und der Süddeutschen Zeitung für den Landkreis Fürstenfeldbruck gewonnen. Denn in Gebäuden steckt jede Menge graue Energie, die beim Abriss verloren geht und beim Neubau wieder eingesetzt werden muss. Werden bestehende Gärten einfach weggeschoben, werden Lebensräume und viel zu oft auch alte Bäume vernichtet, die Schatten spenden und die Umgebung kühlen. Haus und Garten zu erhalten, ist also ein nicht zu unterschätzender Beitrag zum Umweltschutz.

Wenn Birgit Lambertz erzählt, wie es sie schmerzt, wenn sie sieht, dass wieder irgendwo in Fürstenfeldbruck ein altes Haus samt Garten plattgemacht worden ist, versteht man, warum sie selbst es anders machen wollte. Ihr Vorgehen entstammt einem tief empfundenen Verständnis für den Wert der Dinge, dafür, dass es besser sein kann, etwas zu bewahren als es wegzuwerfen. Vielleicht kommt das auch daher, dass in ihrer Familie wenig Geld da war, dafür aber Nachhaltigkeit quasi eine Familientradition ist.

Überdies haben die Lambertz einen Widerwillen gegen Baumaterialien aus Kunststoff. "Wir wollen einfach kein Plastikhaus", sagt Birgit Lambertz. Immer wieder klingelten Vertreter und wollten Plastiktüren, einen Plastikzaun oder Plastikfenster verkaufen, berichtet die Architektin. "Aber die haben keine Chance." Es gehe auch darum, was passiert, wenn die Sachen kaputt gehen. "Das Zeug hält ja nicht ewig." Plastik oder gar Verbundmaterialien könne man eben kaum recyceln, und dann lande es auf dem Müll. Lambertz verwenden vor allem Holz.

Wie überzeugt sie vom einfachen Bauen sind, sieht man schon daran, dass als Fußboden im Erdgeschoss der pure, wenn auch eingelassene Estrich dient. Und sie stellen vieles in Frage - muss ein Wohnzimmer wirklich 40 Quadratmeter groß sein, ein Bad 20 Quadratmeter? Braucht man das? Und vor allem: Muss immer alles neu sein? Nein, finden die beiden.

Die Decke im Erdgeschoss ist mit Sumpfkalk gestrichen. "Das ist eine Gipsfaserdecke. Die streicht man eigentlich nicht mit sowas. Wir haben es trotzdem gemacht", sagt Lambertz und lacht. Vorteil: Die Farbe wirkt antiseptisch. Die Wand zwischen dem 13 Quadratmeter großen Wohnzimmer und Küche wurde bis auf Brusthöhe abgetragen. So entstand ein großer, lichter Raum, der gemütlich und gut gegliedert wirkt. Der eiserne Ofen stammt von der Uroma und gibt dem Raum etwas von einer guten Stube.

Was nicht sofort auffällt: Es gibt kaum Flure oder Vorräume. Der vorhandene Platz wird für Büroflächen, Bücherregale und Einbauschränke genutzt. Die beiden Söhne, 17 und 19, haben jeweils ein Zimmer im ersten Stock, die Eltern schlafen im Spitzgiebel, zu dem eine schmale Treppe führt. Dort oben kann man nicht aufrecht stehen. Doch das brauche es auch gar nicht, sagt Birgit Lambertz. Und wenn die Kinder nicht mehr im Haus wohnen, ziehen die Eltern ein Stockwerk tiefer.

Im und um das Haus der Lambertz ist vieles alt, teils aus dem Müll gerettet - die Türbeschläge, Produktmuster eines Schreiners, lagen schon im Container, die Kassettentür an der Kellertreppe mit dem floral gemusterten Glaseinsatz stammt aus einem Abbruchhaus. Das Gartenhaus ist aus großen Dreischichtplatten errichtet. Sie wurden bei einem Schulumbau verwendet und wären nach der Baumaßnahme entsorgt worden, hätte Stefan Lambertz sie nicht gerettet. Geschreddert worden wären auch die Betonschwellen, die den Weg zum Haus bilden - wegen unterschiedlicher Größen waren für ihren ursprünglichen Zweck nicht zu gebrauchen, erklärt Lambertz.

Vieles konnte erhalten werden: Die originalen Kastenfenster aus Holz bekamen einen weißen Anstrich und eine Gummidichtung zur besseren Dämmung. In den beiden Bädern wurden die ursprünglichen, hochwertigen Fliesen samt einer charmanten Seifenablage verwendet, die in einem schönen Türkiston gehalten sind.

2008 hat das Architektenpaar das Haus gekauft, und noch immer ist nicht alles fertig. Dafür sei aber von Anfang an etwas vorhanden gewesen - etwa die Wiese im Garten, auf der die Kinder spielen konnten. "Das ist ein Langzeitprojekt", sagt Lambertz. "Wenn man viel selber macht, dauert es eben." Eine große Garage ist im Bau. Die Terrasse, es ist die ursprüngliche, ist abgenutzt und stellenweise löchrig, aber man kann draußen sitzen. Ist es günstiger, mit gebrauchten Materialien zu arbeiten? Das wohl schon. Aber: "Es geht nicht ums Geld, es geht ums Prinzip", sagt Birgit Lambertz. "Auch wenn es genau so teuer gewesen wäre, das Haus umzubauen wie neu zu bauen, hätte ich kein neues haben wollen."

Lieber arbeiten die Lambertz mit dem, was da ist. Und es gilt die Regel: "Nicht krampfhaft machen, was nicht nötig ist." Etwa keine "Dämmorgien". Weil Häuser Birgit Lambertz zufolge die meiste Wärme über das Dach verlieren, haben sie darauf verzichtet, die Wände zu dämmen und nur das Dach besonders gut isoliert. Geheizt wird über eine Fußboden- und eine Wandheizung, die Energie liefert eine Grundwasserwärmepumpe. Die wiederum wird mit dem Strom betrieben, den eine Photovoltaik-Anlage auf der Garage erzeugt, die gleichzeitig die Dachbedeckung ist. Diese besonderen PV-Anlagen seien in der Schweiz weit verbreitet, in Deutschland aber nahezu unbekannt, sagt Birgit Lambertz.

Kann man das als Nicht-Architekt nachmachen? Ja, sagt Birgit Lambertz. Aber von einem Architekten planen lassen sollte man es schon. Das habe sie zum Beispiel für ihren Bruder in der Schweiz getan. Ihn wollten die Behörden überzeugen, das Haus aus den Siebzigerjahren abzureißen, das er gekauft hatte. Aber er baute es um und lebt nun ebenfalls in einem modernen und sehr individuellen Haus.

"Einfach Bauen" in der Architektur

Stefan und Birgit Lambertz haben in Karlsruhe mit Florian Nagler Architektur studiert. Stefan Lambertz ist als assoziierter Mitarbeiter in dessen Büro tätig. Der namhafte Münchner Architekt Nagler baut aus Überzeugung günstigen Wohnraum ohne Schnickschnack, reduziert auf das Wesentliche, möglichst ökologisch, mit Materialien, die gut wiederverwendet werden können.

Er forscht zum Thema "Einfach Bauen" und hat zu diesem Zweck von 2017 bis 2020 drei Häuser in Bad Aibling errichtet, aus Holz, Mauerwerk und Beton. Dabei wurde die Strategie "Einfach Bauen" konsequent umgesetzt. In München hat das Büro ein aufgeständertes Wohnhaus beim Dantebad errichtet, im Kreativquartier entsteht gerade eine ökologisch vorbildliche Anlage mit günstigen Mieten. Stefan Lambertz arbeitet gerade in Nürnberg am Umbau eines denkmalgeschützten Künstlerhauses.

Florian Nagler ist Professor an der Technischen Universität München, wo er einfaches Bauen lehrt. Auch im Landkreis war der aus Dietramszell bei Bad Tölz stammende Architekt schon tätig: An der Schwarzäckerstraße in Puchheim hat er von 2018 bis 2020 vier Häuser mit Wohnungen für Obdachlose und Wohnungsbedürftige gebaut - natürlich auch auf die einfache Weise. Sie konnten im Juni als Teil der diesjährigen "Architektouren" besucht werden.

Die Bürgerstiftung für den Landkreis Fürstenfeldbruck und die Fürstenfeldbrucker Süddeutsche Zeitung haben in diesem Jahr erstmals zusammen einen Klima- und Umweltpreis vergeben. Das Preisgeld wurde von der Sparkasse gespendet. Die vier Preisträger und zwei Empfänger eines Sonderpreises werden in loser Folge vorgestellt. Warum das "Turmgeflüster" einen Preis bekam, lesen Sie hier.

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