Fürstenfeldbrucker hilft in Krisenregion:"Da würde ich kaputtgehen"

Fürstenfeldbrucker hilft in Krisenregion: Ein Konvoi aus Fürstenfeldbruck kommt in Lublin an und wird sofort ausgeladen.

Ein Konvoi aus Fürstenfeldbruck kommt in Lublin an und wird sofort ausgeladen.

(Foto: Andreas Rothenberger/Facebook)

Moritz Hickethier koordiniert an der ukrainischen Grenze Hilfslieferungen aus Fürstenfeldbruck. Wie die Spenden ankommen, was er dafür auf sich nimmt - und wo er auf seine eigenen Grenzen stößt.

Interview von Carim Soliman, Fürstenfeldbruck

In der Gruppe "Brucker helfen der Ukraine" organisieren Leute aus dem Landkreis Spenden für Geflüchtete und andere Opfer des Krieges. Moritz Hickethier, 34, fuhr bei der ersten Tour nach Polen mit. Eigentlich wollte er danach direkt zurück. Es kam anders.

Moritz Hickethier, wo sind Sie gerade?

Ich bin in auf dem Klostergelände der Caritas. Hier kommen die Hilfsgüter an und werden auf Lkws verladen, die sie dann über die Grenze in die Ukraine bringen.

Auf dem Klostergelände der Caritas im polnischen Lublin, nahe der ukrainischen Grenze.

Moment, ich schaue schnell bei Google. Ich vergesse den Stadtnamen ständig. Ja, Lublin.

Fürstenfeldbrucker hilft in Krisenregion: Übermüdet in Lublin: Moritz Hickethier koordiniert in Polen die Hilfstransporte aus Fürstenfeldbruck

Übermüdet in Lublin: Moritz Hickethier koordiniert in Polen die Hilfstransporte aus Fürstenfeldbruck

(Foto: Moritz Hickethier)

Sie vergessen den Namen der Stadt, in der Sie seit fast einer Woche sind und Hilfslieferungen koordinieren?

Ich bin 18 bis 23 Stunden am Tag auf den Beinen. Heute hatte ich eine Stunde und 35 Minuten Schlaf. Alles, was nicht der Hilfslieferung dient, blende ich aus. Alle Fahrer und Helfer wissen ja, in welche Stadt sie müssen. Also ist der Name für meinen Job egal.

Wie laufen die Hilfslieferungen aus Fürstenfeldbruck ab?

Ich spreche hier mit Leuten darüber, was benötigt wird, und wir aktualisieren unsere Webseite. Die Spenden werden in der Tenne verpackt und verladen. In Konvois von vier bis fünf Transportern mit je zwei Fahrern kommen sie dann in ungefähr 15 Stunden nach Lublin. So bin ich auch hergekommen, als Fahrer mit dem ersten Konvoi.

Und dann sind Sie einfach geblieben?

Das hat sich schon im Laufe der Fahrt herauskristallisiert. Es war ja nie geplant, dass es so eine Riesenaktion wird. Aber es kamen einfach immer mehr Spenden und Freiwillige. Mein Handy hat durchgeklingelt. Spätestens, als wir ankamen, war klar: Wir müssen das besser koordinieren, mit Leuten vor Ort. Wir hatten extrem viele Klamotten dabei, aber die waren gar nicht mehr nötig. "Klamotten kommen da hin", wurde uns gesagt. Das waren riesige Räume, bis an die Decke voll mit Kleiderhaufen.

Und dann haben Sie einfach nachgefragt, was wirklich gebraucht wird?

Ich bin dann hier einfach Menschen hinterhergelaufen, die wichtig aussahen. Leuten mit Warnwesten. Ich habe mich bis in ein Büro durchgefragt und die Leute dort überredet, mir Listen zu schreiben. Bevor Sie zur nächsten Frage kommen, darf ich etwas klarstellen?

Natürlich.

Es wird oft so dargestellt, als wäre das unser Projekt, von Flo und mir. Aber wir hatten nie einen Plan. Wir wollten nur unserer Freundin Maryna (Vaskevych, Anm. d. Red.) beistehen. Sie hat Familie in der Ukraine und war schon vorher hier, um zu helfen. Ich habe nur gesagt, ich würde sofort ins Auto springen. So ging es los und danach ist es wie gesagt quasi von selbst gewachsen, weil so viele Leute helfen wollen.

Was passiert, wenn die Konvois mit den Sachen in Lublin eintreffen?

Am besten weiß ich schon am Vortag, wann ein Konvoi eintrifft, damit ich einen Slot zur Entladung im Innenhof des Klosters freihalten kann. Bei der Ankunft kümmere ich mich erstmal um die Fahrer. Sie bekommen Kaffee, was zu essen, vielleicht noch einen Rundgang. Sobald wir dürfen, fahren wir zum Entladen auf den Innenhof.

Wissen Sie, wo die Spenden am Ende landen?

Ganz ehrlich: Nicht mit hundertprozentiger Sicherheit. Ich bin mir der Verantwortung gegenüber den Spendern natürlich bewusst. Aber auch die Hilfsorganisationen müssen mitunter sehr spontane Entscheidungen treffen. Sie fahren in ein Land, wo Krieg herrscht. Von der Caritas weiß ich, dass viel in die ukrainische Stadt Lwiw gefahren wird. Außerdem werden Sachen für Geflüchtete an die Grenze gebracht. Inzwischen kann ich ungefähr einschätzen, wo ein Lkw hin soll, je nachdem, wie er gepackt ist.

Wie das?

Medikamente werden eher für Verletzte im Landesinneren gebraucht. Deswegen kommen sie auch ganz hinten in die Laster. Babynahrung braucht man überall. Decken sind in erster Linie für Menschen an der Grenze. Und die kommen definitiv an, ich war selbst schon dort. Es ist so kalt hier. Bitter, bitterkalt.

Es ist die Rede davon, dass Spendentransporter auf dem Rückweg gleich Geflüchtete mitnehmen.

Das ist schwierig. Das sind meistens Dreisitzer und zwei der Plätze sind schon durch Fahrer belegt. Die meisten Geflüchteten sind aber Frauen mit ihren Kindern. Die können wir nicht einfach trennen. Wir arbeiten da mit der Stadt Fürstenfeldbruck an einer Lösung. Schließlich haben sich viele Brucker bereit erklärt, Geflüchtete aufzunehmen. Aber die meisten wollen ohnehin in Polen bleiben. Sie hoffen, dass der Krieg bald endet und sie zurückkönnen -

Hickethier stockt. Er ringt um Fassung.

Ich bin eigentlich kein emotionaler Mensch. Aber wenn man dieses Leid mitbekommt. Diese Gewalt, die Menschen angetan wird. Ihre Angst ist fast greifbar. Das darf es im 21. Jahrhundert einfach nicht geben. Das darf nicht sein.

Haben Sie regelmäßig Kontakt mit Geflüchteten?

Nein. Ich bin kein Flüchtlingshelfer. Das könnte ich auch gar nicht. Ich würde kaputtgehen. Aber ganz auszublenden ist es natürlich nicht. Im Klostergelände sind auch Geflüchtete untergebracht. Viele packen mit an.

Bekommen Sie etwas von Gefechten mit?

Wir sehen nichts und wir hören nichts. Aber ich glaube, man kann den Krieg hier riechen. Manchmal liegt der Geruch von Schwarzpulver in der Luft. Vielleicht bilde ich es mir nur ein oder hier ist irgendwo eine Fabrik für Feuerwerk. Es gibt ein Gerücht, dass es eine Bombardierung 80 Kilometer vor der Grenze gab. Aber wir sind nicht in Gefahr.

Sonntag sollen sie endlich nach Hause fahren.

Das ist der Plan. Aber das war auch schon am Montag der Plan, am Mittwoch und am Donnerstag. Also mal schauen.

Was tun Sie als erstes, wenn Sie zu Hause sind?

Ausschlafen. Und alle, die helfen, auf ein Bier einladen. Auch wenn das teuer wird.

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