"Das alles ist übrig." Moritz Hickethier von der Initiative Brucker helfen der Ukraine steht im halbleeren Erdgeschoss des ehemaligen Modehauses Kohl in der Brucker Hauptstraße. Um ihn herum stapeln sich letzte Kisten mit Sachspenden, die Menschen aus dem Landkreis seit Ende März für Ukrainerinnen und Ukrainer hier hergebracht haben. In der Kleiderkammer wurden sie für den Weitertransport in die Ukraine zwischengelagert. Außerdem konnten Geflüchtete sich hier mit dem Nötigsten eindecken. Aber seit August ist Schluss, die Kammer wird nicht mehr gebraucht. "Die Bedürfnisse haben sich geändert", erklärt Hickethier.
Sechs Monate ist es her, dass Russland die Ukraine überfiel und mit dem Krieg auch eine humanitäre Katastrophe auslöste. Inzwischen hat sich das Spendenaufkommen drastisch reduziert. "Der erste Ukraine-Boom, dass stündlich zehn Leute mit Spenden vor der Tür stehen, das ist vorbei", sagt Monika Graf. Sie hat die Corona-Nachbarschaftshilfe Fürstenfeldbruck gegründet. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine kümmert sie sich auch um Geflüchtete von dort. Die Freiwilligen der Nachbarschaftshilfe betreiben unter anderem die Unterkunft für neu ankommende Geflüchtete im ehemaligen Hotel Hasenheide. Dass die Spendenbereitschaft im Landkreis zurückgeht, hat für Graf mit Gewöhnung zu tun. "Man merkt, dass der Krieg leider zur Alltagssituation geworden ist."
Spenden für die Ukraine gehen zurück
Für Moritz Hickethier hat der Rückgang noch weitere Gründe, zum Beispiel die Wirtschaftslage. Die gestiegenen Preise, insbesondere für Lebensmittel, machten allen zu schaffen. Außerdem hätten die meisten inzwischen einfach schon alles gespendet, was sie übrig hatten. "Ich glaube nicht, dass im Landkreis irgendwo noch ein ungenutzter Schlafsack liegt."
Dass weniger Sachspenden bei ihnen eintreffen, sehen die Helferinnen und Helfer aber nicht per se als Problem. "Wir haben von Anfang an nicht auf Masse gesetzt", sagt Graf. Bereits in den ersten Tagen sei deutlich geworden, dass Sachspenden nicht optimal sind. Die schiere Menge an Hilfsgütern stellte die Freiwilligen eher vor Probleme, zumal viele Spenderinnen und Spender ähnliche Sachen abgaben. Bald bestand für sie kein Bedarf mehr, aber sie beanspruchten weiter Lagerraum und Arbeitskraft.
Geldspenden, am besten in einem regelmäßigen Rhythmus, bieten Hilfsorganisationen langfristig mehr Flexibilität. So können sie sich neuen Umständen kurzfristig anpassen und lebenswichtige Dinge finanzieren. Die Corona-Nachbarschaftshilfe betreut beispielsweise mehrere Krebskranke aus der Ukraine. "Jeder, der selbst oder in seinem Umfeld schon mal mit Krebs zu tun hatte, weiß, dass das Geld von der Kasse da nicht reicht", sagt Monika Graf.
Auch die Arbeitsweise der Helferinnen und Helfer hat sich verändert. Alle 26 Zimmer des Hotels Hasenheide seien zwar weiter belegt, sagt Graf. Aber es kämen deutlich weniger Menschen an als früher. Die Corona-Nachbarschaftshilfe ist daher mehr mit der Betreuung der Menschen beschäftigt, die schon hier sind. Inzwischen kümmert sich das Team um 300 Menschen, die im Hotel Halt gemacht haben. Vor allem der Papierkram nimmt viel Zeit in Anspruch. Die Behörden seien anfangs völlig überlastet gewesen, sagt Graf. Deshalb hätten sich bei der Erstaufnahme viele Fehler eingeschlichen. Die Suche nach festen Wohnungen sei eine große Herausforderung, obwohl man vor allem Objekte suche, die sonst als unvermietbar gelten. "Ich habe gerade 108, nein, 112 Mietverträge auf dem Tisch liegen."
Die Hilfe muss sich neuen Umständen durch den Krieg anpassen
Auch das Ende der Kleiderkammer von Brucker helfen der Ukraine hat mit neuen Gegebenheiten zu tun. "Dadurch, dass die Situation sich in der Westukraine halbwegs stabilisiert hat, fliehen mehr Leute innerhalb des Landes", erklärt Hickethier. Außerdem habe er den Eindruck, mehr Geflüchtete kehrten aus Deutschland in einigermaßen sichere Teile ihres Heimatlandes zurück, um ihre Männer, Väter und Söhne wiederzusehen. Wer dagegen länger in Deutschland bleiben will, könne inzwischen reguläre soziale Unterstützung in Anspruch nehmen, durch die bisherigen Kleiderkammern zum Beispiel oder die Tafeln. Seit Juni dürfen ukrainische Geflüchtete Hartz IV beantragen und andere Angebote der Jobcenter wahrnehmen.
Hickethier und seine Mitstreiter wollen künftig gezielter helfen. "Am Anfang haben wir versucht, einfach alles in die Ukraine zu fahren." Doch inzwischen sei staatliche Unterstützung in der Ukraine angekommen, größere NGOs wie die Caritas hätten ein funktionierendes Netzwerk aufgebaut. "Wir fahren zum Beispiel keine Medizin mehr", sagt Hickethier. "Das können die einfach besser." Stattdessen will die Initiative sich darauf konzentrieren, kleinere Orte in der Ukraine zu versorgen, die die Hilfe nur schwer erreicht. Außerdem will sie weiter Geld sammeln, zum Beispiel durch Verkaufsstände auf Stadtfesten und Flohmärkten. Dafür hat sich die Gruppe professionalisiert. Alle Beteiligten arbeiten weiterhin ehrenamtlich, aber strukturierter. Bald soll aus Brucker helfen der Ukraine ein eingetragener Verein werden, der entsprechende Antrag liegt derzeit zur Prüfung beim Finanzamt.
Die Umstände mögen sich geändert haben, aber Hilfe für die Ukraine ist auch ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn dringend nötig. Darin sind sich alle einig, die daran beteiligt sind. Moritz Hickethier hat die alte Kleiderkammer im Modehaus Kohl wieder abgesperrt, vielleicht zum letzten Mal. Aber für ihn ist das nur der Anfang eines neuen Kapitels. "Es herrscht nach wie vor Krieg."