Turner-Legende:Die Leichtigkeit des Beins

Turner-Legende: Irmi Gmeinwieser mit der Jahn-Plakette des Deutschen Turner-Bunds, mit der sie 1988 ausgezeichnet wurde.

Irmi Gmeinwieser mit der Jahn-Plakette des Deutschen Turner-Bunds, mit der sie 1988 ausgezeichnet wurde.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Irmi Gmeinwieser ist Turnerin und Trainerin aus Leidenschaft. Die Übungsleiterin des TSV Unterpfaffenhofen-Germering feiert ihren 90. Geburtstag

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Bewunderer hat Irmi Gmeinwieser sehr viele - besonders im TSV Unterpfaffenhofen-Germering. Dort hat sie jahrzehntelang die Turnabteilung geprägt. Als Übungsleiterin war und ist sie unerbittlich. "Das Bein muss noch höher", war Irmi Gmeinwiesers Standardappell als "Vorturnerin" an die 40 Frauen und Männer bei der Funktionsgymnastik im TSV-Sportzentrum. Dann folgte noch die Ansage: "Tief, hoch und das Ganze schneller." Diese Gymnastikstunde musste Gmeinwieser nach einer Hüftoperation vor einem halben Jahr aufgegeben. Doch ganz weg ist sie noch längst nicht. Gmeinwieser feiert an diesem Freitag, 4. Januar, ihren 90. Geburtstag und betreibt mit einer Seniorengruppe noch immer die sogenannte Hocker- und Stuhlgymnastik. Auch hier fordert sie die Teilnehmer. "Anderes Bein hoch" befiehlt sie freundlich lächelnd. "Und das Bein oben halten."

62 Übungsleiterjahre kommen für Irmi Gmeinwieser inzwischen beim TSV zusammen. Die Germeringerin war immer Turnerin im umfassenden Sinne gewesen. Körperbewegungen hatten bei ihr immer etwas mit Leistung zu tun. "Sonst kann man es auch lassen", hat sie mal gesagt. Anspruchslos ist sie auch mit 90 nicht. "Die meisten Teilnehmer sind jünger als ich, da kann ich was verlangen", sagt sie. Sie macht alle Übungen bis zur letzten Wiederholung mit. Gmeinwieser hat immer Wert darauf gelegt, mit eigener Praxis an vorderster Front zu stehen. Als Turnabteilungsleiterin zog sie 28 Jahre lang auch konzeptionelle Fäden beim TSV. Der 5600-Mitglieder-Verein hat etwa 3000 Turnerinnen und Turner in seinen Reihen. "Irmi", wie sie von allen im Verein freundschaftlich genannt wird, koordinierte eine Hundertschaft von Übungsleitern, Trainern und Helfern. Sie entschied darüber, was ins Vereinsprogramm kam und welche Übungsleiter wo eingesetzt werden. Bei ihr durfte niemand unterrichten, der nicht als Übungsleiter oder Trainer ausgebildet war und die notwendigen Fortbildungen besucht hatte.

In einer Münchner Turnerfamilie aufgewachsen, begann Gmeinwieser als Vierjährige beim MTSV Schwabing mit dem Turnen. 1956 kam sie nach Germering. Als Turnchefin begutachtete sie Neues genauso skeptisch wie aufgeschlossen. Als 1982 die Aerobic-Welle von den USA nach Deutschland überschwappte, war sie sofort dabei, die entsprechende Zusatzausbildung zu absolvieren. Aerobic wurde zum Renner. "Plötzlich hatte ich 23 Übungsstunden pro Woche", erinnert sie sich.

Sieben Jahre war sie neben ihren Aufgaben im Turngau Amper-Würm auch Referentin für Freizeit- und Breitensport im Präsidium des Bayerischen Turnverbandes (BTV) tätig. Dort ist sie heute Ehrenmitglied. 1988 erhielt sie als Anerkennung für ihre Verdienste um die deutsche Turnbewegung die "Jahn-Plakette", die höchste Auszeichnung des Deutschen Turner-Bunds (DTB). 1970 ließ Gmeinwieser im Landkreis aufhorchen, als sie einen für viele Turnvereine nahezu revolutionären Schritt vollzog: Sie löste im Erwachsenenbereich die Geschlechtertrennung wieder auf. Die "Er- und Sie-Gymnastik" wurde zum Renner im Verein.

Ihren 90. Geburtstag nimmt Irmi Gmeinwieser wohlwollend zur Kenntnis - viel mehr auch nicht. "Mir geht es gut", sagt sie, und das klingt sehr zufrieden. "Von der Hüftoperation merke ich nichts mehr." Trotzdem bleibt ihre Feststellung, als sie 80 wurde, gültig: "Altern ist was Blödes." Ihr Ehemann Hans starb schon 1991. Sie hat drei Kinder und ist längst Ur-Oma geworden. Das Amt der Turnabteilungsleiterin hat Gmeinwieser im Mai 2018 abgegeben. Ihr Nachfolger Willi Embacher spielt das dem Volleyball verwandte Indiaca in der Turnabteilung. Ein gestandener Turner ist er nicht. "Ab und zu fragt er mich um Rat", sagt Gmeinwieser. Den gibt sie gerne. Ihre Gymnastik-Seniorinnengruppe, die sie seit vielen Jahren leitet, liegt ihr am sehr Herzen.

2017 bekam Irmi Gmeinwieser den Ehrenamtspreis des Bayerischen Landes-Sportverbandes (BLSV) - den "kleinen Oskar", wie der BLSV ihn nennt. Da wurde vom Verband ein Film gedreht, der die Frauengruppe in blauen T-Shirts mit Vorturnerin Irmi zeigt, wie sie auf der Seite liegt und das rechte Bein elegant auf und ab hebt. Scheinbar anstrengungslos hält sie das Bein einige Sekunden oben. So wird es auch noch bei der Hockergymnastik einige Jahre weitergehen: Die Teilnehmer strengen sich an, Irmi eher nicht.

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