Türkenfeld:Integration und kultureller Austausch

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Beim Integrationsprojekt an der Mittelschule Türkenfeld steht nicht nur das Lernen im Vordergrund. Auch neue Freundschaften sind bereits entstanden. (Foto: privat)

Türkenfelder Schüler übernehmen die Patenschaft für Flüchtlingskinder in ihrer Klasse. Dabei lernen nicht nur die Migranten

Von Julia Kiemer, Türkenfeld

Lamin und Luka sitzen nebeneinander. Ganz vorne, gleich hinter dem Pult. Es ist heiß im Klassenzimmer, die letzte Stunde hat gerade begonnen. Trotzdem ist noch einmal Konzentration gefragt. In Gruppen sollen die Schüler eine Geschichte über den gestrigen Ausflug zur Zugspitze schreiben. Alle beginnen zu tuscheln und überlegen, was man schreiben könnte. Auch die Dreiergruppe von Lamin, Luka und Alexander. Erst blödeln sie ein bisschen herum und lachen, dann aber hat Luka die Idee für den ersten Satz. Er schlägt ihn vor, seine Partner nicken und dann wird losgeschrieben. Luka diktiert Lamin die Sätze und spricht dabei langsam und deutlich. Sein Sitznachbar ist erst seit einem halben Jahr in Deutschland. Lamin ist ein Flüchtlingskind, er ist ohne seine Eltern aus dem westafrikanischen Gambia nach Deutschland gekommen. Er ist nicht das einzige Flüchtlingskind, das derzeit die achte Klasse der Mittelschule Türkenfeld besucht. Im Rahmen eines Integrationsprojekts gehören zur Klassengemeinschaft neben den 18 eigentlichen Schülern auch zehn junge Asylbewerber, die unter anderem aus dem Kosovo, Afghanistan und Serbien stammen.

Letztes Jahr seien die ersten Schüler in die Klasse gekommen, erzählt Klassenlehrerin Katja Bienert. Im Laufe des vergangenen Jahres habe die Zahl dann zugenommen. Jeder minderjährige Asylbewerber ist unabhängig vom Status - ob anerkannt oder noch im Bewerbungsverfahren - schulpflichtig. So kam die Idee zum Projekt. "Als ich den Schülern davon erzählt habe, waren die sehr interessiert", so Bienert. Außerdem könnten durch den Kontakt und das Miteinander mögliche Ängste oder Vorurteile abgebaut werden und so eine wesentlicher Schritt zur Integration getan werden. Und am Schuljahresende sei auch nicht mehr allzu viel los, da habe man eher Zeit für ein solches Projekt. So konnten nun die zehn jugendlichen Flüchtlinge aufgenommen werden. Ohne das Projekt wäre die Aufnahme von so vielen neuen Schülern nicht möglich gewesen, erklärt die Klassenlehrerin.

Je zwei "deutsche" Schüler haben die Patenschaft für einen Migranten übernommen. Luka und Alexander beispielsweise sind die Paten von Lamin. Wobei "deutsche Schüler" auch nicht ganz zutreffend sei, merkt die 43-jährige an. "Wir haben einige Schüler, die zum Beispiel aus Polen, Serbien, Kroatien oder sogar Thailand kommen." Im Unterricht werden nun neben der Wiederholung des Lernstoffs auch ganz alltägliche und grundlegende Dinge, wie das Eröffnen eines E-Mail-Kontos oder das Erstellen eines Telefonleitfadens unterrichtet. Meist passiert das in den Dreiergruppen. "Lernen durch lehren", so lautet das Motto.

Beim Geschichtenschreiben zeigen sich die Schüler trotz der Hitze engagiert, motiviert und geduldig. Manche der Migranten können schon gut Deutsch sprechen, andere weniger. Das macht aber nichts, die Schüler haben längst festgestellt, dass es nicht immer Worte bedarf. Zur Not nimmt man eben die Hände zur Hilfe. "Manchmal versuche ich es auch in einem Mix aus Englisch und Deutsch zu erklären. Aber der Lamin ist eh schon voll gut und versteht viel", erzählt Luka. Die beiden haben sich angefreundet, spielen in der Pause Fußball und albern herum. Wenn es mit der Verständigung einmal doch nicht so gut klappt, versucht auch die Lehrerin viel zu gestikulieren und ihre Aufträge zu verbildlichen. Als sie die Schüler auffordert, zuzuhören, zeigt sie auf ihr Ohr.

Die Klasse ist insgesamt von dem Projekt begeistert. Etwa Julia und Farida, eine Serbin, verstehen sich gut und haben schon viel voneinander gelernt. Eine Schülerin erzählt, dass es beeindruckend sei, wie viele Sprachen die Migranten sprechen können. "Und sie können sich auch wahnsinnig viel merken", sagt sie. "Ich habe viel über die anderen Kulturen gelernt, das finde ich sehr spannend", findet ein Mitschüler. Auch die Klassenlehrerin ist zufrieden. "Die zehn Migranten haben sich toll eingelebt und integriert. Auch die Klasse hat sie sehr nett aufgenommen." Durch den ständigen Austausch konnten die Schüler die Geschichten, aber auch die Kultur der Migranten erfahren. So konnten die Achtklässler neue Perspektiven kennenlernen und den Flüchtlingskindern das Gefühl geben, akzeptiert und angenommen zu werden. "Es ist für mich jede Menge zusätzliche Arbeit, weil man auch überlegen muss, wie man den jungen Asylbewerbern die Lerninhalte vermitteln kann." Aber es lohne sich. Vor allem, wenn man den Erfolg in der Klasse sehe. Die Flüchtlinge sind den Achtklässlern jedenfalls dankbar. Farida erzählt auf Deutsch, ihr gefalle es sehr gut, sie verstehe schon viel und habe auch neue Freunde gefunden. Ein kleines Projekt, das schon einiges bewegt und erreicht hat.

© SZ vom 29.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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