Handarbeit:Die Welt bestricken

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Umstricktes Geländer: Agnes-Maria Forsthofer sitzt neben dem Wollfrosch am Türkenfelder Weiher. (Foto: Günther Reger)

Die Türkenfelderin Agnes-Maria Forsthofer will Farbe ins Leben bringen und Menschen in Kontakt. Darum umstrickt sie allerlei, vom Geländer bis zum Baum.

Von Andreas Ostermeier, Türkenfeld

Eine Vision hat Agnes-Maria Forsthofer nach Türkenfeld geführt. Als sie im Herbst 2020 durch die Bahnhofstraße ging, habe sie vor dem inneren Auge einen eingeschneiten Ort gesehen und Bäume, die mit bunter Wolle umstrickt waren, erzählt sie. Die Stämme der Bäume zwischen Bahnhofstraße und Weiher zeigen zwar noch unbedeckt ihre Rinde, doch ein wenig von der Vision ist schon zu sehen. Das Geländer entlang des Weihers ist mit bunter Wolle umstrickt und auf den Pfosten sitzen Tierköpfe.

Forsthofer ist Münchnerin. Türkenfeld kannte sie nur, weil ihre Eltern Anfang der Achtzigerjahre dorthin gezogen waren. Als die Mutter im Jahr 2020 starb, musste sich Forsthofer entscheiden: entweder das Haus verkaufen oder selbst einziehen. Die Vision und der Kater der Mutter, der noch im Haus lebte, waren wichtige Argumente für den Umzug.

Zur Freude der Kinder

Zudem wurde der alte Türkenfelder Blumenladen gegenüber dem Friedhof frei. Das traf sich, denn die Strickerin Forsthofer suchte nach einem Raum, in dem sie Wolle und Stoff des von ihr geleiteten Vereins "Kulturverstrickungen" lagern konnten. In dem Vereinsnamen steckt das Anliegen der Türkenfelderin: Menschen zusammenbringen durch gemeinsames Stricken. Mit dem Stricken sollen auch Projekte verbunden sein, die die Welt bunter und freundlicher machen - ganz so wie es die Stricktiere am Weihergeländer tun. Die hätten vielen Menschen auch während der Corona-Zeit ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, sagt Forsthofer. Ganz besonders freuen sich die Kinder, hat sie bemerkt. Wenn sie sich am Weiher aufhält, werde sie immer wieder von Buben und Mädchen angesprochen, die sich noch weitere Tiere wünschten.

Blick ins Geschäft: Agnes-Maria Forsthofer und eine Schaufensterpuppe stehen vor der Wand, die mit Seiten aus Frauenzeitschriften tapeziert ist. (Foto: Günther Reger)

Die Welt freundlicher machen, das wollte Forsthofer schon, als sie noch einen Stand auf der Auer Dult hatte und Produkte für Linkshänder verkaufte. Auch wenn Kindern das Schreiben mit der linken Hand nicht mehr abtrainiert werde, wie es früher der Fall war, brauchten Linkshänder weiterhin Unterstützung, ist sie überzeugt. Zu dieser Unterstützung gehört es, ihnen den Rücken zu stärken, wenn sie bemerken, dass die meisten anderen Kinder vor allem die rechte Hand benützen, und dazu gehören eben auch bestimmte Produkte, die ihnen das Leben erleichtern.

Ursache des Stotterns

Manche Dultbesucher hätten ihren Stand belächelt, sagt Forsthofer, oder behauptet, dass es leicht sei, sich die Rechtshändigkeit anzutrainieren. Erstaunen habe sie dann bei den Leuten hervorgerufen, wenn sie zu ihnen gesagt habe, dass ihr solchermaßen trainiertes Kind bestimmt stottere. Woher sie das wisse, fragten die Leute dann. Forsthofer wusste es, weil sie sich mit den Problemen von Linkshändern befasst hatte - ganz im Unterschied zu den meisten anderen Menschen.

Als 2015 viele Flüchtlinge nach München kamen, reagierten Forsthofer und die Mitglieder des Vereins Kulturverstrickungen, indem sie Näh- und Strickkurse für die Frauen anboten. Handarbeit ist für Forsthofer multikulturell, denn überall auf der Welt wird Kleidung von Hand hergestellt. Gemeinsam Strickkurse sollten helfen, Barrieren zu überwinden, die Frauen zusammenzubringen und ihnen gleichsam den Faden für ein neues Leben in die Hand zu geben. Forsthofer bot diese Kurse an, bis der Verein im Jahr 2020 die Bayernkaserne in München verlassen musste.

Jetzt will sie Fäden zwischen den Türkenfeldern ziehen. Im Mai soll ein Dorffest stattfinden. Möglichst viele Gartentüren sollen offenstehen, in den Gärten sollen Kunst und Kreativität wohnen und zu sehen sein. Forsthofer wünscht sich, dass viele Dorfbewohner mitmachen (unter E-Mail agnes@kulturverstrickungen.de kann man sich bei ihr melden). Fürs Frühjahr hat sie sich noch eine zweite Aktion überlegt. Dann sollen Bienen die Bäume an der Bahnhofstraße bevölkern. Die gestrickten Tiere liegen bereits im Laden parat.

Die gestrickten Bienen sind fertig zum Ausschwärmen. (Foto: Günther Reger)

München aber will sie nicht ganz aufgeben. Im Sommer erinnert die Stadt mit verschiedenen Aktionen daran, dass sie vor 50 Jahren Austragungsort der Olympischen Spiele gewesen ist. Die Kulturverstrickungen wollen dabei sein. Besucher der Spiele aus der ganzen Welt sollen zwei Fotos schicken, eines von damals und eines von heute. Auch auf diese Weise könne man Menschen zusammen- und in Beziehung bringen, sagt die Türkenfelderin.

Nähkurse im Laden

Bleibt noch die Umsetzung ihrer Vision. Bürgermeister Emanuel Staffler hat sie schon angesprochen - und der sei nicht abgeneigt, sagt Forsthofer. Doch sie wird sich noch gedulden müssen, denn erst einmal steht die Sanierung des Teils der Bahnhofstraße an, an dem die Bäume stehen. Einstweilen möchte sie ihren Laden bekannter machen, dort Näh- und Strickkurse geben. Bislang war das wegen der Corona-Beschränkungen nicht möglich.

"Ich wünsche mir, dass es richtig schneit", sagt Forsthofer am Weiher. Dann kämen das bunte Geländer und die Tierköpfe gut zur Geltung. Und freilich soll es ganz viel Schnee geben, wenn die laubfreien Bäume in farbenfrohen Strickgewändern dastehen, wie Forsthofer es in ihrer Vision gesehen hat.

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