Süddeutsche Zeitung

Trotz vieler Covid-19-Fälle:Heimleitung lehnt Abschottung ab

Die Hälfte der Bewohner der Gröbenzeller Senioreneinrichtung der Caritas und ein Viertel der Beschäftigten haben sich mit dem Coronavirus angesteckt. Besuche der Angehörigen sollen aber weiter möglich sein

Von Erich C. Setzwein, Gröbenzell

Seit Frühjahr dieses besonderen Jahres hat der Begriff der "vulnerablen Gruppe" durch Virologen wie den Berliner Professor Christian Drosten Eingang in den allgemeinen Sprachschatz gefunden. Dabei geht es um Menschen, die zum Beispiel wegen ihres Alters und ihrer Gebrechlichkeit verletzlicher sind als Menschen anderer Generationen - und damit anfälliger für das Coronavirus. Diese Gruppe gelte es besonders zu schützen, war seitdem die oft wiederholte Forderung von Medizinern und Politikern. Doch wie das Infektionsgeschehen im Caritas-Altenheim Sankt Anton in Gröbenzell zeigt, konnten Hygienekonzepte und Schnelltests die Ausbreitung des Virus auf Bewohner und Mitarbeiter nicht verhindern. Sechs Senioren sind inzwischen gestorben, von den mehr als 100 Bewohnern ist gut die Hälfte infiziert. 25 der 100 Caritas-Mitarbeiter sind in Quarantäne (Stand: Montagnachmittag). Am Mittwoch steht ein weiterer Reihentest an.

"Der Tod der Bewohner ist ein Thema, das bei den Angehörigen wie den Mitarbeitern am längsten nachwirken wird", ist sich Doris Schneider, Geschäftsführerin Altenheime im Diözesan-Caritasverband, sicher. Dabei ist das Ableben stets ein Thema im Alltag eines Seniorenheims, und die Caritas ist stolz darauf, dass sie eine "christliche Hospiz- und Palliativkultur" pflegt. Dafür gibt es Handreichungen, die öffentlich zugänglich sind. Zwei Bewohner von Sankt Anton sind in einem Krankenhaus mit dem Coronavirus gestorben, vier im Altenheim selbst. Diese Menschen in ihren letzten Lebensstunden zu begleiten, sei schon allein wegen der Hygienemaßnahmen schwer, sagt Doris Schneider.

Wie also sind die anderen Heimbewohner zu schützen? 49 von ihnen haben sich infiziert, bei sieben hat der Schnelltest ein positives Ergebnis ergeben, 25 sind laut Schneider inzwischen genesen. Wie es dazu kommen konnte, dass sich das Virus rasch im Altenheim verbreitet hat, ist nicht mehr nachzuvollziehen. So kann auch Christine Anthofer nur rätseln, wie das Virus ins Altenheim kommen konnte. Sie ist seit sieben Jahren die Sprecherin des Heimbeirats. Die 65-Jährige aus Gröbenzell ist zu diesem Ehrenamt gekommen, als ihre Mutter in Sankt Anton wohnte. Nach dem Tod der Mutter vor vier Jahren hat Anthofer einfach weitergemacht. Sie ist deshalb so erstaunt, weil sie sich wegen der hygienischen Bedingungen nicht vorstellen konnte, dass etwas passieren würde. "Die Bewohner wurden über die Maßnahmen informiert, und die Hygienevorschriften wurden eingehalten", berichtet die Heimbeiratsvorsitzende.

Zu ihren Aufgaben gehört es, sich einmal im Monat mit den im Beirat vertretenen Bewohnern, der Leiterin und dem Pflegedienst zusammenzusetzen und die anfallenden Themen abzuarbeiten. Seit dem Corona-Ausbruch hatte sie nur noch telefonischen Kontakt ins Altenheim. Die Bewohner seien gebeten worden, auf ihren Zimmern zu bleiben. "In der letzten Woche gab es keine Besuche mehr", sagt Anthofer. Neu sei ein Besuchskonzept, nach dem die Besucher nicht mehr ihre Angehörigen in den Zimmern besuchen dürften, sondern nur noch im großen Saal. Dort könnten die Abstände eingehalten werden.

Eine völlige Abschottung möchte Doris Schneider nicht. Denn es gehöre zum offenen Konzept der Einrichtung, dass die täglichen Besuchszeiten von sechs bis sieben Stunden möglich sein sollten. Doch wie erfolgt der Schutz, wie werden die Besucher getestet? "Das hört sich so lässig an, der Schnelltest", sagt die Geschäftsführerin. Es gebe zwar in jedem Caritas-Altenheim die Schnelltests für Besucher, aber dafür müsse jeweils eine Fachkraft im Vollschutz abgestellt werden, die die Proben nimmt und auswertet. Nach einer Viertelstunde stehe das Ergebnis fest, und der Besucher werde eingelassen. "Da wird eine massive Aufgabe auf uns abgewälzt", sagt Schneider.

Nun ist es aber nicht so, dass die Besucherzahlen jeden Tag unüberschaubar wären. Schon allein die Allgemeinverfügungen des Landratsamtes begrenzen die Besucherzahl. So dürfen zum Beispiel laut der Verfügung vom 14. November Heimbewohner nur einen Besucher pro Tag empfangen. Diese Regelung gilt noch bis Ende des Monats, und für alle Altenheime. Diese Auskunft gibt das Landratsamt, und Sprecherin Ines Roellecke erklärt auch, wie mit den Hygienekonzepten der Heime in der Kreisbehörde umgegangen wird. Die Träger der Altenheime - wie auch andere Einrichtungen und Firmen - können Muster-Hygienekonzepte und Checklisten beim bayerischen Gesundheitsministerium beziehen. Roellecke: "Die von den Heimen eingereichten Konzepte werden zur Kenntnis genommen, im Einzelnen überprüft werden sie nicht."

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SZ vom 25.11.2020
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