Süddeutsche Zeitung

Trauer:Leere Gräber zur Erinnerung

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Auf manchen Grabsteinen finden sich die Namen von gefallenen Soldaten, die fern der Heimat beerdigt worden sind. Ihre Angehörigen wollen einen Ort in der Nähe für ihre Trauer und die Erinnerung an einen geliebten Menschen schaffen

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Gerade mal 18 Jahre alt war Alois Grichter, als er am 20. Oktober 1944 als Wehrmachtssoldat bei den Kämpfen gegen die Rote Armee in Ungarn fiel. Begraben wurde er dort auf einem vermutlich provisorischen Soldatenfriedhof, die Gräber wurden mit Kreuzen aus Birkenholz und kleinen Tafeln gekennzeichnet. Sein Verlust wog in der Familie besonders schwer, erzählt sein Großneffe Stefan Pfannes. Die Eltern hatten zwölf Kinder, von denen nur fünf das Erwachsenenalter erreichten. Alois war der Jüngste gewesen, das Nesthäkchen.

Nachdem die Todesmeldung die Familie erreicht hatte, fand in Alling im November oder Dezember 1944 ein Trauergottesdienst in der schon für die Weihnachtszeit festlich geschmückten Kirche statt. Vor dem Katafalk mit dem leeren Sarg wurden ein Stahlhelm und ein Foto des Jungen gestellt. Der Name von Alois Grichter wurde auf dem Gedenkstein des Familiengrabes hinzugefügt, obwohl man dessen sterbliche Überreste dort nicht begraben konnte.

Für trauernde Menschen ist es wichtig, einen Ort zu haben, an dem sie ihrer toten Verwandten oder Freunde gedenken können. Dazu gehören Gedenksteine oder Kreuze, die an schreckliche Unfälle und deren Opfer erinnern, oder auch Pestsäulen aus dem Mittelalter. In vielen Ländern gibt es Soldatenfriedhöfe, aber manche Angehörigen wollten einen nahen Platz. In der Nachkriegszeit gab es deshalb viele Exhumierungen, um sterbliche Überreste nach Hause zu bringen oder wenigstens auf Soldatenfriedhöfen beizusetzen, sagt Gerd Krause, der Geschäftsführer des bayerischen Verbandes der Kriegsgräberfürsorge. In Germering wurden die Leichen der amerikanischen Piloten ausgegraben, deren Maschine dort abgestürzt war, erzählt Marcus Guckenbiehl, der Stadtarchivar. Dagegen waren Grabstätten deutscher Soldaten in Osteuropa bis zum Ende des Kalten Krieges oft schwer zugänglich.

Aufgrund dieser Lage, vermutlich aber vor allem aus dem Motiv, einen nahen und im Unterschied zu den Kriegerdenkmälern persönlichen Ort der Erinnerung zu haben, erklärt sich das Phänomen der leeren Soldatengräber, bei denen es sich - zumindest im Landkreis - stets um Familiengräber handelt. Das leere Grab hat in der christlichen Überlieferung dazu eine besondere Bedeutung. Die Frauen, die den Leichnam von Jesus salben wollten, erschraken darüber sehr. Das Entsetzen wandelte sich jedoch zur Hoffnung auf die Auferstehung und das ewige Leben.

In der Familie von Pfannes, deren beide Zweige aus Alling stammen, gibt es insgesamt drei solcher Gräber. An der letzten Ruhestätte der Familie Pfannes ist auf dem Grabstein zweimal der Name Georg vermerkt. Pfannes vermutet, dass es sich um Vater und Sohn handeln könnte, ist sich aber nicht sicher, weil er keine Unterlagen hat und über diese beiden Toten in der Familie kaum gesprochen wurde. Der Jüngere, Jahrgang 1925, fiel im April 1945 bei Hornow in Brandenburg, der Ältere wurde einen Monat zuvor als vermisst gemeldet. Die Namen von allen drei gefallenen Verwandten von Pfannes sind auch auf dem örtlichen Kriegerdenkmal aufgeführt

Dass auch Vermisste auf privaten Gedenksteinen genannt werden, ist durchaus nicht selten. In Rottbach gibt es vier leere Gräber und auf einem Grabstein ist tatsächlich das Wort "vermisst" angegeben, erzählt Pfannes, der Ortsarchivar der Gemeinde Maisach ist und vorher in den Archiven von Eichenau, Gröbenzell und Puchheim gearbeitet hat. Im Regelfall können Fremde aber nicht feststellen, ob es sich um ein leeres Grab handelt oder nicht, um einen Gefallenen oder Vermissten. Außer den Namen finden sich jeweils Geburts- und Todesjahr sowie ein stilisiertes eisernes Kreuz, das die Männer als Soldaten kennzeichnet. Theoretisch ist es möglich, dass die Angaben auf Männer verweisen, die in der Nähe in einem Lazarett starben oder in den letzten Kriegstagen in der Gegend und tatsächlich auf dem Friedhof des Heimatortes begraben wurden.

Wie viele solcher leeren Gräber es gibt, ist unbekannt, die Friedhofsverwaltungen führen darüber keine Statistik. "Es ist inzwischen jedenfalls sehr selten", sagt Roswitha Stoll im Germeringer Rathaus. Extra anmelden müsse man solche "Gedenknamen" nicht. Das Andenken an die gefallenen Soldaten wird im Regelfall von denen bewahrt, die sie noch kannten, den Eltern, Geschwistern und Kindern. Mit diesen Generationen verschwinden oft auch die Gedenknamen von den Friedhöfen.

In der Familie Pfannes ist es anders. Die ältere Schwester von Alois Grichter, die Großmutter von Stefan Pfannes, hat die Erinnerung an ihren gefallenen Bruder stets wachgehalten. Sie ließ immer wieder eine Messe lesen und in ihrem Wohnzimmer hatte sie sein Foto aufgehängt, erzählt er. In jeder folgenden Generation taufte man einen Sohn Alois, um die Erinnerung wach zu halten, darunter auch seinen Vater, sagt Pfannes. Als der alte Grabstein der Familie vor etlichen Jahren ausgetauscht wurde, hat der Steinmetz den Gedenknamen in das neue Werk eingraviert.

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SZ vom 12.11.2016
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