Süddeutsche Zeitung

Tradition in Gröbenzell:Himmlische Wahlkämpfer

Bürgermeister Martin Schäfer bekommt Besuch von Nikolaus und Krampus

Von Ariane Lindenbach, Gröbenzell

Normalerweise sind es ja die Kinder, die sich auf den Besuch des heiligen Nikolaus freuen - und ihn zugleich ein wenig fürchten, weil er doch immer den furchterregenden Krampus mit seinen klirrenden Ketten dabei hat. Aber "normal" ist ohnehin ein sehr weit interpretierbarer Begriff, der wenige Monate vor der Kommunalwahl vielleicht sogar noch etwas weiter interpretiert werden darf. Jedenfalls hatte jener Nikolaus, der am späteren Freitagvormittag mit seiner etwas ungewöhnlichen, aber nicht minder sehenswerten Entourage auf dem Gröbenzeller Wochenmarkt erschien, ein ganz bestimmtes Ziel: Bürgermeister Martin Schäfer.

Es ist elf Uhr am Freitag, geschäftiges Treiben auf dem Markt in der Rathausstraße. An der Kreuzung zur Kirchenstraße haben sich mehrere Wahlkämpfer postiert. Neben einem Stand der Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWG), jener Vereinigung, zu der auch Schäfer gehört, hat sich die SPD mit ihrem Bürgermeisterkandidaten Gregor von Uckermann platziert. Auf der anderen Straßenseite begrüßen die Wahlkämpfer der Christsozialen mit ihrem Spitzenkandidaten Anton Kammerl die Einkaufenden. Etwas weiter entfernt steht Martin Runge von den Grünen. Deren Stand samt Kandidat Ingo Priebsch, gekleidet in sattes Grün, ist samt Stand und Vorsitzendem Walter Voit auf Höhe des Platzes weiter hinten in der Straße.

Das ist die Situation, als der hohe Gast aus himmlischen Sphären mit irdischem Geknatter eintrifft. Schon das ist eine Schau: Zwei Oldtimer-Motorräder aus den Fünfzigerjahren, eines lenkt ein dunkelgesichtiger Krampus im schwarz-braunen Zottelmantel. Das zweite steuert ein in Leder gewandeter Mann, dem man durchaus abnimmt, aus einer anderen Welt zu kommen. Zumal mit diesem Sozius: Nikolaus' roter Mantel weht kurz im Fahrtwind, bevor das Gefährt zum Stehen kommt.

Dann ist der Nikolaus mit seinem Rauschebart auch schon beim Rathauschef. Das goldene Buch hat er unterm Arm, den Krampus an seiner Seite. Nun gilt es, eine Bilanz nach sechs Jahren als oberster Mann der Gemeinde zu ziehen. Der Nikolaus - der normalerweise eher die Kindergärten besucht, wie er später verrät - blättert in seinem goldenen Buch. "Ohuwowo, in meinem goldenen Buch, da les' ich, du willst ein Schloss bauen, also net du allein, mit deine Jünger", liest der Nikolaus in breitem Bairisch vor.

Martin Schäfer in seinem grünen Trachtenjanker kann ihm nicht widersprechen. Der Neubau des Rathauses ein paar Meter weiter hat schon manchen im Ort zu Kritik verleitet, zumal der Bau teurer wird als zunächst veranschlagt. Es sei nicht allein seine Entscheidung gewesen und angesichts fehlender Räumlichkeiten ohnehin notwendig. Auch wirtschaftlich sei die Aktion vertretbar, erläutert der Bürgermeister gelassen. "Die Konjunktur in Bayern ist gut", die Gemeinde zahle den Baufirmen faire Löhne. "Gut, du warst es also nicht allein", stellt der Nikolaus fest und blättert weiter im goldenen Buch.

Unterdessen tritt der Krampus ganz nah an Schäfer heran. Er packt dessen linkes Ohr und zieht dran. Viele der Zuschauer - etwa 20 - filmen die Szene mit ihren Smartphones. "Die Bahnhofstraße", unterbricht der bairische Nikolaus und zeigt in sein Buch. Da stehe, dass dort seit Ewigkeiten nichts vorangehe. Das freilich ist die - mutmaßlich wohldurchdachte - Steilvorlage für den Bürgermeister. Denn der Bebauungsplan Bahnhofstraße West, an dem der Gemeinderat in der Tat schon einige Jahrzehnte gearbeitet hat, wurde am Vorabend mit großer Mehrheit nahezu final beschlossen. "Wir haben uns halt beeilt", lächelt Schäfer verhalten.

Und so fragt der Nikolaus die wichtigsten Gröbenzeller Themen nacheinander ab: Fehlende Kinderbetreuungsplätze? "Kriegen wir auch noch gebacken." Bezahlbare Wohnungen? Schäfer verweist auf den Bebauungsplan Bahnhofstraße, schränkt jedoch ein: "Das ist auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein." Am Ende gibt ein äußerst wohlwollender Nikolaus - wenig überraschend - eine eindeutige Empfehlung ab: "Wenn ich in Gröbenzell wohnen tät', ich tät' dich wählen."

Man muss kein Hellseher sein, um dieses Ende zu erahnen. Und auch Krampus' Verhalten war nicht überraschend, aber amüsant. Als der Nikolaus Martin Schäfer wie erwartet davonkommen lässt, mault er: "Seit zwei Wochen fahr ma umanand', immer Gnade." Er hat schon seinen Leinensack aufgemacht und will jetzt, wie es die Tradition will, einen Unartigen da hineinstecken. Also dreht er sich nach rechts zum CSU-Stand. "Dann nehm ma halt an Schwarzen."

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Quelle:
SZ vom 07.12.2019
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