Theaterpremiere:Jenseits des Klischees von Laissez-faire

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Philipp Jescheck interpretiert "Zusammen ist man weniger allein" an der Neuen Bühne höchst gelungen als Geschichte zwischen Tragödie und Liebeskomödie. Und am Ende darf auch das Publikum mit dem eigenen Leben zufrieden sein

Von Valentina Finger, Fürstenfeldbruck

Wer glaubt, in Frankreich liefe das Leben langsamer, ist noch nicht in Paris gewesen. Das ausgedehnte Erzählen, das Sich-Zeit-Nehmen für jeden Augenaufschlag, das man aus der Ästhetik des französischen Kunst-Kinos kennt, hat mit der Realität wenig gemeinsam. Und trotzdem prägen die lang gezogenen Melodien einer Édith Piaf und das schwermütige Laissez-faire-Klischee des französischen Lebemannes unverändert das Bild des intellektuellen Pariser Lebensstils.

Vielleicht ist es der Zigarettenduft, dem man gerade in der ersten Reihe schon nach wenigen Spielminuten nicht mehr entkommt. Vielleicht ist es auch die melancholische und vorsichtig hoffnungsvolle Musik, die das Bühnengeschehen einleitet, bevor nur eine Zeile gesprochen wird. Möglicherweise sind es auch die unaufdringlich eingestreuten Frankreich-Akzente, mit Verweisen auf Haute Cuisine und Marie Antoinette und ja, dem Cover einer Édith-Piaf-Platte wie beiläufig zum Publikum gedreht. Wahrscheinlich ist es all das zusammen genommen, was Philipp Jeschecks Inszenierung von "Zusammen ist man weniger allein" an der Neuen Bühne von Anfang an diese sehr französische Aura verleiht.

Allerdings gehört es zum Wesen dieses Stücks, das auf dem Roman "Ensemble, c'est tout" von Anna Gavalda basiert, der 2007 mit Audrey Tautou in einer der Hauptrollen verfilmt wurde, dass es den Glanz der verklärten Pariser Gesellschaft mit einer klärenden Staubschicht überzieht. Dies geschieht liebevoll, ohne realistischen Vorschlaghammer. Doch was auf der Bühne gezeigt wird, ist ein Abbild des echten Lebens, ohne Zuckerguss und Schöngerede, aber deshalb, so stellt sich am Ende heraus, nicht weniger lebenswert.

Paulette ist alt, fühlt sich jedoch noch nicht bereit, ausrangiert zu werden. Ellen Kießling-Kretz packt Paulettes verzweifelten Drang, ihren Lebenswillen zu beweisen, in ein eindringliches Starren, wenn sie erklärt, dass sie wisse, was alten Frauen wie ihr blüht: Endstation Altenheim. Dorthin muss ihr Enkel Franck, gespielt von Alexander Wagner, sie verfrachten, auch wenn es ihm das Herz zerreißt. Zugeben kann er das nicht, denn er sieht sich gerne als abgeklärter Aufreißer, immun gegen die Liebe. Franck wohnt zusammen mit Philibert (Michael Stadler), Nachkomme einer verarmten Adelsfamilie, die zwar noch ein Schloss besitzt, was Philibert, sozial inkompetent und beruflich unterfordert, jedoch keinerlei Erfüllung im Leben bietet.

Und dann ist da noch Camille. Von Tina Schmiedels erster Vorstellung ihrer Figur an ist klar, dass in dieser der emotionale Knotenpunkt der Inszenierung zu finden ist. Camilles Leben im schönen Paris besteht aus putzen, frieren, hungern. Letzteres tut sie aus eigenem Antrieb, denn die Schwere in ihrem Inneren lässt keinen Platz mehr für etwas anderes. Die erbärmlich auf ihrer Heizung kauernde Gestalt ohne Perspektive wird zum Schützling von Philibert, der sie bei sich einquartiert. Dort trifft Camille auch mit Franck zusammen und das Geschehen in der Wohngemeinschaft nimmt seinen Lauf.

Die Dynamik der Drei untereinander ist herausragend. Das nervös-neurotische Duo Camille und Philibert tut sich gegenseitig gut. Beide hatten Vorstellungen von ihrem Leben, die nie Wirklichkeit wurden, und indem sie diese miteinander teilen, teilen sie auch die Last. Doch Franck ist davon überzeugt, dass nur er das echte, grausame Dasein lebe, während seine Mitbewohner auf ihrer Intellektuellen-Wolke schweben. Camilles darauffolgender Ausbruch über ihre und Philiberts Realität als Putzfrau und Postkartenverkäufer ist ein aufrüttelndes Auskotzen einer gequälten Seele, ein Wendepunkt für beide Figuren und eine Glanzleistung von Tina Schmiedel.

In "Zusammen ist man weniger allein" geht es um Verantwortung, darum, dass wir trotz aller Verschiedenheiten alle Menschen sind und uns auch so behandeln sollten, um das Leben leichter zu machen. Philipp Jeschecks Interpretation des Stücks schwappt mühelos zwischen tragischen Momenten und Liebeskomödie hin und her, mit vier Charakterköpfen, die trotz, oder gerade auch mit Hilfe der oft in der dritten Person gesprochenen Monologe, eine packende Nähe erzeugen. Das Theater sei immer noch die beste Therapie, zitiert Philibert irgendwann aus seinen Büchern. Am Ende dieser Darbietung ist es also kein Wunder, dass das Leben der Charaktere, aber auch das des Publikums jenseits der Bühne, ein bisschen rosiger aussieht.

Zusammen ist man weniger allein, nächste Termine: Sa., 23. April, 20 Uhr und So., 24. April, 19 Uhr, Neue Bühne Bruck, Fürstenfeld 11, Karten: 08141/18589

© SZ vom 19.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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