Es ist ein Abend wie eine unablässige Salve von Faustschlägen – in die Magengegend, gegen den Kopf und irgendwie auch voll ins Herz. Und zwar gleichzeitig. Ein Abend, der ein ähnliche Luft-abschnürendes Gefühl auslöst wie die absolute Eskalationsstufe elterlichem Missfallens: „Ich bin nicht sauer, ich bin nur enttäuscht.“ Und er ist absolute Wut. Geboren nicht aus Hass. Sondern aus Verzweiflung. Ein Theatergewitter, das ununterbrochen damit kokettiert, was es alles nicht sein will – und natürlich all das zugleich ist. Mit „Und alle tiere rufen: dieser titel rettet die welt auch nicht mehr (monkey gone to heaven) – ein requiemmanifesto of extinction“ – inszeniert das Fürstenfeldbrucker Theater 5 quasi die Bühnenversion der radikalen Klimaproteste, verfasst vom österreichischen Dramatiker Thomas Köck. Und das auf eine ziemlich geile Weise.
Das erste Glanzstück
Das erste Glanzstück ist Regisseur Christoph Leibold schon bei der Auswahl seiner Schauspielerinnen gelungen: Drei junge Frauen (Emilia Giesler, Lotta Leibold, Sanna Morgenroth) mit wenig Bühnenerfahrung und großer Leidenschaft, die deswegen so gut sind, weil sie genau diejenigen vertreten, die hier ihre große Anklage gegen die westliche Gesellschaft und den gierigen Kapitalismus rausbrüllen, das Gefühl, dass das Ende nur noch eine Frage der Zeit ist.
Sie müssen an diesem Abend keine großen Schauspielerinnen sein (sind es an vielen Stellen aber trotzdem) – sondern einfach sie selbst. Als Anker hat er ihnen die auch noch junge, aber sehr bühnenerfahrene Aline Pronnet zur Seite gestellt. Gemeinsam bringen sie genau die Power auf die Bühne, die dieses Stück, das kein Theaterstück sein will, braucht. Hier geht es nicht um Verkünstelung, Ästhetik oder das große Aufspielen. Es geht um eine Realität, die ein größeres Drama ist, als es jede Fiktion sein könnte.
„Und alle tiere rufen“ ist vor allem eine großartige Inszenierung des Futur II. Das Stück lässt all das zu Wort kommen, was womöglich nie gewesen sein wird. Spezies, die sich nie entwickelt haben werden, poetische Momente, die nie gewesen sein werden, Erkenntnisse, die nicht gezogen worden sein. Gibt aber auch den Arten eine Stimme, die noch hätten sein können, wenn nicht irgendwann der Mensch, genauer gesagt meist die Europäer, in ihren Lebensraum eingedrungen wäre und sie innerhalb von wenigen Jahren oder Jahrzehnten ausgelöscht hätten.
Rasantes Tempo
Der Abend ist so rasant wie die das Tempo, mit der der Mensch in den vergangenen Jahrhunderten im Namen des Fortschritts eine dieser Spezies nach der anderen ausgerottet hat – und greift immer wieder tief in die Theatertrickkiste, um sich des theatralen Rahmens zu entledigen. Da wird die vierte Wand so radikal durchbrochen, dass sich der Zuschauerraum plötzlich zur Spontandemo entwickelt – gegen Pronnet, die im grünen Business-Outfit gerade zu einem Klischee-Vortrag darüber ansetzt, wie sehr sich die Wirtschaft doch um die Umwelt kümmere.
Giesler, Leibold, Morgenroth verteilen derweil, in den für die Klimabewegung typischen Warnwesten, Protestschilder unter den Besucherinnen und Besuchern und heizen sie zum Reinschreien an. Das Publikum geht lautstark mit – und die Rede in Buhrufen unter. Und dann gibt es da noch eine Livevideo-Sequenz, die wortwörtlich den Atem raubt.
Vor und über allem aber ist an diesem Abend die Musik – mit passendem Bühnenbild: Klavier, eine kleine E-Orgel (Sanna Morgenroth), Schlagzeug (Emilia Giesler), Gitarre (Aline Pronnet), Saxofon (Lotta Leibold). Viel mehr gibt es nicht zu sehen – die Bühne gehört vor allem den Schauspielerinnen. Die sich immer wieder zur coolsten Girlgroup des Landkreises versammeln. Im Zentrum steht das im Stücktitel untergebrachte „Monkey Gone to Heaven“, gesungen von Leibold. Jenem 1989 erschienen Klassiker der „Pixies“, der schon damals die Umweltzerstörung thematisierte. Noch etwas weiter zurück geht es, wenn ein Video von Bettina Wegners „Umweltlied“ von 1980 an die Wand projiziert wird. Highlight ist aber definitiv ein Mitmach-Abgesang auf den Kapitalismus, mit dem es Pronnet gelingt, noch einmal das Publikum abzuholen.
Am Ende des Abends bleibt vor allem eine Erkenntnis, die das Stück selbst schon früh formuliert: Neu ist all das, was da erzählt wird, freilich nicht. Und umso berechtigter wird die zentrale Frage, die die Schauspielerinnen sich, dem Publikum, der Welt stellen: „Why did we choose extinction?“ – Warum haben wir uns für das Aussterben entschieden?
„Und alle tiere rufen“, Theater 5 an der Neuen Bühne Bruck. Weitere Termine: 25., 28. und 30. Juni jeweils um 20 Uhr, 7. Juli um 20.30 Uhr und 8. Juli, 20 Uhr. Weitere Infos und Tickets für 15 Euro, ermäßigt acht, unter: www.theater5.de.