Kultur:"Es wäre ja so schön, wenn alles nice wäre"

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Gefangen in sich selbst: Die drei Schwestern Mascha (Lena Handschke, von links), Olga (Sabine Ostermeier) und Irina (Judith Gebele). (Foto: Günther Reger)

In einer modernisierten Fassung von Tschechows "Drei Schwestern" verhandelt die Neue Bühne die Sehnsüchte und Unzufriedenheiten der Wohlstandsgesellschaft.

Von Tim Freudensprung, Fürstenfeldbruck

Am Ende heißt es: "Na, von Tschechow ist da ja nicht mehr viel übrig." Da hat das Ensemble, bestehend aus Judith Gebele, Lena Handschke und Sabine Ostermeier am fast ausverkauften Premierenabend der "Drei Schwestern" an der Neuen Bühne recht. Aber der Reihe nach.

Die drei Schwestern, von Anton Tschechow 1901 auf der Krim geschrieben und in Moskau von dem Regisseur Konstantin Sergejewitsch Stanislawski uraufgeführt, sind für die Theatergeschichte und die Spielweise ein Wendepunkt. Die psychologischen Seelenwelten einer Wohlstandsgesellschaft werden darin verhandelt. Irgendwann vor der Oktoberrevolution 1917 sind da Olga, Mascha und Irina, die drei Schwestern, die ihrer verlorenen Jugend nachweinen. Umgeben von ein paar Angestellten in einem zu großen Haus und Soldaten, die ihnen allesamt irgendwann einmal den Hof machen, betrinken sie sich dort in der russischen Provinz und sehnen sie sich nach dem schönen Leben in Moskau.

Ein mutiger Stoff also, wenn man bedenkt, dass immer noch der brutale Angriffskrieg der russischen Regierung auf die Ukraine läuft. Aber das ist die Stärke der Neuen Bühne Bruck: Sie will relevant sein, indem sie gesellschaftlichen und politischen Stoff für die Stadt aufbereitet und aufführt. Die Fassung, für die sich Regisseur Ernst Matthias Friedrich entschieden hat, geht diesen Konflikten allerdings aus dem Weg. Hier gibt es kein Militär, hier gibt es kein Moskau. Hier geht es um die Frauen. Es geht um ein Berlin und die damit verbundene Sehnsucht nach einem der Kreuzberger Cafés, dem Berghain und am Ende natürlich auch, wie soll es heute in einer Großstadt anders sein, um Tinder. Der Luxemburgische Autor Ian de Toffoli hat Tschechows Text bearbeitet und ins Heute verlegt. Ein schwieriges Unterfangen muss es dabei gewesen sein, die Texte der mehr als zehn Figuren auf drei zu reduzieren.

Die drei Frauen, die nun in der Inszenierung auf der Bühne stehen, spielen sich selbst, die Schwestern, und dann also auch die Männer, die sie auf der Bühne nicht mehr brauchen. Sie lesen hier und da aus dem Textbuch, sie spielen auf der weißen Couch, sie spielen sogar Männer in Form einer Brotscheibe; ein großer Spaß, dem zuzuschauen. Judith Gebele spielt die Jüngste, Irina, mit melancholischer Verletzlichkeit. Sie weint und fragt sich, ob sie jemals lieben wird. Lena Handschke gibt ihrer Mascha Kraft und Energie und zeichnet eine manchmal sogar fast bockige junge Frau, die zu früh geheiratet hat. Und dann wäre da noch Sabine Ostermeier, die mit Charme die Älteste, Olga, spielt. Alle drei arbeiten schwer, um die vielen Monologe in dem Raum zu setzen. Immerhin geht der Abend über zwei Stunden, mit einer kurzen Pause, und dafür verdienen die Spielerinnen zurecht die vielen Lacher des Publikums.

Der am Starnberger See geborene Regisseur Ernst Matthias Friedrich zeichnet eine Gesellschaft, die er selbst nur zu gut kennen muss. Es fehlt den Menschen in dieser Welt im Vergleich zur nicht-europäischen Provinz an wenig und trotzdem sind am Ende viele Teile der Gesellschaft unglücklich. Deutlich wird das vor allem in diesem einen Moment, in dem plötzlich ein Geflüchtetenheim brennt. Kurz wird geholfen, und dann wird sich tragischerweise wieder mit sich selbst beschäftigt. Gefangen ist diese Gesellschaft in sich selbst. Die drei Schwestern wollen, aber können einfach nicht. Tchechows Original hat kein Happy End vorgesehen. Alle Sehnsüchte bleiben unerfüllt. Genauso hier an diesem Abend an der Neuen Bühne Bruck. Olga sagt: "Wir werden erfahren, wozu wir leben, wozu wir leiden".

Der tosende Applaus verrät, dass das Publikum die Kritik versteht, die das Künstlerteam aufzeigen will. Wenn die Gesellschaft nicht wirklich für das, was sie behauptet zu sein, arbeitet und dafür vollends einsteht, wird es niemals "so nice" sein wie es sich die Schwestern, die Schauspielerinnen, die drei Frauen wünschen.

Der Fürstenfeldbrucker Schauspieler Tim Freudensprung, 28, ist seit 2020 festes Ensemblemitglied des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin. Dort spielt er zur Zeit in einer Inszenierung der Drei Schwestern. Von 2014 bis 2016 hat er an der Neuen Bühne Bruck seine ersten Schauspielerfahrungen gesammelt.

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