Süddeutsche Zeitung

Theater in Puchheim:Schillersches Substrat

Bridge Markland überrascht das Publikum in Puchheim mit ihrer Inszenierung von "Die Räuber"

Von Sonja Pawlowa, Puchheim

Als Bridge Markland glatzköpfig in der Rolle des Franz Moor in militärischem Stechschritt die Bühne des Puchheimer Kulturzentrums betritt, ist noch nicht klar, wo die Reise hingeht. Sie umrundet eine überdimensionierte Box, einen halbhohen Raum, bespannt mit beigem Stoff. Aus diesem begehbaren Schrank zieht Franz eine kleine Schachtel, in der eine Barbie-Puppe sitzt. So startet die Schiller-Show. Doch was Bridge Markland Performance nennt, ist Theater im allerursprünglichsten Sinn. Obwohl keine Schauspieler auftreten, wird der Klassiker "Die Räuber" in seinem Kern erzählt. Leicht, unterhaltsam und schnell, aber nicht entstellend. Sogar Schillers Sprache bleibt erhalten. Der Originaltext kommt verkürzt in Auszügen vom Band, gesprochen von wundervollen Schauspielerstimmen.

Auf der Bühne führt Glatzkopf Moor in Boxerstiefeln seinen Vater mit seiner Intrige nicht leibhaftig an der Nase herum. Franz stellt die Schachtel mit der Vater-Puppe mal vor sich hin, mal auf seinen Kopf. Subtext und Quintessenz werden durch Musikschnipsel verdeutlicht, indem sie Schillers Dialog unterbrechen. Die Vater-Puppe beklagt die Umtriebe seines geliebten Erstgeborenen: "O Karl! Karl! Wüsstest du, wie deine Aufführung das Vaterherz foltert". Da kommentiert ein Elvis-Song als griechischer Chor lapidar und leidenschaftslos: "Don't be cruel". Und noch bevor das Publikum schmunzelnd mitsummen kann, fährt der neidische Franz schon fort mit dem Bericht, dass sein Bruder Karl "mit sieben anderen, die er in sein Luderleben gezogen, dem Arm der Justiz entlaufen" sei. Die Bee Gees rufen "Tragedy", doch Franz Moor schiebt schließlich die alte Schachtel mit dem Vater in den Schrank. Da spart man sich viel Text und weiß Bescheid.

Perücken, Kappen, Requisiten wie Knecht Daniels Staubwedel schaffen den Wiedererkennungsfaktor von Rollen und Puppen. Eine Langhaarperücke und Mütze verwandeln Franz in den coolen Karl Moor, die Zigarette im Mundwinkel. Ihn umringt die He-Man-Puppen-Truppe der Räuber und singt: "Wir sind des Geyers schwarzer Haufen". Und Karl selbst tanzt Pogo zu "Verschwende deine Jugend" von DAF. Plötzlich erscheint Karl wie ein Aktivist der Antifa.

Doch nicht die eigentümliche Trennung von Bild auf der Bühne und Ton vom Playback, nicht nur die musikalischen Einwürfe öffnen das Tor zur Gegenwart. Auch das Groß und Klein, das Verhältnis Mensch-Puppe eröffnet eine neue Sichtweise auf den Schiller-Stoff. Als Anführer ist Karl groß, lebensgroß. Als Puppe wirkt nicht nur er klein und ohnmächtig. Auch Karls Verlobte Amalia verweigert sich als Puppe dem sadistischen, sich rote Chirurgenhandschuhe überstülpenden großen Franz. In Lebensgröße bekennt sich Amalia standhaft zu Karl, untermalt von Marianne Rosenbergs "Er gehört zu mir".

Unter den He-Man-, Barbie-, Ken- und Nussknacker-Figuren sticht der "kleine" Franz Moor heraus. Das babyartige Schmollschlummerle trägt eine papierene Maske mit dem Foto von Bridge in der Rolle Franz. Das unreife Baby mit dem Gesicht eines Mannes, der eine Frau ist - das ist genial. Schließlich liegt der Ursprung seines Hasses in seiner Geburt als unerwünschter Zweiter.

Marklands poppige Kurzversion von Friedrich Schillers "Die Räuber" macht die Tragödie einer Gesellschaft von Großen und Kleinen, die sich in der Enge ihrer Schachteln bewegen und niemals entkommen, zum Greifen nahe. Die Puppe zum Menschen zu machen, ist wie einen Schweinwerfer auf die Person zu richten. Doch bei allem Tiefgang packt der Charme des Puppe-Mensch-Spiels auch jeden, der als Kind den Kasperl mochte und ihn später albern fand. Jeden, der aus Witz Dialoge durch Hin- und Herspringen mit verteilten Rollen geübt hat, aber Hape Kerkeling nicht mochte. Als Substrat aus kindlicher Spielfreude und hochintellektueller Inszenierung bringt Markland im Publikum alle Saiten zum Schwingen.

Man könnte es als Ironie des Schicksals bezeichnen, dass "räuber in the box" die letzte Live-Show im Kulturzentrum Puc vor dem vierwöchigen Veranstaltungslockdown im November war. Ein Mensch und viele Puppen - das könnte das Theater von morgen werden.

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SZ vom 05.11.2020
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