Süddeutsche Zeitung

Theater in Olching:Geschichten vom uralten Mann

Gerhard Hellmanns Regiedebüt mit "Man from Earth" überzeugt bis zum Schluss. Er lässt dem Ensemble des Resistenztheaters jenen Raum, den es braucht, um das Publikum mit Witz und Geist zu unterhalten

Von Valentina Finger, Olching

Wohl kaum eine Szene prägt die heutige Vorstellung der Steinzeit so sehr, wie der frühe Mensch beim Feuermachen. Man stelle ihn sich vor, Homo sapiens, wie er wahrscheinlich vor ungefähr 32 000 Jahren durch die Reibung zweier Steine das Lagerfeuer für sich entdeckte. Mit diesem Urbild spielt die aktuelle Inszenierung "Man from Earth" des Resistenztheaters Germering sehr gekonnt: Noch bevor die Darsteller die Bühne betreten, prasselt auf einem Bildschirm ein virtuelles Kaminfeuer.

Das passt deshalb so gut, weil es in dem Stück um genau so ein angepasstes Fortbestehen von etwas sehr Altem in der modernen Welt geht: "Man from Earth", eine Bühnenadaption des gleichnamigen Films von 2007, die noch an zwei Abenden in der Musikbar Steam in Olching aufgeführt wird, handelt von einem Menschen, der ohne zu altern seit 14 000 Jahren auf der Erde lebt.

Gespielt wird John Oldman, dessen Name natürlich ein Spiel mit seiner Identität ist, von René Prock. Diese Besetzung war eine der guten Ideen von Regisseur Gerhard Hellmann, für den die Bühnenversion von Drehbuchautor Jerome Bixby die erste Regiearbeit ist. Prock mimt Oldman, der in seiner jetzigen Lebensphase als Professor an der Universität arbeitet, als vielschichtiges Individuum, das glaubt, nach all der Lebenserfahrung abgeklärt und erwartungslos durch die Welt zu gehen, aber in Wahrheit noch viele Gefühle übrighat.

Auch die restlichen Darsteller überzeugen nicht bloß durch unangestrengtes Miteinander, sondern auch in ihren Einzelleistungen. Von dem selbstbezogenen Archäologen Art (Matthias Fritsch) über den traumatisierten Psychiater Will (Ralf Schwerdtfeger) bis zu der besonnenen Emma (Paula Mattes), die als starke Frauenfigur bezeichnenderweise den männlichen Anthropologen Dan des Originals ersetzt, finden allseitig feine Charakterzeichnungen statt.

Hellmanns "Man from Earth" hat alles, was man sich von einer gelungenen Inszenierung erhoffen darf. Sie hat unterschwelligen Witz und offensichtliche Komik, gerade dann, wenn Oldman seinen entgeisterten Freunden von den Abenteuern erzählt, die er in seinem langen Leben schon erlebt hat, von seiner Zeit als Jäger und Sammler über seine Beinahe-Schifffahrt mit Kolumbus bis zu seinem Wirken als Jesus. Sie hat aber auch tragische Momente, so wenn die Freunde auf je unterschiedliche Weise merken, wie sehr sie diese Geschichten überfordern oder wenn Will, gebrochen vom kürzlichen Tod seiner Frau, die Trivialität von Zeit in einem ewigen Leben anklagt.

Es scheint, als wären nahezu alle Emotionen, über die die menschliche Psyche verfügt, in diesem Stück verwoben. Man fühlt mit den Darstellern, die sich immer wieder bewusst aus dem Bühnenraum hinaus und durch den Zuschauerraum bewegen, Zweifel, Wut, Trauer, Empörung und Resignation, um bloß einige zu nennen. Der Text an sich sprudelt über vor Weisheiten und philosophischen Überlegungen. Es ist kaum möglich, seinen Platz nicht zumindest ein bisschen nachdenklich zu verlassen.

Wer den Film kennt, kennt natürlich die Pointe, mit der "Man from Earth" am Ende überrascht. Doch nicht alles ist in der Version des Resistenztheaters gleichgeblieben. Und selbst wenn doch, könnte man der Inszenierung schon allein wegen ihrer Machart durchaus noch etwas abgewinnen. Wiederholt machen sich die Charaktere daran, durch Oldmans Erlebnisse Lücken in der Geschichtsschreibung zu füllen. So unterhaltsam jene Bemühungen im Stück sind, so unnötig sind sie bezogen auf die Darbietung: Denn Hellmanns dynamische Inszenierung weist keinerlei Lücken auf.

Das Resistenztheater spielt "Man from Earth" noch am Mittwoch und Donnerstag, 7. und 8. August, je um 20 Uhr in der Musikbar Steam in Olching (Ilzweg 1); Karten für zehn Euro an der Abendkasse.

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Quelle:
SZ vom 06.08.2019
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