Süddeutsche Zeitung

Tattoo-Messe:Erinnerungen auf der Haut

Zur "Tattoo-Convention" in Fürstenfeldbruck kommen am Wochenende 4000 Besucher. Sie treffen auf Tätowierer, die nicht nur kreativ sind, sondern auch ein Ohr für ihre Geschichten haben

Von Marija Barišić, Fürstenfeldbruck

"Tätowieren, das ist kein Job, das ist eine Lebenseinstellung." Wenn Benny, 35 Jahre alt, schwarzer Bart, eckige Brille, von seinem Job als Tätowierer erzählt, dann spricht er wenig über Tattoos und viel über Leidenschaft. Darüber, dass Menschen wie er, die im Gesicht tätowiert sind, aus dem gesellschaftlichen Rahmen fallen, aber, dass sie eben "leben, wie wir Bock haben", und: dass das verbindet. "Das hier ist Familie", sagt er und streift währenddessen mit ausgestrecktem Arm über das Veranstaltungsforum in Fürstenfeldbruck.

Dieses Wochenende fand hier zum zweiten Mal die sogenannte "Tattoo Convention" statt, die ungefähr 4000 Besucher nach Fürstenfeldbruck zog, wie der Veranstalter Jürgen Kuhn stolz erzählt. Letztes Jahr zur ersten "Tattoo Convention" seien noch 3000 Besucher gekommen. Dass es heuer mehr waren, sieht der 50-jährige Veranstalter, der selbst nicht tätowiert ist, als Erfolg. Während der zwei Tage hatten die Besucher die Möglichkeit über 100 "Artisten", so nennt Kuhn die Tätowierer, kennenzulernen und, viel wichtiger: sich von ihnen tätowieren oder piercen zu lassen. Die "Artisten" kommen aus Spanien, Italien, ja sogar aus Russland, und sind hier, um auf sich und ihre Arbeit aufmerksam zu machen. Sie begrüßen sich freundschaftlich, scherzen. Die meisten kennen sich schon von anderen Tattoo-Conventions oder, "weil wir uns gegenseitig Kunden vermitteln", wie der Tätowierer Benny erzählt.

Fast alle Besucher, die an diesem Samstag durch die Halle streifen, sind schon tätowiert und kommen, um sich noch ein Motiv stechen zu lassen. Sie sitzen, stehen oder liegen, schauen regungslos in die Luft und warten darauf, bis das Surren des Tätowiergerätes aufhört und sie wieder aufstehen können. Einige haben die Augen geschlossen und verziehen ihr Gesicht, neben ihnen sitzen Mütter, Freunde, Väter, die sie bis hierher begleitet haben. Die einen kennen ihre Tätowierer persönlich, die anderen haben sich ganz spontan für eines der vorgezeichneten Motive entschieden, die die Besucher auf den Tresen an den verschiedenen Ständen begutachten können.

Fragt man die Tätowierer, warum sie tun, was sie tun, antworten viele sehr ähnlich: der Kontakt zu den Menschen sei es und die Geschichten, die man höre. Der Tätowierer Luka Cepec, ehemaliger Manager, sitzt im zweiten Stock des Veranstaltungsforums. Nach einem abgeschlossenem Wirtschaftsstudium und mehreren Jahren als Marketingchef einer slowenischen Firma, kündigt er seinen Job und beginnt seinen neuen als Tätowierer. Damals trägt er jeden Tag, was er muss: Anzug und Krawatte, heute, was er will: Hoodies, Jeans. Was ihn dazu bewogen habe? "Im Marketing verkaufst du Menschen etwas, das sie nicht brauchen und nimmst ihnen in Wahrheit etwas weg. In diesem Job gibst du ihnen was", sagt er. Oft kommen Kunden zu ihm, die schwere Schicksalsschläge erlitten haben, so den Tod geliebter Menschen. Sie wollen sich deren Namen tätowieren lassen. Cepec wird die Frau nie vergessen, die einmal zu ihm ins Studio kam, nachdem sie zuerst ihren Mann durch einen Herzinfarkt und kurz darauf den siebenjährigen Sohn durch eine Krebserkrankung verloren hatte.

Direkt unter Cepec steht die Tätowiererin Claudia Weppler und erzählt ähnliche Geschichten über Mütter, die ihre Babys verloren haben, und nun zu ihr kommen, erzählen und weinen und sich als Erinnerung einen Stern auf das Handgelenk tätowieren lassen. Nach ein paar Stunden auf der Tattoo-Convention wird klar: Auf der Messe arbeiten nicht nur leidenschaftliche Tätowierer, sondern vor allem auch gute Zuhörer.

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Quelle:
SZ vom 07.01.2020
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