Alice Nüßls braune Augen strahlen eine Nuance heller, während sie mit der Hand eine ausladende Bewegung in den Raum hinein macht: Eigentlich eine typische Küche in einem typischen alten Bauernhof mit niedrigen Decken und knarzendem Holzbohlenboden. Aber nur eigentlich. Denn die rückwärtige Wand ist durchgebrochen, so dass die frühere Küche und die Stube einen kleinen Saal ergeben.
Mittig am hinteren Ende ragt, von rotem Samt verhüllt, eine Puppenbühne in die Höhe, links steht ein Flügel. Man befindet sich im Kulturhof Villa Zirngibl im Maisacher Ortsteil Überacker. Diese eigenwillige Villa Zirngibl, wo es neben Kasperltheater für Kinder auch Kultur für Erwachsene gibt und die benannt ist nach Nüßls Mädchennamen - ist nun für den Tassilo-Preis der Süddeutschen Zeitung nominiert.
Schon als Teenie schreibt sie ersten Geschichten
Alle Kasperlgeschichten, die Nüßl, die lebhafte Pädagogin mit ihren Puppen aufführt, hat sie selbst erdacht. Doch die wahre Geschichte der Mittelschullehrerin Alice Nüßl, die aus Niederbayern stammt und ihren Vornamen mit stimmhaftem "Z" ausspricht, und die Historie ihrer Villa Zirngibl, hätte Nüßl selbst nicht besser erfinden können. Schon als Teenie schreibt sie ihre ersten Geschichten und beginnt damit Handpuppen zu sammeln. Heute hat sie eine stattliche Sammlung, einige, wie etwa der Tod, sind echte Raritäten und rund 100 Jahre alt.
Alice Nüßl macht Abitur, studiert in München auf Lehramt, heiratet und bekommt drei Kinder. Während des Erziehungsurlaubs, damals noch in Niederbayern, führt sie bei Kindergeburtstagen ihre ersten Stücke auf. Das gefällt ihr so gut, dass sie beginnt, ihre Geschichten aufzuschreiben und eine Ausbildung zur Puppenspielerin zu machen.
Während Alice Nüßl wieder als Lehrerin arbeitet - bis heute ist sie an der Kerschensteiner Mittelschule in Germering tätig, wo sie unter anderem eine Therater-AG leitet - versucht sie sich parallel mit einem mobilen Kasperltheater. "Das hat aber nur in Niederbayern ganz gut geklappt, weil man mich da schon gekannt hat", berichtet Nüßl. Etwa zur gleichen Zeit, vor rund zehn Jahren macht sie hier im Landkreis die Bekanntschaft von Ulrike Leipert. Nüßl suchte damals eine Gesangslehrerin für ihre Tochter und findet sie in der langjährigen, heute pensionierten Lehrerin für Gesang und Klavier an der Kreismusikschule. Leipert und Nüßl werden schnell Freunde.
Inzwischen begleitet Leipert, die auch viele Jahre mit dem bereits verstorbenen Bariton Hermann Prey durch die Welt tourte, Nüßls Kasperlaufführungen am Klavier. Außerdem organisiert sie das Erwachsenenprogramm namens "Kontrapunkte" in der Villa Zirngibl, gelegentlich tritt sie dabei auch selbst auf. Nüßls Tochter, inzwischen 24, studiert übrigens Gesang. Auch sie ist mit Ulrike Leiperts Begleitung schon bei den Kontrapunkten aufgetreten.
Was den Freundinnen Nüßl und Leipert vor zehn Jahren noch für ihre künstlerische Verwirklichung fehlte, war ein Spielort. Den findet die energiegeladene Pädagogin, als sie im Zuge ihrer Scheidung ein neues Zuhause sucht, in Gestalt des 1875 von Kreszenzia und Jakob Schwarzmann erbauten Hofes.
Premiere feierte Nüßl vor vier Jahren
Gefallen habe ihr der sofort, doch die entscheidende Frage sei für sie gewesen, ob man die Wand durchbrechen könne, um so einen Saal für die Kasperltheateraufführungen zu schaffen. Man konnte, befand ihr eigens aus Niederbayern angereister Vater. Also kauft Nüßl das Haus des früheren Bürgermeisters, baut es um und feiert vor vier Jahren Premiere mit ihrem Regenbogenkasperl. "Ich weiß wirklich nicht, ob wir mehr Spaß haben oder die Kinder", lacht die Mittfünfzigerin Freundin Ulrike Leipert zu.
Vermutlich ist das ein Grund dafür, dass es den Besuchern - Kindern wie Erwachsenen - in der Villa Zirngibl so gut gefällt. Im Gästebuch auf der Homepage ( www.regenbogenkasperl.de) schreiben Leute aus Überacker und Umgebung begeisterte Kommentare.
"Inzwischen mache ich auch Kindergeburtstage", erzählt Nüßl. Eine Mutter hat einmal angefragt, ob sie die Kinder zu einem Kasperltheater-Workshop schicken kann, seither gibt es immer wieder Anfragen. Es gibt auch noch andere Projekte in der Villa Zirngibl, etwa den spontanen Frühschoppen im kleinen Garten. Oder das Stück "Leopold und das Regenbogenkind", das Nüßl zur Aufführung bringen will. Es ist ihr erstes Buch und es handelt davon, dass man an seine Träume glauben soll, dann werden sie auch wahr - genau so wie es Nüßl mit der Villa Zirngibl getan hat.
Die nächsten Termine in der Villa Zirngibl, Bergstraße 1, in Überacker sind am 12. Juni und 3. Juli das Kasperltheater (Beginn jeweils um 16 Uhr, Einlass 15.30 Uhr) sowie am 11. Juli, von 19 Uhr an die Kontrapunkte mit Ulrike Leipert.
Vorschläge für den Tassilo-Preis können per Post, Fax oder E-Mail an die Lokalredaktion Landkreis Fürstenfeldbruck geschickt werden. E-Mail: tassilo@sueddeutsche.de, Fax: 089/2183-96-8753. Einsendeschluss ist Samstag, 21. Mai.