Süddeutsche Zeitung

Tätowierer:Gestochene Kunst

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Tiger, Menschen, Schmetterlinge: Die erste Tattoo-Messe in Fürstenfeldbruck gibt einen Einblick in die Vielfalt der Motive, die die Haut schmücken können. Viele Besucher lassen sich dort tätowieren

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Mit leichtem Druck führt Hannes "Zaki" Zakrozewski den Kopf der Tätowiermaschine über den Oberarm von Rene Lehner. Strich für Strich entsteht so der Kopf eines Tigers, der in eine Rose und einen Kompass übergeht. Beide Männer sind hoch konzentriert. Der Tattoo-Künstler auf den Tiger, sein Kunde darauf, den Schmerz auszuhalten. Die Rotationsmaschine sieht zwar aus wie ein feiner Pinsel und arbeitet nahezu lautlos. Schmerzlos ist die Prozedur dennoch nicht. Lehner verzieht immer wieder das Gesicht. Er ist Stammkunde bei "Zaki Ink. Tattoo", dem Studio, das Zakrozewski in Augsburg betreibt, und ist mit ihm auf die erste Tattoo-Messe gekommen, die am Wochenende in Fürstenfeldbruck stattgefunden hat. Beide hoffen auf einen Sieg bei einem der Wettbewerbe für die besten Tätowierungen in mehreren Kategorien.

Etwa 30 Studios mit knapp 100 Tätowierern aus Deutschland und Österreich haben im Veranstaltungsforum Fürstenfeld ihre Stände aufgebaut. Sie präsentieren in der Tenne erstmals in der Kreisstadt ihre Kunst. Überall surren laute Magnetspulenmaschinen, dazu wummert aus den Boxen Musik. Es ist warm in der Tenne, die Veranstalter Jürgen Kuhn als "tolle Location" lobt. An vielen Ständen sitzen oder liegen Menschen mit nacktem Oberkörper, die sich ein neues Tattoo stechen lassen.

Die mehreren Tausend Besucher kommen teils von weit her, wie die knapp zehnköpfige Motorradgang aus Weißenburg in Mittelfranken, die wegen des Schnees mit Autos angereist ist. Aus München ist eine Frau mit ihrer Familie gekommen, sie wollen sich einfach umschauen. Vor 30 Jahren habe sie sich das erste Tattoo stechen lassen, einen Schmetterling samt Blume, erzählt die 50-Jährige im zartrosa Strickpulli. "Tattoos haben mir immer schon gefallen." Es sei ihr egal gewesen, dass man damals Tätowierungen noch in erster Linie mit Knasterfahrung, Rotlichtmilieu und Matrosen assoziierte. Doch der Schmetterling sitzt auf dem Schulterblatt, damit sie ihn gut verstecken konnte in der Arbeit.

Das Schmuddelimage, das Tätowierungen früher hatten, ist lange passé. Aus dem subkulturellen Kontext heraus hat sich das Tattoo zum Massenphänomen entwickelt. Ein Fünftel bis ein Viertel der Menschen in Deutschland hat mindestens ein Tattoo, noch mal ein Fünftel denkt darüber nach, sich eines stechen zu lassen. Viele zeigen ihre Tätowierungen offensiv, für andere dagegen sind sie ganz privat.

Die meisten finden ihre Tattoos einfach schön. Manche sind ein Statement, wie bei dem Mann, der sich die Namen seiner drei Söhne - Luca, Philipp, Jacob - in drei Zentimeter hohen Lettern quer über die Brust hat tätowieren lassen. Oder wie das Schaf auf Sophie Frankes Hinterkopf. Die 30 Jahre alte Berlinerin ist Veganerin, das Schaf soll zeigen, dass Tiere Freunde sind und kein Futter. "Es geht darum, nicht menschliches Leben zu respektieren", erklärt sie.

Psychologen vermuten, dass manch einer sich einen Tiger, Wolf oder Drachen stechen lässt, um einen starken Begleiter zu haben. Tatsächlich sind solche Motive häufig, aber es findet sich in der alten Tenne auch vieles andere: Schriftzüge, Blumen, vor allem Rosen, Comicfiguren, Tribals, also Stammeszeichen, etwa von Maoris oder Inkas. Viele Tätowierer bieten fertige Motive an, ebenso viele Kunden bringen ihre eigenen mit. Bekannte Künstler wie Zaki, der schon viele Preise gewonnen hat, arbeiten frei mit eigenen Entwürfen. Bei Zaki arbeitet auch Dorothea Herb. Die 36-Jährige hat sich auf das Stechen kleiner und filigraner Tattoos spezialisiert, auf Mandalas und zarte Ranken. Am Samstag habe sie schon sieben Leuten das erste Tattoo überhaupt gemacht. "Da freu' ich mich unglaublich, wenn ich das darf", sagt sie. "Das ist eine Ehre."

Eine Rose für Papa

Julia Amtmann, 27, aus München, trägt auf dem linken Unterarm eine Rose, wie ihre Mutter. Zwei Aspekte machen dieses Tattoo zu dem wichtigsten das die junge Frau trägt: Es symbolisiert die Verbundenheit zu ihrer Mutter und ist auch eine Erinnerung an ihren Vater. Ihre Mutter habe es sich stechen lassen, nachdem ihr Mann gestorben war. Die Tochter entschloss sich einige Jahre später dazu, sich genau die gleiche Rose an genau der gleichen Stelle machen zu lassen. Die Schriftzüge auf den Innenseiten ihrer Handgelenke zeigen die Unterschriften ihrer Eltern auf ihrer Kommunionskarte. "Mama" und "Papa" seien die wichtigsten Menschen in ihrem Leben.

Ein Käfer für Stärke

Moses Uchidos, 32, Spanien: "Ein Sprichwort sagt: Wenn jemand ein Herz aus Holz hat, dann ist er schmerzresistent und kann durch nichts erschüttert werden." Uchidos arbeitet als Fakir und behauptet von sich selbst, er habe dieses Herz aus Holz. Das spiegelt sich in seinen Tattoos wieder. Sein linker Arm ist so tätowiert, dass er wirkt, als sei er aus Holz. Der Hirschkäfer auf der rechten Brustseite ist sein Lieblingstattoo. Er findet es faszinierend, wie kräftig dieser Käfer in Relation zu seiner Körpergröße ist. Das motiviere ihn, auch stark zu sein, psychisch und physisch. Uchidos wünscht sich noch eine Fledermaus zu den Tattoos von Waldbewohnern auf seinem Körper.

Blumen für Kinder

Simone Hörmann, 52, Markt Indersdorf: Für jedes ihrer vier Kinder und fünf Enkelkinder lässt sich Simone Hörmann eine Blume auf die linke Schulter stechen. Das erste war es eine Rose, die sie sich vor 23 Jahren auf einer Bikermesse in Cottbus hat tätowieren lassen. "Meine Lieblingsblume ist aber die Lilie", sagt sie, und so wird für jeden neuen Nachkömmling das Bukett um eine Lilie erweitert. "Das Tattoo bedeutet mir viel." Alle ihre Tätowierungen müssten eine Bedeutung haben, sie müsse sich damit identifizieren können. Wen man nicht wisse, was ein Tattoo aussagen solle, "kann man es auch gleich sein lassen." Totenköpfe und Kreuze würde sie sich nicht stechen lassen.

Jack aus "Shining"

Paulo McIntyre, aus Sankt Lorenzen, Südtirol: "60 Prozent meines Körpers sind vollgemalt." Viel Platz nehmen Porträts von Schauspielern in berühmten Rollen ein. Besonders gern hat er das Tattoo von seinem Idol Jack Nicholson als Jack Torrance in "Shining", McIntyres Lieblingsfilm, das auf seinem Rücken prangt. In dem Horrorfilm von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1980 spielte Nicholson die Hauptrolle. Darunter ist Robert de Niro in "Taxidriver" zu sehen. Sein linker Arm ist derzeit komplett schwarz, er plant, ihn mit weißen, grafischen Mustern tätowieren zu lassen. McIntyre ist selbst Tattoo-Künstler, der oft großflächige Bilder in Farbe und Schwarz-Weiß sticht.

Zakis Spezialität ist die dreidimensionale, perspektivische Darstellung, meist in Grau- und Schwarztönen. Für einen Preis reicht es in Fürstenfeldbruck aber nicht. Das beste Tattoo am Samstag stammt von Studio 22 aus Landsberg. Es zeigt auf einem Unterarm den Kopf einer Frau mit einer großen Brille und Kopftuch, die sich die vollen Lippen schminkt und so plastisch wirkt, als würden Nase und Lippen tatsächlich über die Haut hinausragen.

Darüber, dass niemand so genau weiß, was in den Farben drin ist und dass Tattoos zuweilen Allergien auslösen, macht sich hier kaum jemand Gedanken. Eher schon über den Schmerz beim Stechen. Dagegen hat Raphael Rotstein eine Maschine konstruiert: Den Snow Jet, der die Haut vereist, während der Tätowierer arbeitet. Rotstein stellt sie auf der Messe vor. Die Maschine, die das Tätowieren schmerzlos macht, könnte auch in einem ganz anderen Feld nützlich sein, erklärt Rotstein ernsthaft: bei der Kastration von Ferkeln.

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Quelle:
SZ vom 07.01.2019
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